Opernkritik: Ungewöhnliche Interpretation von Mozarts „Don Giovanni“ – Operaen Oslo – 2018
Don Giovanni oder der Wüstling kommt davon
– Richard Jones inszeniert „Don Giovanni“ mit überraschendem Ende – Oper Oslo übernimmt Produktion der English National Opera –
von Klaus J. Loderer
Es ist ein besonderer Clou, mit dem Regisseur Richard Jones, am Ende von Mozarts Oper „Don Giovanni“ überrascht. Da singt man rechts in der Ecke „Dies ist das Ende dessen, der Böses tut!“ Doch der damit gemeint ist, steht oben auf der Bühne ziemlich munter und tut das, was er die ganze Zeit über gemacht hat: er beglückt Frauen. Man schmunzelt über diese völlige Umdeutung des Endes. Und das bekommt Richard Jones sogar auf eine lässige Art hin, ohne das Stück verbiegen zu müssen.
Johannes Weisser als Don Giovanni in Oslo
Foto: Erik Berg
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Es ist die mit britischem Humor gewürzte witzig-kurzweilige Produktion von „Don Giovanni“ der English National Opera aus dem Jahr 2016, die man in Oslo übernommen hat. Regisseur Richard Jones inszeniert die Ouverture gleich mit und nutzt die Zeit Don Giovanni vorzustellen. Und was geht der Oper voran? Die Verführung von Frauen, 1003 in Italien etcetc. Und das sehen wir. Nicht alle, aber ein paar. Wir sehen einen langen Flur mit vielen Türen, den links eine Frau betritt, die an Don Giovanni vorbeizugehen scheint, sich umdreht und mit ihm hinter einer Tür verschwindet. Leoporello steht als Tür-öffnendes Faktotum bereit. Nach einem Quicky kommt man wieder heraus. Das wiederholt sich, wiederholt sich nochmals und nochmals, die ganze Ouverture über. Zur Abwechslung darf auch mal ein Mann ran. Die letzte Frau, die mit Don Giovanni hinter der Tür verschwindet, ist Donna Anna. Verwandlung. Die Wand mit den Türen, wird nach seitlich verschoben und gibt den Blick frei auf einen in die tiefe führenden Flur und zwei Zimmer. Rechts probt Donna Anna mit Don Giovanni, wie sie gerne verführt werden möchte: er soll eine Maske tragen, ihr ein Messer an den Hals setzen und ihr die Augen zuhalten. Eine schöne Übertragung dessen, was heute in Datingportalen an Regieanweisungen vor dem Date diskuttiert wird. Unterdessen im linken Zimmer: ein Offizier kommt herein, der Komtur, begleitet von einer jungen Damen, offensichtlich eine Prostituierte. Der also auch nicht so ganz unschuldige Komtur mag unterwürfige Frauen. Das kehrt die landläufige Betrachtung völlig um: der Komtur bestimmt was die Frau beim Sex zu tun hat, Don Giovanni befriedigt Frauen. Durch das Stöhnen (so kann man Mozart-Sopran-Gesang auch deuten) aus dem anderen Zimmer beunruhigt, dringt der Komtur dort ein und überrascht seine Tochter mit einem Lover, der ihn im Gerangel ersticht.
Endlos sind die Korridore und Zimmerfluchten, in denen diese Geschichte spielt. Geschickt schiebt Bühnenbildner Paul Steinberg immer neue Wände hin und her, die es ermöglichen Personen hinter einer Tür verschwinden zu lassen und uns dann zu zeigen, was sich hinter der Tür tut. Durch diese Wanderungen lassen sich auch manche überraschende Auftritte überzeugend gestalten. Gleichzeitig deuten die Peitschenleuchte und die Telefonzelle im Vordergrund Straßenraum an. In einem der vielen Räume findet auch gerade die Hochzeit von Masetto und Zerlina statt, angedeutet durch eine Hochzeitstorte auf einem langen Tisch. Durch das Labyrinth der Räume scheint auch der prächtige Leichenzug des Komturs zu irren.
Mit den festlich-dunklen Kostümen von Nicky Gillibrand spielt die Geschichte zudem in der Gegenwart. Dass Don Giovanni und Leporello im schwarzen dreiteiligen Anzug gleich gekleidet sind, wird im zweiten Akt wichtig. Der Kleidungstausch erfolgt hier dadurch, dass Don Giovanni Brille und rote Perücke von Leporello übernimmt, wodurch dieser – mit Glatze – nun plötzlich als Don Giovanni dasteht. Das ist ein schöner Einfall. Es wird aber noch besser: Da Donna Elvira beim Verlassen ihres Zimmers zum vermeintlichen Date mit Don Giovanni – der natürlich Leporello ist – die Tür abgeschlossen ist, kann Don Diovanni zum Date mit Elivars Zofe nicht rein. Und sie nicht raus. Also ruft der findige Don Giovanni aus der Telefonzelle an – und befriedigt die Zofe kurzerhand mit Telefonsex, die sich genüsslich auf der Sofalehne räkelt. Für den als vermeintlicher Don Giovanni ertappten Leporello wird die Sache richtig brenzlig, denn man bindet ihn an einen Mast an, stülpt ihm eine schwarze Kappe über den Kopf und setzt einen Revolver an. Er kommt noch einmal davor. Der echte Don Giovanni betrachtet diese Szene unbemerkt und mit der Nonchalence des Draufgängers.
Den inmitten prächtiger Kränzen aufgebahrten Komtur lädt Don Giovanni zum Essen ein. Dieser Don Giovanni lässt sich von nichts schrecken, auch nicht vom in blutiger Unterwäsche auftauchenden „steinernen Gast“. Und noch so ein überraschender Einfall dieser Produktion: der sich sonst ängstlich unter dem Tisch versteckende Leporello versucht seinen Herrn zu retten und reist Don Giovanni vom Komtur frei. Doch erfasst dieser nun Leporello und zieht ihn in die Hölle. Don Giovanni nimmt Leporello noch schnell Perücke und Brille weg – und schon wartet er als Leporello auf die Anderen. Und während das Sextett von erfolgter Bestrafung singt, sehen wir oben wieder den Flur der Anfangsszene. Don Giovanni hat wieder einen Leporello gefunden und widmet sich seiner Lieblingsbeschäftigung. Und als letzte Frau kommt dann endlich die derzeit Angebetete, die Zofe von Donna Elvira. So wird dieser eigentlich nur angedeutete Flirt weitergesponnen. Happy End. Endlich mal ein Regisseur, der „Don Giovanni“ verstanden hat.
Die Inszenierung gelingt auch deshalb so gut, weil alle Sänger wunderbar ihre Rollen ausfüllen. Allen voran Johannes Weisser als genießerischer Don Giovanni, der sich wenig um kleinliche Sorgen schert. Seine Bühnenpräsenz ist bemerkenswert. Sein Bariton ist geschmeidig und schmeichelnd. Für ihn ist es auch kein Problem in der Schlussszene die Partie Leporellos zu singen, denn auch diese Rolle gehört zu seinem Repertoire. Sein kongenialer Begleiter ist Jakob Bloch Jespersen als Leporello leider nur schauspielerisch. Denn die Stimme des Bassbaritons bleibt fast unhörbar. Die Rolle des Don Ottavio ist gegenüber diesem Duo immer benachteiligt, da er eben nur der langweilige Verlobte Donna Annas ist. Das gleicht Anthony Gregory mit schönem Gesang wieder aus – sehr einfühlsam die Arie „Il mio tesoro“. Mit gesetztem Bass Jens-Erik Aasbø in der nicht einfachen Rolle des Komturs. Bassbariton Martin Hatlo kann als Masetto überzeugen.
Kraftvoll singt Birgitte Christensen die Donna Anna und mit sicheren Koloraturen. Der norwegische Sopran Marita Sølberg neigt als Donna Elvira manchmal zu schrillen Tönen. Caroline Wettergreen ist als Zerlina von einer bezaubernden Wendigkeit. In einer stummen Rolle Nora Karoline Schrøder als Zofe Donna Elviras und Geliebte Don Giovannis. Exakt singt der Opernchor seine kurzen Auftritte. Benjamin Bayl dirigiert das gut intonierende und exakt spielende Opernorchester mit gutem Gespür für die dramatischen Akzente der Partitur.
Besuchte Vorstellung: 16. Juni 2018
(9. Vorstellung seit der Premiere in Oslo am 16. Mai 2018;
Premiere an der English National Opera London: 30. September 2016;
Premiere am Theater Basel: 25. Januar 2017)
Operaen Oslo
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