Opernkritik: „Salome“ von Richard Strauss – Aalto-Musiktheater Essen – 2018

The same procedure as last year – the same procedure as every year 

– Mariame Clément inszeniert eine bestürzende „Salome“ im Aalto-Musiktheater in Essen – 

von Klaus J. Loderer 

Sie ist bestürzend, diese Salome-Produktion. Sie ist bestürzend deutlich, weil uns Regisseurin Mariame Clément direkt darauf stößt, was sonst in dieser Oper eher untergeht. Schon Oscar Wildes Text macht deutlich, dass alle möglichen Männer lüsterne Blicke auf das Mädchen Salome richten. Dass Salome das bei Narraboth und Herodes ausnutzt, um ihre Ziele zu erreichen, ist eine andere Sache. Doch Mariame Clément liest den Text anders. Und es ist bestürzend, wie anders man den Schleiertanz interpretieren kann. In Cléments Leseweise der Musik gefriert einem der Blick. Sie sieht darin nicht ein erotisches Entblättern sondern eine brutale Vergewaltigung. Der Zuschauerr weiß aus den beiden Filmschnipseln, die vor Beginn der Oper auf den schwarzen Vorhang projeziert werden, worum es geht. Salome erhält zu jedem Geburtstag von ihrem Stiefvater ein Ballettröckchen. Nun ist es ihr achtzehnter Geburtstag. Sie will das Geschenk nicht, sie verweigert es. Doch mit Beginn des „Schleiertanzes“ gibt ihr Herodes die Geschenkschachtel wieder. Schon aus seinem Blick ahnen wir, was wohl jeden Geburtstag stattfand. Sie zieht sich das Röckchen an. Wird sie tanzen? Sie legt sich auf ihr Bett. Sie versucht mit einem Kissen einen nicht sichtbaren Angreifer abzuwehren. Auch die Hochzeitsgesellschaft des achtzehnten Geburtstags erkennt, was da läuft, und erstarrt. Das stört Herodes nicht. Ihn scheint nur noch das Geburtstagsprocedere zu interessieren (The same procedure as every year), und er schleift Salome schließlich hinter den Tisch und fällt dort über sie her. Nur zu passend ist die Dramatik der Musik zu dieser Szene. Mariame Clément hat genau hingehört bei diesem Dance macabre.

„Salome“ am Aalto-Musiktheater Essen: Almas Svilpa (Jochanaan), Carlos Cardoso (Narraboth) und Annemarie Kremer (Salome)
Foto: Martin Kaufhold

Man hat schon manch gescheiterten weiblichen Blick auf eine Oper belächelt, doch hier hat es Mariame Clément tatsächlich fertig gebracht, unseren Blick auf die Perspektive der Salome zu lenken. Dazu hat Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Hansen ein realistisches Bühnenbild geschaffen eines „besseren“ Haushalts der Gegenwart, in dem Mariame Clément eine verstörend realistische Geschichte ansiedelt. Der Film vor Beginn, in dem Salome die Annahme ihres Geburtstagsgeschenks im Salon verweigert, setzt sich auf der Bühne fort in den Dienstbotenräumen, wo Security-Leute gelangweilt um einen Tisch sitzen, der Butler gehetzt durchrennt, nur schnell an einer Zigarette zieht, um wieder ein Tablett mit Speisen hinaufzutragen zur herrschaftlichen Tafel. Auf Bildschirmen können sie dem Treiben der Herrschaft zuschauen. Securitychef Narraboth (mit schönem Tenor Carlos Cardoso) bewundert auf dem Bildschirm die schöne Prinzessin Salome. Einer Mitarbeiterin passt das gar nicht (Liliana de Sousa als Page). Zum Personal flüchtet sich schließlich Salome. Es mag zwar lustig wirken, wenn Narraboth von einer Sänfte spricht, dagegen ist es sehr geschickt gemacht, dass der Koch immer dann die Tür zum Keller aufmacht, wenn die Stimme Jochanaans erschallen soll. Es sind die vielen kleinen Details, die diese Inszenierung überzeugend wirken lassen.

Während normalerweise „Salome“ im Einheitsbühnenbild spielt – im Orginal eine Terrasse am Palast des Herodes, wechselt in Essen das Bild, der Personalraum dreht sich weg und eine dunkle Zwischenpassage wird im Halbdunkel sichtbar, in dem ein Mädchen im Ballettröckchen tanzt – ein Blick zurück auf die kleine Salome. Salomes Zimmer taucht nun auf, zugestellt mit Schachteln. Dorthin lässt sich Salome Jochanaan bringen, einen Jochanaan, der vor Muskeln strotzt. Almas Svilpa trumpft als Jochanaan auch mit mächtiger Stimme auf. Von ihm fühlt sich Salome gleichsam angezogen wie bedroht. Annemarie Kremer gibt diese Salome als störrische junge Frau, die auf dem Weg ist, sich von dieser Familie zu emanzipieren. Auch hier schafft es Narraboth nicht, Salome von Jochanaan fernzuhalten. Er erschießt sich. Die Pistole entwendet ihm Salome, die damit später ihren Willen durchsetzt. In dieses merkwürdige Zimmer kommt schließlich auch die merkwürdige Geburtstagspartygesellschaft nach, angeführt von einem Herodes im weißen Dinnerjacket. Tenor Jeffrey Dowd, der für den erkrankten Rainer Maria Röhr einsprang, klingt angestrengt. Marie-Helen Joël hat die richtige Mischung aus besorgter Mutter und hysterischer Ehefrau.

Am Ende verzögert Mariame Clément die Handlung. Noch einmal kommt Jochanaan herein, bevor man ihm den Kopf abschlägt. Wenn Herodes ruft, dass man Salome töten soll, ist diese geradezu entrückt, indem das Bühnenbild in den Hintergrund fährt.

Für den Richard-Strauss-Ton sorgt Dirigent Georg Fritzsch mit den Essenern Philharmonikern. Die Premiere dirigierte Generalmusikdirektor Tomáš Netopil.

Besuchte Vorstellung: 8. Juni 2018
(Premiere 31. März 2018)
Aalto-Musiktheater Essen

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