Opernkritik: „Il matrimonio segreto“ (Die heimliche Ehe) von Domenico Cimarosa – Oper Köln – 2018

Es gackert und kräht im Hühnerstall 

– Tierisch-komische Cimarosa-Oper „Il matrimonio segreto“ von Renaud Doucet und André Barbe an der Oper Köln – 

von Klaus J. Loderer 

Bei einer Opernbesprechung von gackernden Hühnern und krähenden Hähnen zu sprechen, könnte leicht missverstanden werden. Ich kann nun nicht einmal sagen, dass damit nicht die Sänger gemeint sind, denn genau diese tun es. Und ich werde wohl künftig immer an einen Hühnerstall denken, wenn ich Cimarosas Oper „Il matrimonio segreto“ (Die heimliche Ehe) sehen oder hören werde. Das liegt an der Inszenierung des Regisseurs Renaud Doucet in Bühnenbild und Kostümen von André Barbe, die nun an der Oper Köln im Staatenhaus zu sehen ist – ursprünglich eine Produktion der Festwochen der Alten Musik in Innsbruck aus dem Jahr 2016.

„Il matrimonio segreto“ an der Oper Köln: 
Anna Palimina (Carolina) und Norman Reinhardt (Paolino)
© Paul Leclaire

1792 erlebte die Oper „Il matrimonio segreto“ in Wien ihre Uraufführung. Berühmt ist die Geschichte, dass Kaiser Leopold II. die Oper so gut gefiel, dass er ein sehr wörtlich zu nehmendes da capo al fine verlangte, nämlich eine komplette Wiederholung der Oper in seinen Privaträumen. Man wundert sich nicht. Cimarosas Musik ist sprühend und abwechslungsreich. Und die Oper hat Cimarosas Namen immer lebendig gehalten. Man hört, welche wichtige Basis Cimarosa etwa für Rossinis darstellt. Dass die Theater mit allgegenwärtigem Mozart inzwischen alle Zeitgenossen an den Rand gedrängt haben, ist eine andere Sache. Umso erfreulicher ist es, dass die Oper Köln Cimarosa in den Spielplan genommen hat.

Barbe und Doucet, bekannt für bildreiches Theater, ließ das Gezänk der Schwestern Elisetta und Carolina an Geflügel auf einem Bauernhof denken. Diesen Gedanken wird vielleicht manch ein Normalmensch von heute beim Gesang des 18. Jahrhunderts haben (einschließlich der Wagnerianer), auch wenn der Freund dieser Opern darin den Höhepunkt der Kunstform sieht. Die Streitszenen sind übrigens von Cimarosa tatsächlich sehr kunstvoll angelegt. Man mag sich bei Elisettas und Carolinas Streit im ersten Akt an die Szene Marcellina und Susanna aus Figaros Hochzeit erinnert fühlen, doch ist die Sache hier noch weiter geführt. Eigentlich streiten die ältere Elisetta und die hübschere Carolina ununterbrochen, die Tante Fidalma mischt sich mal mäßigend, mal aufstachelnd ein. Und auch für Papa Geronimo und den potentiellen Schwiegersohn Graf Robinson gibt es genügend Gelegenheit, aufeinander loszugehen. Was die Sache noch komplexer macht, ist die Einfügung gedanklicher Kommentierungen, was in der Inszenierung mit Verdunkelung der Szene und einem Spot auf den jeweiligen Sänger gemeistert wird.

Also Hühnerhof. Warum nicht. Kostümbildner Barbe demonstriert, wie man mit leichter Überzeichnung aus einem Rokokoherrn ein Junggockelchen machen kann und aus einem Reifrock eine Henne. Die drei Hennendamen sind sogar noch unterschiedliche Hühnerrassen. Und auch die besondere Verbeugung des Kratzfußes zeigt ja schon in seinem Namen einen Anklang an Federvieh. Also bekommen die Sänger statt eines Jabots rote Kehllappen. Paolino erhält einen kunstvoll geschwollenen Kamm. Die Damen haben Ärmelchen, die an Schwingen erinnern. Also wohlgemerkt, die Sänger sind nicht als Hühner verkleidet. Die Hühnerassoziation entsteht durch eine spezielle Abwandlung von Rokokokostümen ins Hühnerhafte. Das hat Witz und Esprit. So könnte  man sich auch fast die Hofgesellschaft unter Marie-Antoinette im Zierdörfchen Hameau in Versailles vorstellen. Alle scharren sie gelegentlich mit den gelb bestrumpften Beinen, drehen ruckartig den Kopf oder machen Bewegungen, die man sofort als hühnerartig erkennt. Und wenn Obergockel Geronimo nichts mehr einfällt, macht er Kikeriki. Graf Robinson trägt einen Schottenrock und wird begleitet von einem zusätzlich eingeführten Diener – ein Truthahn. Überhaupt wird die Bühne von weiteren Statisten belebt. Dazu gehören auch zwei Akrobaten als Tauben, deren Sprünge aber nicht so richtig fließend in das Geschehen passen.

Damit auch das Ambiente passt, spielt die Geschichte in einer ins Riesenhafte übersteigerten Scheune. Bühnenbildner André Barbe lässt uns also aus der Perspektive der Hühner sehen. Rechts ist ein Heuschober, eine umgestürzte kaputte Tasse davor, in der Mitte steht ein alter Sessel mit einem Korb, in dem „Legehenne“ Fidalma gelegentlich ein goldenes Ei legt. Links Carolinas „Zimmer“ mit Hasenstalldrahtgitter. Über einen Stapel alter Bücher kann man hinaufsteigen. Und hinten schaut man durch eine Lücke hinaus in den Hof, in dessen Zentrum ein Holzblock mit Fleischerbeil steht – ein Hühner-Memento-Mori. Alles ist kunstvoll mit Feder gezeichnet. Wie eine schöne Grafik aus dem 18. Jahrhundert. Alles in Schwarz-weiß. Farbe kommt durch die bunten Kostüme ins Bild.

In diesem teilweise räumlich gebauten Arrangement entwickelt Regisseur Doucet nun die Geschichte des Liebespaars der Kaufmannstochter Carolina und des Gehilfen Paolino, die heimlich geheiratet haben – wie der Titel der Oper schon sagt. Vater Geronimo träumt allerdings von besseren Partien für seine Töchter. Paolino hat ihm den Graf Robinson beschafft, der die ältere Tochter Elisetta heiraten soll. Aber dummerweise hält der Graf die jüngere Tochter für seine Braut und möchte nun Elisetta nicht mehr haben. Der Vater wäre auch einverstanden, wenn der Graf Carolina heiratet, da dieser mit einer Halbierung der zu zahlenden Mitgift lockt. Aber Elisetta intrigiert gegen die vermeintliche Verführerin Carolina und beschwatzt den Vater, sie ins Kloster zu schicken. Auch Paolinos Versuch, die Tante Fidalma zu gewinnen, geht ganz gegensätzlich aus, denn diese ist heimlich in Paolino verliebt und hält seine Annäherung für einen Heiratsantrag. Als nachts Paolino Carolina zur Flucht überreden möchte und erwischt wird, platzt die Sache. Der Vater verzeiht und der Graf nimmt nun doch Elisetta. Und Fidalma bleibt Haushälterin von Geronimo. Also eine schön verwickelte Geschichte, die Stolz, Eitelkeit, Spießigkeit und den bürgerlichen Drang zu Adelstiteln auf die Schippe nimmt. Detailreich sind Bühnenbild und Inszenierung mit vielen reizenden Details, etwa wenn Fidelma Elisetta einen Vortrag über Männer hält und dazu einen Männerkalender hervorholt, natürlich mit entsprechenden Mannsgockelchen.

Dazu liefert Gianluca Capuano mit dem Gürzenich-Orchester die spritzige musikalische Basis mit dieser speziellen Cimarosa-Mischung aus Festlichkeit, Liebesfeuer und Zankszenen. Anna Palimina sticht mit ihrem Sopran als Carolina hervor. Sie brilliert mit sicherer und feiner Höhe. Dagegen bleibt Emily Hindrichs in der weiteren Sopranrolle als Elisetta fast blass. Für die US-amerikanische Mezzosopranistin Jennifer Larmore ist die Rolle der Fidalma ein Rollen- und Hausdebut in Köln. Als markanter Geronimo kann der italienische Bassist Donato di Stefano den störrischen Vater geben. Beim italienischen Bariton Renato Girolami gehört die Rolle des Geronimo auch zum Repertoire. In Köln ist er allerdings als Graf Robinson zu hören. Mit komödiantischer Übersteigerung gibt er diesen Grafengockel perfekt. Norman Reinhardt überzeugt schauspielerisch sehr und singt den Paolino mit feinem und beweglichem Tenor, doch fehlt in der Höhe etwas die Strahlkraft. Erwähnt sei auch noch des Grafen Diener als stumme Rolle, der ganz den trockenen englischen Butler gibt und Tee serviert.

Besuchte Vorstellung: 27. Juni 2018
(2. Vorstellung, Premiere am 24. Juni 2018,
Übernahme einer Produktion der Festwochen der Alten Musik Innsbruck 2016)
Staatenhaus Köln

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Filmbesprechung: „Frühling in Paris“ (Seize Printemps) von Suzanne Lindon

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt