Opernkritik: Donizettis „Anna Bolena“ – Badisches Staatstheater Karlsruhe – 2018
Gefangen in der Hofgesellschaft und den dicken Mauern des Königspalast
– Gaetano Donizettis Oper „Anna Bolena“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe –
von Klaus J. Loderer
Es sind vor allem Ewa Płonka und Nicholas Brownlee, die gesanglich in dieser Aufführung den Ton angeben. Es ist der Mezzosopran, der aufhorchen lässt. Die polnische Juilliard School-Absolventin Ewa Płonka findet als Giovanna Seymour, die historische Jane Seymour, die feinen Nuancen zwischen unschuldiger Jugendlichkeit und höfischer Grandezza, kann mädchenhaft zurückhaltend sein und dann wieder auftrumpfend. Und sie singt über das zeitweilig durchaus auftrumpfende Orchester. Ihre Stimme füllt mühelos den Saal. Der amerikanische Bariton Nicholas Brownlee gibt mit sicherer Stimme einen dominanten Henrico, den historischen König Heinrich VIII. In seinem frei nach historischen Vorbildern geschneiderten Kostüm von Moritz Junge hat Brownlee eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Heinrich VIII. der Gemälde Holbeins.
„Anna Bolena“ am Badischen Staatstheater Karlsurhe (B-Premiere):
Nicholas Brownlee (Enrico VIII), Badischer Staatsopernchor, Statisterie
Foto: Falk von Traubenberg
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Dieser englische König bereitet im Verlauf der Oper seine Ehe mit Jane Seymour vor, ihrerseits Hofdame der Königin Anne Boleyn, der zweiten Ehefrau Heinrichs VIII., die nach Geburt der Tochter Elisabeth und zweier Fehlgeburten mit Söhnen bei ihrem Ehemann in Ungnade fiel. Eine Fehlgeburt der Königin baut denn auch Regisseurin Irina Brown in ihrer Karlsruher Inszenierung markant in ein während der Ouverture ablaufendes Fest ein, wohl um zu erläutern, warum der König kein Interesse mehr an seiner Frau hat und diese mittels einer Intrige loswerden möchte. Denn in der Oper plant der König schon in der ersten Szene Jane Seymour zur Königin zu machen. Doch dazu steht Anne Boleyn im Weg. Schon wieder eine Ehe auflösen zu lassen, ging nach dem Skandal um Katharina von Aragon nicht schon wieder. Also sollte Anne Ehebruch nachgesagt werden. In der Oper holt der König dazu Riccardo Percy aus dem Exil nach England zurück, der auch prompt einen Annäherungsversuch wagt. Historisch ist es übrigens Henry Percy, der vor Annes Heirat ein Verehrer war. Beim Prozess gegen Anne war er nicht Mitangeklagter sondern einer der Geschworenen. Im Prozess von 1536 wurden mehrere angebliche Geliebte Annes angeklagt, darunter Mark Smeton, und ihr Bruder George Boleyn (in der Oper Lord Rocheford) wegen Inzest, beide Personen der Oper. Historisch ist übrigens auch das Geständnis des Musikers Smetons, der in der Oper ein Page ist, und dort vom König damit gelockt wird, die Königin mit dem Geständnis zu retten. In der Oper sorgt er durch den Diebstahl eines Medaillons mit dem Porträt der Königin für zusätzliche Verwicklung. In der Oper sind in der Schlussszene Smeton, Percy und ihr Bruder noch anwesend. Diese wurden allerdings bereits am 17. Mai 1536 hingerichtet. Dass wie in der Oper die Hofdamen bei der Enthauptung Annes am 19. Mai 1536 anwesend waren, ist nicht überliefert. Aber man weiß von königlichen Beamten, denen Anne eine kurze Rede hielt. In der Oper wurde daraus eine Wahnsinnsszene. In der Schlussszene hört man zudem die Musik der Hochzeitsfeierlichkeiten im Hintergrund. Diese war in Wirklichkeit nicht während der Hinrichtung sondern erst einige Tage später. Im Libretto wurden diese Ereignisse zur Steigerung des Effekts zusammengerafft.
Markante Elemente des Bühnenbilds von Dick Bird sind Senkblei und Kugel, erstere hängen in einigen Szenen vorn symmetrisch rechts und links. Sind diese großen umgedrehten Kegel Symbol der Bedrohung der Königin? Zumindest würde das zum Beginn des zweiten Akts passen, wenn die Hofdamen besorgt singen. In der Schlussszene hängt das Senkblei in der Mitte über einem Block, der diesen umgedrehten Kegel als Aussparung hat. Man hatte erwartet, dass das der Richtblock für die Enthauptung werden sollte, doch Anna geht schließlich nach hinten in blutroten Himmel ab. Noch ein zweites markantes Element hängt vom Himmel: es ist eine goldene Kugel in der Jagdszene. Ansonsten bildet das Bühnenbild eine stilistierte Mauer mit einem variablen Mittelteil, was zügig und flüssige verlaufende wie effektvolle Szenenwechsel ermöglicht – effektvoll ausgeleuchtet von Stefan Woinke. Geöffnet ist die Bühne tief, eine von Statisten umständlich aus zwei Teilen zusammengefügte Rampe führt zu einem Podest weit hinten hinauf – für die beiden Szenen mit dem Hofstaat und die Schlussszene. Kostümierte Statisten fahren lange Bänke oder Tische herein und hinaus für die Damen und Herren des Hofstaats. Ist der Mittelteil geschlossen, sind in dieser steif-nüchternen Architektur, die bedrohlich wirkt, schmale, fast schlitzartige Öffnungen vorhanden, die Auftritte erlauben. Eine Galerie ermöglicht manchmal Auftritte in der Höhe. In der Szene im Zimmer Annas sorgt ein goldener Vorhang weniger für Intimität denn für steifen Glanz.
Irina Brown arbeitet sich am Libretto entlang und hebt in ihrer Regie auf die Steifheit der höfischen Gesellschaft ab. Dem symmetrischen Bühnenbild entsprechen oft die symmetrischen Auftritte des Chors. Die Symbole versteht man: eine Sanduhr als Motiv der verrinnenden Zeit und des endlichen Lebens, ein Falke als Zeichen der Jagd. Herren- und Damenchor sind in der Kostümierung fast homogen. Die Soldaten darstellenden Statisten sind durch Masken völlig anonymisiert, ebenso in der Jagdszene ein Teil des Herrenchors mit Falkenmasken. Damit kontrastiert die behende Beweglichlkeit des Königs. Doch fängt es lustig an mit einem Gesellschaftsspiel um die Königin. Erst im Laufe der Handlung scheint der Hof zu versteifen. Ob Anna in der Szene des überraschenden Auftritts des Königs in ihrer „Herrengesellschaft“ wirklich so dasitzen muss wie ein Häufchen Elend, ist allerdings fraglich, schließlich wurde sie bei nichts ertappt. Sehr stimmungsvoll der Auftritt des Damenchors in der Schlussszene: die Hofdamen kommen von hinten mit Windlichtern auf die dunkle Bühne und stellen sich in Z-Form auf. An das Gesellschaftsspiel erinnert sich Anna in ihrer Wahnsinnsszene, was nun noch einmal aufblitzt.
Die Badische Staatskapelle ist für „Anna Bolena“ gut aufgestellt. Daniele Squeo betont allerdings gerne das Fortissimo, was gelegentlich auch die Sänger überdeckt. Ewa Płonka und Nicholas Brownlee wissen sich darin zu meistern. Shelley Jackson kommt als Anna Bolena nicht immer dagegen an. Überhaupt gibt Daniele Squeo dem Orchester an manchen Stellen eine Härte, an denen man eher Weichheit gewohnt ist. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass man einen Donizetti-Abend auf hohem Niveau erlebt.
Shelley Jackson wechselt in der Partie von der lebenslustigen Anna des Anfangs über eine elendige und eine in Wahnvorstellungen verfallene zur mit erhobenem Haupt zur Enthauptung schreitende Königin. Alexey Neklyudov singt zwar den Percy mit schönem und schmelzendem Tenor in den Mittellagen, scheitert aber leider an den hohen Tönen. Dilara Bastar wabert leider sehr unbestimmt durch die Rolle des Pagen Smeton. Solide Andrew Finden als Rochefort und Kammersänger Klaus Schneider als Hervey.
Besuchte Vorstellung: 30. Juni 2018
(Premiere 3. Juni 2018)
Staatstheater Karlsruhe Großes Haus
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