Opernkritik: Gaspare Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ – Theater Erfurt – 2018

Eine Vergewaltigung der Ohren 

– Gaspare Spontinis „Agnes von Hohenstaufen“ am Theater Erfurt – 

von Matthias Woehl

Die Erwartung ist groß. Alle Connaisseurs der klassischen Musik machen sich auf nach Erfurt. Endlich mal „Agnes von Hohenstaufen“ live erleben, eine Oper des italienischen Komponisten Gaspare Spontini, die zuletzt 1986 in Rom gegeben wurde und die man nur von den spärlichen CD-Einspielungen kennt.  Und dann noch in ungekürzter Fassung, das wird ein Fest! Aber nur fünf Aufführungen in zehn Tagen, die Zeit ist knapp. Somit rafft man die Freunde zusammen, Hotel, aufwändige Anreiselogistik bis alle da sind, doch zur Dernière sitzt man vollzählig pünktlich im Theater. Licht aus, das Spiel kann beginnen.

„Agnes von Hohenstaufen“ am Theater Erfurt
Foto: Lutz Edelhoff

Erste Zweifel an der musikalischen Leitung kommen schon in der Ouvertüre auf. Ist eine solche Aufführung, zu der man (auch international) anreist, und welche eine Visitenkarte für das Theater sein soll, nicht Chefsache, oder wenigstens der Grund, einen Spezialisten zu engagieren? In Erfurt anscheinend nicht. Zoi Tsokanou, jahrelang zweite Kapellmeisterin des Theater Erfurt und jetzt künstlerische Leiterin eines griechischen Orchesters, ist jedenfalls heillos überfordert.

Es geht los. Ohrenbetäubender Lärm, das Philharmonische Orchester Erfurt, verstärkt durch Mitglieder der Philharmonie Gotha-Eisenach, geben alle alles. Doch Melodien, wie man sie von den spärlichen CD Einspielungen kennt, sind nicht auszumachen, Streicher gar nicht zu hören, es ist, als ob eine Feuerwehrkapelle aus dem Thüringer Wald sich an Wagner versucht (was vielleicht sogar besser geklungen hätte). Dazu kommt dann noch der Opernchor, verstärkt durch Mitglieder des Philharmonischen Chores, der beherzt über den Krach aus dem Graben brüllt. Daraus entsteht ohrenbetäubender Lärm, der einer solchen Jubeloper, die ja zur Hochzeit von Marie von Sachsen-Weimar-Eisenach mit dem Prinzen Carl von Preußen komponiert (später vervollständigt und 1837 dann in seiner endgültigen Fassung uraufgeführt) wurde, einfach nicht gerecht wird. Solisten haben es schwer, sich da überhaupt Gehör zu verschaffen, und das macht eine Besprechung einzelner Gesangsleistungen auch fast völlig unmöglich. Hier und da vernimmt man mal eine gesungene Phrase, doch dreht sich der Sänger ein bisschen zur Seite oder steht direkt vor dem Chor, ist es schon aus. Man sieht dann nur noch, dass er den Mund bewegt.

Wenn ich ein solches Stück, das wahrlich alles andere als ein zarter Mozart ist, inszeniere, kann ich die Partien doch nicht mit irgendwelchen zarten Stimmchen besetzen. Der Tenor ist jedenfalls in meiner Vorstellung, der fünften in zehn Tagen, völlig am Ende, was man in den wenigen ruhigen Passagen auch deutlich hört. Zum Ende des ersten Aktes versagt die Stimme dann völlig.

Mein Begleiter wundert sich noch, das ich zu Beginn des zweiten Aktes überhaupt auf meinen Sitz zurückkehre, und begrüßt mich mit den Worten: „Es tut mir leid, dass die Schließerin Dich doch noch reingelassen hat“. Aber die schöne Szene im Kloster mit der wundervollen Arie der Agnes, die will ich mir nicht entgehen lassen. Wäre ich nur davongelaufen. Jetzt, in einer wirklich ruhigen Passage, stellt man fest, wie viele Instrumente daneben pfeifen. Wüsste man es nicht besser, so könnte man meinen, nicht Schönberg hätte die Zwölftonmusik erfunden, sondern Spontini. Der Damenchor beginnt, auch da heilloses Stimmgewirr, falsche Töne, falsche Einsätze, über die Claudia Sorokina als Agnes dann mit überanstrengter, stark tremolierender Stimme ihre Weisen singt. Anständige Leistungen liefern übrigens Caleb Yoo als Burggraf des Kaisers, und Siyabulela Ntlale als Phillipp-August, König von Frankreich, ab.

Auch zu Teil 3 kehre ich zurück, mittlerweile völlig entnervt vom Dauerforte. Viel schlimmer kann es ja nicht werden, dachte ich, doch weit gefehlt. Um dem Jubelfinale so richtig nachzuhelfen, singt auch noch ein Teil des Chores aus dem Rang. Ich sitze dummerweise so ungünstig, dass die Tür, eine Blechtür, durch die der Chor in den Rang gelangt, in meinem Sichtfeld liegt. Da es sich um eine Mittagsvorstellung handelt, und draußen die Sonne scheint, fällt immer wieder Licht in den Zuschauerraum, was enorm ablenkt. Regelrecht entsetzt aber bin ich von der Sensibilität der Chormitglieder, die die Tür alle ins Schloss fallen lassen.  Plopp, plopp, plopp macht es, keiner hat mal die Tür leise zugemacht um die Vorstellung nicht zu stören. So etwas passiert nicht einmal in einem Laientheater. 
Und dann ertönt es, das jubelnde Finale, jeder singt los wann er meint, dass er dran ist (gibt die Dirigentin eigentlich Einsätze?), Solisten machen Mundbewegungen, es ist laut, lauter, am lautesten, Schluss.

Das einzige, was man an diesem Nachmittag nicht geschafft hat, die wundervolle Musik Spontinis zu zerstören. Es ist so gute Musik, dass deren Wirkung sogar in dieser musikalisch unterirdischen Aufführung noch wirkt. Wenigstens einmal bin ich gerührt.

Ach ja, ich hätte fast vergessen, dass es sich ja um eine szenische Aufführung handelt, handeln sollte. Monika Gora entwirft ein durchaus passendes ansehnliches Bühnenbild, das durch das Licht von Florian Hahn oft auch effektvoll beleuchtet wird. Doch es soll auch eine Regie gegeben haben. Marc Adam ist zu dem Sujet nicht viel eingefallen. Solisten hampeln hier und da einmal hübsch umher, aber mit dem Chor wusste er so gar nichts anzufangen. Dieser kam herein, stellte sich auf, sang (bzw. brüllte) und ging wieder ab. Eine Deutung kann ich nicht ausmachen, außer, dass man einmal die üblichen Kriegsvideos projiziert, aber das ist ja nun wirklich Standard. Doch wenn nichts mehr geht, helfen Tiere. Um dem herrschaftlichen Drama, das auf der Bühne dahinplätschert, etwas Schwung zu verleihen, lässt man sogar einen echten Adler fliegen. Dolle Show. Absolut lächerlich bis peinlich das Kostümbild. Wir sehen allerlei Faschingskostüme, bis hin zum Wikinger-Helm ist alles vorhanden. Aber was will man uns da eigentlich für eine Geschichte erzählen? Gibt es an dem Haus keinen Dramaturgen?

Das schlimmste ist und bleibt aber die musikalische Katastrophe. Auch hier scheint sich keiner mal in den Zuschauerraum zu setzen, um zu hören, dass es so einfach nicht geht. Wenn ich kein Ensemble habe, um ein solch anspruchsvolles Stück zu besetzten, dann kann ich es eben nicht spielen, oder ich engagiere Sänger, die den Aufgaben gewachsen sind. Man hat doch schließlich eine Verantwortung dem Komponisten gegenüber, ihm wenigstens annähernd gerecht zu werden. Und dann das Handwerk. Ist das Orchester zu laut, dann muss ich es eben zurücknehmen, deckt der Chor die Solisten zu, dann stelle ich ihn eben etwas weiter hinten auf die Bühne, die Sänger an die Rampe. Dazu ein Beispiel: als Heinrich der Löwe auftritt, steht er ganz hinten, hinter dem riesigen Chor auf der Bühne. Wie soll der arme Mann über diese Orchester und Chormassen singen? Was denkt sich ein Regisseur dabei, das so zu machen? Wenn sich der Solist selbst nicht beschwert, wäre das die Aufgabe der Dirigentin gewesen, zu sagen, dass es so einfach nicht geht! Schweigt man aus Angst, seinen Job zu riskieren? Schweigt man aus Unwissenheit? Aus Unfähigkeit? Oder ist es einfach egal? Die Leute kommen ja, es ist ja ausverkauft!

Um so etwas auf die Bühne zu zaubern gehört eben Ensemblegeist! Hier kann er nicht vorhanden gewesen sein, denn Chorleiter, Dirigentin und Regisseur, Dramaturgie und alle anderen scheinen nicht zusammen gearbeitet zu haben. In alten Büchern liest man oft, wie das ganze Haus zur Premiere bebte, weil alle hart gearbeitet hatten, um ihr Publikum zu faszinieren, und stolz darauf war, eine gute Arbeit abgeliefert zu haben. Schon das Verhalten des Chores mit der klappenden Tür zeigt, welcher Geist im Hause herrscht. 

All den Kritikern meiner Kritiken sei dann auch der übliche aber-sie-haben-sich-doch-so-bemüht-Zahn gezogen. Es handelt sich um Berufstheater. Da erwarte ich anständige Arbeit. Ich bekomme auch kein Geld dafür, dass ich mich bemüht habe, sondern ausschließlich dafür, wenn ich anständige Arbeit abgeliefert habe. 
Völlig entnervt vom Getöse, mit einem Hörschaden, als wäre ich auf einem Hard-Rock-Konzert gewesen, verlasse ich enttäuscht das Haus. Dafür habe ich extra frei genommen, dafür bin ich angereist, Hotel, Benzin … Wäre ich mal in der ersten Pause gegangen. Bei einem Eis auf dem Domplatz, mit Kopfhörern im Ohr, einer der Einspielungen der Oper lauschend, hätte ich einen schöneren Nachmittag in Erfurt haben können.

Besuchte Vorstellung: Dernière am 10. Juni 2018 (Premiere am 1.6.2018)

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