Musical: Jerry Hermans „La cage aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) – Theater Pforzheim – 2018

Wenn da nicht Zaza wäre 

– Philipp Werner rettet als Zaza Jerry Hermans „La Cage aux Folles“ im Theater Pforzheim – 

von Matthias Woehl

Jerry Hermans Musical „La cage aux Folles“ ist so viel mehr als ein Stück über zwei Schwule mit Showelementen und lustigen Verwicklungen. Wer frühere Zeiten als schwuler Mann nicht erlebt hat, hat wohl keine Ahnung, was es bedeutet hat, seine Sexualität auszuleben. Viele waren gezwungen ein Doppelleben zu führen, da war nichts von Akzeptanz, sondern ein schwules Leben war geprägt von Versteckspielen, Angst und Erniedrigungen. In Deutschland wurde z.B. der Paragraph 175 erst 1994 gestrichen. Schwule waren alles andere als chic, und vor allem gab es wenige Identifikationsfiguren. Mitte der 1980er-Jahre fing es ganz vorsichtig an sich zu verändern. Erste offene Schwule im Fernsehen, sogar berühmte Fernsehserien, in denen es schwule Protagonisten gab, Pop-Stars die sich outeten. In dieser Zeit entstand der Film „Ein Käfig voller Narren“ und kurz danach das wundervolle Musical von Jerry Herman. So ein Stück am Broadway, das war schon eine Sensation. Vor allem gab es nun eine Geschichte, die ein Schwuler nachvollziehen, ja, nachfühlen konnte, besonders die Erniedrigung von Albin/Zaza, für den/die sich sogar die nächsten Verwandten schämten. Und dann aber doch das, was Schwules Leben ausmacht: ist es auch noch so schwer, noch so demütigend, dann wird nicht trotzdem, sondern erst recht getanzt und gelacht.

Philipp Werner als Zaza und das Ballett
Foto: Theater Pforzheim

Am Theater Pforzheim wurde die Produktion dem Regisseur Anatol Preissler anvertraut. Ihm fällt nicht viel aufregendes zum Stück ein, das haben wir an vielen Theatern der Republik alles schon spritziger und einfallsreicher gesehen. Völig überflüssig aber finde ich die eingefügte Liebesbeziehung zweier Männer aus den Cagelles, bei denen es um Akzeptanz ihrer Homosexualität in ihren Familien, und um, man halte sich fest, ihre geplante Hochzeit geht. Was für Luxusprobleme, kennt man die Situation von Schwulen in der Entstehungszeit des Stücks. Das ist unnötig und geradezu peinlich und das Stück hat genug Dramatik in sich.

Enttäuschend auch die musikalische Seite. Gerade das Theater Pforzheim, an dem ich so großartige Opern- und Operettenproduktionen gesehen habe, versagt bei „La Cage aux Folles“ fast (aber nur fast) völlig.

Geradezu entsetzt war ich, dass man tatsächlich die Cagelles mit dem Ballett besetzt. Gibt es keine Mitglieder des Opernchores oder Schauspieler die etwas singen und tanzen können, die man damit betrauen kann? Das Ballett tanzt also, und deren Stimmen werden über die Lautsprecher eingespielt. Das klingt nicht nur scheußlich, sondern sieht in diesem Fall auch noch peinlich aus, denn ein Teil des Chores bewegt zum Gesang (in guter Travestie-Tradition) den Mund, ein Teil des Balletts aber nicht. Ist es den Darstellern nicht zuzumuten, das bisschen Text zum „Opening“, „La Cage aux Folles“ oder „Die schönste Zeit ist heut“ wenigstens mit dem Mund nachzuahmen? Jede dahergelaufenen Transe kann das. Langweilig und völlig unspektakulär, gar einfach die Choreografien,  die Guido Markowitz zu verdanken sind. 

Georges ist mit Jon Geoffrey Goldsworthy  absolut rollengerecht besetzt und er singt anständig, spielt seine Rolle mehr als überzeugend. Anders sein Sohn Jean-Michel, bei dem Bernhard Meindl gesanglich als auch darstellerisch viele Wünsche offen lässt. Unterirdisch seine Verlobte Anne, gespielt von Konstanze Fischer. Sie ist (dafür kann sie nichts, dafür ist die Regie verantwortlich) eine unsympathische Zicke, die niemand zu heiraten wünschte, und somit wird die Liebesgeschichte mit Jean-Michel unglaubwürdig, ja gefährdet sogar fast die komplette Geschichte. Doch Frau Fischer kann alles, nur nicht singen. Das Duett der beiden wird zum Tiefpunkt der Aufführung. Von der Regie ebenfalls verschenkt die herrlichen Gags es Dieners Jakob, der von Johannes Blatter aber anständig gesungen wird. 

Philipp Werner als Zaza und das Ballett
Foto: Theater Pforzheim

Doch das alles ist fast egal, weil man als Zaza Phillip Werner auf der Bühne erleben darf. Ich habe noch nie eine so stimmgewaltige Zaza gehört. Das liegt natürlich daran, dass Philipp Werner ein Opernsänger und kein Musical-Darsteller ist, aber das lässt er alles andere als raushängen. Er berührt mit seinem „Mascara“, und ab dem Duett „Mit Dir im Arm“ bin ich absolut fasziniert. Er begeistert mit seiner Stimmgewalt, und mit unglaublichen Spitzentönen. Aber das ist es nicht alleine. Philipp Werner versteht es nämlich auch, die Brüche seiner Figur szenisch darzustellen. Zaza ist nicht nur eine laute und lustige Damenimitatorin, sondern eine zutiefst sensible, verletzte Person. Und das genau versteht Phillip Werner mit unglaublicher Intensität  und Emphase darzustellen. Wenn er traurig vor seinem Spiegel sitzt, oder wie er reagiert, wenn Georges ihm sagt, dass er bei der Hochzeit seines Ziehsohnes besser nicht anwesend sein sollte, dann kann man die ganze Demütigung alleine in seinem Gesicht ablesen. Wenn er zu seinem „Ich bin was ich bin“ auf einem Steg über den Orchestergraben hinausläuft, stockt einem fast der Atem. Ganz sanft beginnt er zu singen, ganz zerbrechlich, steigert sich, mir laufen tatsächlich, obwohl ich es tausendmal gehört habe, Tränen über die Wangen, und als er beim Schlusston noch eine Sommerwohnung drauf setzt, den Ton sogar noch länger hält, als das Orchester spielt,  bin ich mehr als gerührt. Tosender Applaus, aber wie komme ich jetzt in die Pause, ohne dass jemand sieht, das ich geheult habe? 

Besuchte Vorstellung: 26. Mai 2018 (Premiere 23. März 2018)
Theater Pforzheim

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