Premierenkritik: Dietrich W. Hilsdorf inszeniert Richard Wagners „Siegfried“ – Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf – 2018

Tour de Forc(e)ierung 

Premiere von Wagners „Siegfried“ an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf 

von Matthias Woehl 

Eine Wagner-Premiere an einem der bedeutendsten Opernhäuser in Deutschland. Ein Ereignis, bei dem man früher vor der Tür auf Menschen getroffen wäre, die ein „Suche Karte“- Schild in der Hand hielten. Heute sieht man dort Menschen, die Eintrittskarten hochhalten, in der Hoffnung, diese noch los zu werden, was nicht einfach gewesen sein muss, denn man konnte problemlos noch Karten an der Abendkasse erwerben.

Deutsche Oper am Rhein: „Siegfried“ – 
Mime (Cornel Frey), Siegfried (Michael Weinius)
Foto: Hans Jörg Michel

Ein Grund, warum das so ist, erklärt sich beim Anschauen und besonders beim Anhören des neuen Siegfrieds an der Rheinoper. Regisseur Dietrich W. Hilsdorf, dessen Name eigentlich für interessante Regie steht, ist zum Siegfried allerdings nicht sonderlich viel  eingefallen, und eine Deutung gar suchen wir umsonst. Das wäre an sich nicht schlimm, denn einfach mal die Geschichte erzählen, das wäre ja fast schon etwas Besonderes in der heutigen Zeit. Dabei hat Bühnenbildner Dieter Richter ein beeindruckendes Szenenbild auf die Bühne gezaubert, das viel Platz und Möglichkeiten für eine aufregende Siegfried-Inszenierung geboten hätte. Mime wohnt direkt vor einem Lokschuppen, aus dem später auch eine riesige Dampflok auf die Bühne rollt. In dessen Innern haust dann Fafner. Eine schöne Idee und ein toller Effekt, doch das weiß Herr Hilsdorf nicht wirklich angemessen zu bespielen. Dabei hatte er ein paar wirklich schöne Einfälle, die aber leider verpuffen. Vor der Vorstellung sieht man vor dem Opernhaus einen Penner an sein Fahrrad gelehnt, stehen. Eben dieser Penner kam später mit seinem Fahrrad auf die Bühne. Es war Wotan, der Wanderer. Aber ob das vielen Zuschauern überhaupt aufgefallen ist? Hätte man ihn nicht besser vor dem Eingang oder gar im Foyer platzieren sollen? Ebenfalls ein schöner Einfall, dass Erda ihrer Tochter Brünnhilde noch auf der Bühne begegnet. Doch allein die Ausführung war peinlich. Wotan setzt Erda auf ein Sofa, und dann wirft er ihr eine Decke in der Farbe des Sofas über. Auf eben dieses Sofa setzt sich dann nach ihrer Erweckung Brünnhilde. Erda wird die Decke weggezogen, die beiden erblicken sich, aber was passiert? Nichts. So schöne Möglichkeiten, die aber nicht genutzt werden. Im Programmheft findet man Beschreibungen über Zolas Roman „Bestie Mensch“, dessen Held, den Lokführer Jacques Lantier, und tiefenpsychologische Betrachtungen über das Geflecht Mime, Alberich und Siegfried. Aber wo habe ich das auf der Bühne wiedergefunden? 

Es kann auch sein, dass es anders geplant war. Aber die versammelte Sängerschar war so sehr mit dem Herauspressen von Tönen beschäftigt, dass an eine Darstellung eigentlich nicht mehr zu denken war. Der im Vorfeld schon als große neue Heldentenorhoffnung angepriesene Michael Weinius enttäuscht dabei am meisten. Er verfügt über eine wirklich schöne Stimme, ist aber von den ernormen Anforderungen der Partie heillos überfordert. Jeden Akt beginnt er mit wohlklingendem, strömendem Tenor, einer tollen Höhe, aber er versteht nicht damit zu haushalten. Im Dauerforte brüllt er sich durch den Abend, und vor jedem Aktende zittert man mit ihm, ob er es wohl bis zum Ende schafft. Besonders im Finale. Demnächst soll er als Tristan debütieren. Aber wie soll das gehen? Wie lange das gut geht, bleibt abzuwarten. Den kurzfristig für einen erkrankten Kollegen eingesprungene Cornel Frey als Mime möchte ich von diesem Komplettverriss mal herausnehmen, es ziemt sich nicht da draufzuschlagen, und den größten Teil seiner Partie bewältigt er mit Bravour. Anders ist das bei Jürgen Linn als Alberich. Er lässt eigentlich erst mal aufhorchen, sein Bariton klingt kräftig, endlich mal eine Rolle stimmlich nicht unterbesetzt, aber im laufe des Abends wird auch diese Hoffnung zerstört. Ebenfalls heillos überfordert ist Simon Neal als Wotan. Auch er brüllt mehr als er singt, ist aber wenigstens darstellerisch ein überzeugender Gottvater. Thorsten Grümbel ist mit sonorem Bass ein anständiger Fafner, der aber seine eh nicht sonderlich große Partie meist über Lautsprecher singt. Enttäuschend Okka von der Damerau als Erda. Der Gast von der Bayerischen Staatsoper rührt ordentlich im Brustregister umher, aber hohe Töne laufen bei ihr dann doch aus dem Ruder. 

Beste Sängerin des Abends ist Elena Sancho Pereg, die den leider nicht mitinszenierten Waldvogel singt. Sie tönt in herrlichen hohen Tönen aus dem Lautsprecher, man sieht sie nur zum Schlussapplaus. Fehlt nur noch eine, Linda Watson, die Hausheilige als Brünnhilde. Wer bitte hat dem ehemaligen Mezzosopran eingeredet, dass sie eine hochdramatische Sopranistin sei? Ich war zu ihrer ersten Premiere als Sopran in Düsseldorf anwesend. Das war in der alten Werner-Schroeter-Inszenierung von Tristan und Isolde, etwa um die Jahrtausendwende. Schon da war sie nicht in der Lage, auch nur einen hohen Ton „richtig“ zu singen. Das einzige was immer für sie sprach, dass sie wenigstens eine anständige Mittellage besaß, und dass diese sauber geführt war, also nicht wackelte. Seit ihrer nervtötenden Brünnhilde im Dorst-Ring in Bayreuth habe ich es vermieden, sie live zu hören. Jetzt, also zehn Jahre später, kann ich vermelden, das sie auch jetzt noch keine Brünnhilden-Qualitäten dazugelernt hat, und dass die Stimme mittlerweile auch bedenklich zu wackeln begonnen hat. Sie bleibt uns nicht nur die hohen Töne schuldig (die wenigen, die sie sang, waren natürlich zu tief) nein, auch der gesamte Rest ihrer Rolle (bekanntlich ja die am höchsten notierte Brünnhilde im Ring) singt sie komplett zu tief. Das Ganze wird dank des unfassbar schleppenden Dirigates von Axel Kober nicht spannender, und kulminiert in einem desaströsen  Schlussgesang von Siegfried und Brünnhilde, was eigentlich ein einziger Jubelgesang aus hohen und höchsten Tönen, gepaart mit einem fast orgasmatisch aufbäumenden Orchester sein sollte, hier aber nur zu einem einzigen Ausruf meinerseits führt: „Gott sei dank, es ist vorbei!“ Mit stehenden Ovationen feiert man den Abend im Publikum. Ich frage mich, warum ich die Mühen und Anstrengungen der Anreise auf mich genommen habe. Es hätte ein so schöner lauer Frühlingsabend sein können, überall, nur nicht dort! 

Besuchte Vorstellung: Premiere am 7. April 2018
Opernhaus Düsseldorf

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