Schauspiel: „Liberté“ von Albert Serra mit Ingrid Caven und Helmut Berger – Berliner Volksbühne – 2018
Das richtige Stück in der falschen Zeit
Albert Serra inszeniert sein Werk „Liberté“ an der Volksbühne Berlin – eine, nicht ganz, objektive Betrachtung
von Matthias Woehl
Eigentlich ist es kein schlechtes Stück, das Albert Serra da
geschrieben hat. Aber ein Stück über die Libertinage, also die sexuelle Freizügigkeit
des ausgehenden 18. Jahrhunderts in der heutigen Prüderie? Das musste
sowieso schief gehen. Es gibt Mätressen, in schlechten Ruf gekommene Adelige
und sonstiges williges Volk, das lustig umeinander vögelt, und eine Äbtissin,
die versucht, ihre Novizinnen zu ordentlichen Lustdienerinnen zu erziehen und
auf dem Liebesmarkt feilzubieten. Ähnlich den für das Theater umgearbeiteten
Versionen des Romans „Gefährliche Liebschaften“ von
Pierre-Ambroise-Francois Choderlos de Laclos. Doch ob ein solcher Stoff in den
heutigen bigotten Zeiten überhaupt noch jemandem etwas zu sagen hat? Wenigstens
hatten Menschen, die die alten Flower-Power Zeiten oder die Gay-Szene der 1980er
Jahre noch erlebt haben, die Möglichkeit sich sentimental an gute alte Zeiten
zu erinnern.
Liberté. Volksbühne 2018. Mit:
Ingrid Caven Foto: Román Yñan |
Warum das alles trotzdem nicht funktionierte, lag wohl an
dem verlernten Handwerk heutiger Theatermacher. Einzig das Bühnenbild von
Sebastian Vogler und das atmosphärische Licht von Johannes Zotz erinnern an
alte großartige Theaterzeiten. Doch alles andere ist mehr als dilettantisch.
Wir befinden uns an einer der bedeutendsten Sprechbühnen des Landes und man
benutzt: Headsets. Ja, Sie haben richtig gelesen, man spricht mit Mikrofon. Das
schlimmste aber ist, dass man trotz der Mikrofone nichts versteht. Zudem hat
das Stück nur Text für eine Stunde Theater, aber der Autor und Regisseur hat
das Ganze auf zweieinhalb Stunden gestreckt. Ihm fällt einfach nichts ein, die
Zeit unterhaltsam zu gestalten oder mit Aktion zu füllen. Es werden Sänften
hinein und hinaus getragen, es wird angebändelt, kopuliert, intrigiert oder gar
beim Liebesspiel mal hübsch gepeitscht (Marquis de Sade lässt grüßen, durchaus
passend, auch ein Vertreter der Libertinage) aber so richtig mag der Funke
nicht überspringen. Für alle, die das gute alte Outside-Cruising noch kennen,
war das sicherlich eine Rückerinnerung an aufregende Nächte, bei denen übrigens
gerade die Nummern die Besten waren, die sich langsam entwickelten, aber das
füllt ja noch keinen Theaterabend.
Unterirdisch aber das darstellende Personal – von den beiden
Hauptrollen abgesehen, zu denen wir noch kommen. Da schlurft man gelangweilt
über die Bühne, spricht, als hätte man starke Beruhigungsmittel eingeworfen,
ist unbeteiligt, wirkt gelangweilt. Tiefstpunkte der Aufführung die angeblich
so berühmten Schauspielerinnen Jeanette Spassova als Äbtissin Kladnitssa, Ann
Göbel als Mademoiselle de Geldöbel und Anne Tismer als Comtesse de Weinsbach.
Hier wird genuschelt, was das Zeug hält. Das erfährt einen weiteren Tiefstpunkt
durch den Einsatz von fremdsprachigen Darstellern, die der deutschen Sprache
überhaupt nicht mächtig zu sein scheinen. Da tritt ein Stefano Cassetti als
Graf von Tesis auf und eine Johanna Dumet (laut ihrer Webseite eine Malerin und
Textilkünstlerin) als Madame de Dumeval, bei denen die englischen Übertitel
(man ist ja so „international“ in Berlin) helfen, denn man kann lesen, was sie
zu sagen versuchen. Aber bitte was soll das? Was haben diese Leute auf einer
Sprechbühne zu suchen? Wem gibt das etwas?
Doch dann plötzlich horcht man auf. Es wird aus einer Sänfte
gesprochen, und zwar gesprochen, ordentlich artikuliert, ich verstehe plötzlich
jedes Wort: Helmut Berger beginnt mit seiner Rolle als Duc de Walchen. Wer
jetzt denkt „ach der Berger, der war doch nur der Lustknabe von Visconti“, dem
sei gesagt: mag sein, aber dabei hat er wenigstens ordentlich sprechen gelernt.
Er gestaltet anständig mit der Stimme, bei ihm versteht man worum, es geht, mit
jeder Silbe! Schauspielerisch kann man ihn fast nicht beurteilen, denn er
verlässt seine Sänfte nur zum Ende des Stücks, was ihm körperlich sichtlich
schwer fällt. Das passt zu seiner Rolle, denn der Freidenker und Verführer de
Walchen leidet an Syphilis, der er zum Schluss des Stücks auch erliegt.
Doch das, all das interessiert mich eigentlich überhaupt
nicht, denn meine Diva steht auf der Bühne: Ingrid Caven. Unvergessen ihre
Rollen in vielen Fassbinder Filmen (besonders beeindruckend davon
„Satansbraten“ und „In einem Jahr
mit 13 Monden“), grandios ist sie auch in Werner Schroeters „Tag der Idioten“,
in „Der Tod der Maria Malibran“ oder „Goldflocken“, in Daniel Schmidts „La
Paloma“ oder Wally Bockmeyers „Looping“. Doch da ist für die Caven nicht
Schluss gewesen, denn parallel feierte sie ja als Diseuse ebenfalls große Erfolge, auf Schallplatte und auf
der Bühne. Ihre Chansons komponierte meist Peer Raben, die mit Texten aus der
Feder von Rainer-Werner Fassbinder, Wolf Wondratschek, Hans Magnus Enzensberger
als auch von Ingrid Caven selbst versehen wurden. Was habe ich nicht für
grandiose Chansonabende mit ihr erlebt! Einzigartig, mit nichts vergleichbar.
Wenn man Frau Caven im echten Leben begegnet, fällt einem auf, dass sie eine
ganz besondere, ganz eigene Aura umgibt, etwas, was andere Künstler so nicht
unbedingt haben. Das vermittelt sich auch, alsbald man sie als Duchesse de
Valselay durch die Vorhänge in ihrer Sänfte erspäht. Auch sie kann man
verstehen, auch da entsteht ein Bezug zum Stück, allein schon in der Stimme,
und wie passend zu der vom Hofe verbannten Mätresse, einer Freundin der
Comtesse Dubarry. Ab da ist der Abend groß, ähnlich wie bei einem Abend in der
Oper Bonn. Dort gab man ein modernes Musikstück, eigentlich unhörbar, unfassbar
langweilig. Man ließ Frau Caven in einer Gondel über die Bühne schweben, und
sie zitierte irgendwelche Texte oder Gedichte, was es für mich unvergessen
machte. So wird es mir auch mit „Libertè“ gehen, denn das Stück endet mit einer
wundervollen Szene. Nachdem der Duc de Walchen auf der Bühne verblichen ist,
ertönt Musik, und Ingrid Caven beginnt zu singen. Es ist fast egal was sie
singt, oder welche Sprache es sei sollte, ich vernahm Ave verum, auch Ave
Maria. Wo kommt der Gesang her? Ich drehe mich um, sehe sie im ersten Rang
stehen, von hinten beleuchtet, die Arme ausgebreitet, man sieht nur ihren
Schatten, von gleißendem Licht umrandet. Das alleine entschädigt für alles was
man vorher erleiden musste.
Besuchte Vorstellung: 24. Februar 2018
Volksbühne Berlin
Der Autor betreibt die Seite Callas&Co mit historischen Aufnahmen
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