Opernrarität: „Der Rebell des Königs“ (Cinq-Mars) von Charles Gounod an der Oper Leipzig – 2018


Kein Happy End in der goldgerahmten Hofgesellschaft 

– Oper Leipzig zeigt Opernrarität „Der Rebell des Königs“ (Cinq-Mars) von Charles Gounod in opulenter Ausstattung – 

von Klaus J. Loderer

Es ist eine kurze Szene der Zerissenheit, die ein markantes Bild für diese Oper gibt: Henri de Cinq-Mars und die Princesse Marie werden von den Höflingen voneinander getrennt. Die gesellschaftlichen Etikette lassen es nicht zu, dass ein Marquis etwas mit der ranghöheren Princesse anfängt, die zudem aus Gründen der Staatsräson in ein königliches Haus verheiratet werden soll. 

Der Rebell des Königs / Cinq-Mars – Premiere 20. Mai 2017 – erster Akt

Mathias Vidal (Marquis de Cinq-Mars), Jonathan Michie (Conseiller de Thou), Fabienne Conrad (Prinzessin Marie de Gonzague), Chor der Oper Leipzig

© Tom Schulze

Durch einen Bildzyklus scheint uns Bühnenbildner Markus Meyer zu führen in der Leipziger Produktion von Charles Gounods Oper „Cinq-Mars“. Dazu trägt die Bühnenrahmung in Form zweier großer vergoldeter Bilderrahmen bei. Dahinter werden üppige Tableaux sichtbar, die diese in Vergessenheit geratene Oper illustrieren. Und wie in einer Gemäldegalerie sehen wir Bild nach Bild der Oper, die mit deutschem Titel „Der Rebell des Königs“ heißt. Dass diese Rebellengeschichte übel ausgeht, macht Regisseur Anthony Pilavachi schon während der Ouvertüre deutlich: Zwei vom Körper abgetrennte Köpfe entsetzen die Princesse Marie. Auch das Libretto weist schon früh auf das tragische Ende der Oper hin. Die beiden Freunde Henri de Cinq-Mars und de Thou geben ihr Schicksal in die Hand einer zufällig gefundenen Textzeile: „Sie wurden durch das gleiche Schwert gerichtet und ihr Blut einte sich im gleichen Grab“. Nach „Die Perlenfischer“ (1863) und zehn Jahre nach Verdis „Don Carlo“ (1867) mit dem wunderbaren Duett zwischen Carlo und Posa nun 1877 mit „Cinq-Mars“ wieder eine musikalische Schicksalsverbindung zwischen zwei Männern. Die auf einem Roman von Alfred de Vigny basierende Oper greift einen historischen Stoff aus dem 17. Jahrhundert auf aus dem Umfeld des französischen Königs Ludwig XIII., dem Vater des Sonnenkönigs, und Kardinal Richelieu. Wie in Alexandre Dumas’ Roman „Die drei Musketiere“ erhält der Kardinal wenig Sympathie. Geradezu verabscheuungswürdig ist in der Oper sein Spitzel, der Pater Joseph, gezeichnet.

Die Oper scheint in Leipzig auf den ersten Blick historisierend inszeniert zu sein. Doch handelt es sich eher um eine historisch sehr freie Bebilderung. So haben die Bühnenbilder wenig mit der Zeit des französischen Königs Ludwig XIII. zu tun, in der die Oper spielt. Diese Bildcollagen sind eindrucksvoll und tragen sicherlich maßgeblich zum Erfolg dieser Produktion beim Publikum bei. Im ersten Akt zerlegt Markus Meyer Fotos der Treppe der Königin aus dem Schloss von Versailles in geradezu kubistischer Manier in  Einzelteile und setzt sie zu einem Bild, das fast schon an die Piranesi oder M. C. Escher erinnert, wieder zusammen. Es dient zur Illustration des Schlosses des Marquis de Cinq-Mars, der seinem Freund de Thou gesteht, in die Princesse Marie de Gonzague verliebt zu sein. Diese soll allerdings nach den Vorstellungen des Kardinals Richelieu den polnischen König heiraten. Doch auch sie liebt heimlich den Marquis, wie wir gegen Schluss der Szene erfahren. Dass Cinq-Mars gerade jetzt von Richelieu an den königlichen Hof berufen wird, macht die Sache noch komplizierter, denn der Hof ist durch die zerstrittenen Anhänger von König und Kardinal gespalten. Das zeigt uns der Chor gleich im ersten Akt. Markus Meyer hat die Kostüme entsprechend markant gestaltet: schwarz mit weißen Kragen für die Anhänger des Kardinals gegen farbenfroh mit Allongeperücken für die Anhänger des Königs.

Als Räume des Königs sehen wir im zweiten Akt einen Hintergrund in der Art der gemalten Bühnenperspektiven des 18. Jahrhunderts mit drei Säulenhallen. Davor arrangiert sich die gespreizte Hofgesellschaft um die beiden Kurtisanen Marion Delorme und Ninon de Lenclos, die beim inzwischen zum Oberstallmeister aufgestiegenen Cinq-Mars um Beistand gegen die von Richelieu ausgesprochene Verbannung aus Paris bitten möchten. Dass Ludwig XIII. zu seinem Günstling Cinq-Mars durchaus eine erotische Nähe sucht, deutet der Regisseur dezent an. Für den Verlauf der Handlung ist aber eher wichtig, dass Cinq-Mars auf ein Versprechen des Königs baut, die Princesse Marie heiraten zu können, der Kardinal dies aber strikt ablehnt. Cinq-Mars begehrt dagegen auf und schließt sich einer Verschwörung von Adeligen gegen den Kardinal an.

Der Rebell des Königs / Cinq Mars – Premiere 20. Mai 2017 – zweiter Akt

© Tom Schulze

Die nächste Szene dient vor allem dazu, ein Ballett unterzubringen. Da schwelgt man in Leipzig in Opulenz. Im Palais der Lebedame Marion Delorme wird ein galantes Stück gezeigt. Wir sehen den gemalten Bühnenvorhang aus dem Palais Garnier. Zum 19. Jahrhundert passen die Kostüme der Damen, während die Herren ganz barock gekleidet sind. Mit dem Öffnen des Vorhangs wird das Treppenhaus des Palais Garnier sichtbar und es entfaltet sich das galante Stück mit Ballett in barocker Üppigkeit: wozu das goldene Pferdegespann aus dem Bassin d’Apollon im Schlosspark von Versailles den dekorativen Hintergrund bildet. Julia Grunwald hat dafür ein dekoratives Ballett um eine spröde Schäferin choreographiert. Im Speisezimmer wird dann anschließend konspiriert. Dass unter dem Tisch sich zwei zusätzlich eingeführte Gestalten verstecken, nämlich der Hofnarr und die Hofzwergin, gibt der Szene zusätzlich Spannung. Diese beiden sind fast die ganze Oper über unbeachtet anwesend und man ahnt schnell, dass sie das Erlauschte an Pater Joseph weitergeben. So ahnt der Zuschauer, dass diese Verschwörung wohl schon bald aufgedeckt wird.

Im dritten Akt lässt Gounod das Glück von Henri und Marie und die Vergeblichkeit ihrer Liebe aufeinanderprallen – nicht von ungefähr erinnert die Konzeption an Wagners „Tristan und Isolde“. In der Leipziger Inszenierung offenbart Pater Joseph in dieser eindrücklichen Szene seine ganze perfide Verderbtheit mit einem Vergewaltigungsversuch an Marie, die er schließlich zwingt, dem polnischen Gesandten die Einwilligung zur Ehe mit dem polnischen König zu geben. Dass der Gesandte erst einmal das Gebiss der Braut prüft und der König Marie körperlich zwingt, ihre Zustimmung zu geben, verdeutlicht, wie ausgeliefert die Princesse hier ist.

Sie lässt sich aber trotzdem nicht davon abhalten, den inzwischen gefangen genommenen Cinq-Mars, der zusammen mit Le Thou im Kerker schmachtet, zu besuchen. Allerdings wird ihr Befreiungsversuch durch die Vorverlegung der Hinrichtung durchkreuzt. Frech grinsend lässt Pater Joseph die beiden Freunde zur Hinrichtung abführen.

„Cinq-Mars“ ist eine dieser vergessenen Opern, bei denen man sich fragt, warum sie eigentlich nicht öfters aufgeführt werden. Die Musik entwickelt sich in ihrer Dramatik stetig. Besonders der dritte und der vierte Akte setzen musikalische Höhepunkte. Von Ulf Schirmer, Generalmusikdirektor der Leipziger Oper, gibt es mit dem Münchner Rundfunkorchester auch eine Einspielung der Oper, die bei Palazzetto Bru Zane erschienen ist. In Leipzig liegt die musikalische Leitung in Händen von David Reiland, der mit dem fein intonierenden Gewandhausorchester in Gounods wunderbarer Musik schwelgt. Eine wichtige Rolle spielt der Chor, der von Thomas Eitler-de Lint exakt einstudiert wurde und in der Inszenierung mehr als nur dekorative Wirkung zu erzielen hat.

Es ist aber auch ein gutes Sängerensemble, das den Besuch dieser Opernaufführung zu einer wirklichen Freude macht. Da ist vor allem der Mathias Vidal als Henri de Cinq-Mars zu nennen, der nicht nur wendig und einfühlsam diese Rolle von Aufstieg, Selbstüberschätzung und Leiden spielt, sondern auch mit seinem schönen Tenor überzeugt. Jonathan Michie singt Le Thou mit warmem Bariton. Bass-Bariton Mark Schnaible betont in seiner Rollengestaltung die Schmierigkeit und Doppelmoral des Paters Joseph. Fabienne Conrad singt die Princesse Marie mit betörendem Sopran. Einen schönen Auftritt gibt die zweite Sopranistin Danae Kontora als Marion Delorme bei der Einleitung ihres Festes. Dort glänzt Mezzosopran Sandra Maxheimer (Ninon de Lenclos) als Schäfer im Ballett.

Besuchte Vorstellung: 20. Januar 2018
(4. Vorstellung seit der Premiere am 20. Mai 2017)
Opernhaus Leipzig

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt

Buchbesprechung: Paul Abraham, der tragische König der Operette – eine Biographie von Klaus Waller