Opernrarität: „Der Rebell des Königs“ (Cinq-Mars) von Charles Gounod an der Oper Leipzig – 2018
Kein Happy End in der goldgerahmten Hofgesellschaft
– Oper Leipzig zeigt Opernrarität „Der Rebell des Königs“ (Cinq-Mars) von Charles Gounod in opulenter Ausstattung –
von Klaus J. Loderer
Es ist eine kurze Szene der Zerissenheit, die ein markantes
Bild für diese Oper gibt: Henri de Cinq-Mars und die Princesse Marie werden von
den Höflingen voneinander getrennt. Die gesellschaftlichen Etikette lassen es
nicht zu, dass ein Marquis etwas mit der ranghöheren Princesse anfängt, die
zudem aus Gründen der Staatsräson in ein königliches Haus verheiratet werden
soll.
Durch einen Bildzyklus scheint uns Bühnenbildner Markus
Meyer zu führen in der Leipziger Produktion von Charles Gounods Oper
„Cinq-Mars“. Dazu trägt die Bühnenrahmung in Form zweier großer vergoldeter
Bilderrahmen bei. Dahinter werden üppige Tableaux sichtbar, die diese in
Vergessenheit geratene Oper illustrieren. Und wie in einer Gemäldegalerie sehen
wir Bild nach Bild der Oper, die mit deutschem Titel „Der Rebell des Königs“
heißt. Dass diese Rebellengeschichte übel ausgeht, macht Regisseur Anthony
Pilavachi schon während der Ouvertüre deutlich: Zwei vom Körper abgetrennte Köpfe
entsetzen die Princesse Marie. Auch das Libretto weist schon früh auf das
tragische Ende der Oper hin. Die beiden Freunde Henri de Cinq-Mars und de Thou
geben ihr Schicksal in die Hand einer zufällig gefundenen Textzeile: „Sie
wurden durch das gleiche Schwert gerichtet und ihr Blut einte sich im gleichen
Grab“. Nach „Die Perlenfischer“ (1863) und zehn Jahre nach Verdis „Don Carlo“
(1867) mit dem wunderbaren Duett zwischen Carlo und Posa nun 1877 mit
„Cinq-Mars“ wieder eine musikalische Schicksalsverbindung zwischen zwei Männern.
Die auf einem Roman von Alfred de Vigny basierende Oper greift einen
historischen Stoff aus dem 17. Jahrhundert auf aus dem Umfeld des französischen
Königs Ludwig XIII., dem Vater des Sonnenkönigs, und Kardinal Richelieu. Wie in
Alexandre Dumas’ Roman „Die drei Musketiere“ erhält der Kardinal wenig
Sympathie. Geradezu verabscheuungswürdig ist in der Oper sein Spitzel, der
Pater Joseph, gezeichnet.
Die Oper scheint in Leipzig auf den ersten Blick
historisierend inszeniert zu sein. Doch handelt es sich eher um eine historisch
sehr freie Bebilderung. So haben die Bühnenbilder wenig mit der Zeit des
französischen Königs Ludwig XIII. zu tun, in der die Oper spielt. Diese
Bildcollagen sind eindrucksvoll und tragen sicherlich maßgeblich zum Erfolg
dieser Produktion beim Publikum bei. Im ersten Akt zerlegt Markus Meyer Fotos
der Treppe der Königin aus dem Schloss von Versailles in geradezu kubistischer
Manier in Einzelteile und setzt
sie zu einem Bild, das fast schon an die Piranesi oder M. C. Escher erinnert, wieder
zusammen. Es dient zur Illustration des Schlosses des Marquis de Cinq-Mars, der
seinem Freund de Thou gesteht, in die Princesse Marie de Gonzague verliebt zu
sein. Diese soll allerdings nach den Vorstellungen des Kardinals Richelieu den
polnischen König heiraten. Doch auch sie liebt heimlich den Marquis, wie wir
gegen Schluss der Szene erfahren. Dass Cinq-Mars gerade jetzt von Richelieu an
den königlichen Hof berufen wird, macht die Sache noch komplizierter, denn der
Hof ist durch die zerstrittenen Anhänger von König und Kardinal gespalten. Das
zeigt uns der Chor gleich im ersten Akt. Markus Meyer hat die Kostüme
entsprechend markant gestaltet: schwarz mit weißen Kragen für die Anhänger des
Kardinals gegen farbenfroh mit Allongeperücken für die Anhänger des Königs.
Als Räume des Königs sehen wir im zweiten Akt einen
Hintergrund in der Art der gemalten Bühnenperspektiven des 18. Jahrhunderts mit
drei Säulenhallen. Davor arrangiert sich die gespreizte Hofgesellschaft um die
beiden Kurtisanen Marion Delorme und Ninon de Lenclos, die beim inzwischen zum
Oberstallmeister aufgestiegenen Cinq-Mars um Beistand gegen die von Richelieu
ausgesprochene Verbannung aus Paris bitten möchten. Dass Ludwig XIII. zu seinem
Günstling Cinq-Mars durchaus eine erotische Nähe sucht, deutet der Regisseur
dezent an. Für den Verlauf der Handlung ist aber eher wichtig, dass Cinq-Mars
auf ein Versprechen des Königs baut, die Princesse Marie heiraten zu können,
der Kardinal dies aber strikt ablehnt. Cinq-Mars begehrt dagegen auf und schließt
sich einer Verschwörung von Adeligen gegen den Kardinal an.
Der Rebell des Königs / Cinq Mars – Premiere 20. Mai 2017 – zweiter Akt
© Tom Schulze
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Die nächste Szene dient vor allem dazu, ein Ballett
unterzubringen. Da schwelgt man in Leipzig in Opulenz. Im Palais der Lebedame
Marion Delorme wird ein galantes Stück gezeigt. Wir sehen den gemalten
Bühnenvorhang aus dem Palais Garnier. Zum 19. Jahrhundert passen die Kostüme
der Damen, während die Herren ganz barock gekleidet sind. Mit dem Öffnen des
Vorhangs wird das Treppenhaus des Palais Garnier sichtbar und es entfaltet sich
das galante Stück mit Ballett in barocker Üppigkeit: wozu das goldene
Pferdegespann aus dem Bassin d’Apollon im Schlosspark von Versailles den
dekorativen Hintergrund bildet. Julia Grunwald hat dafür ein dekoratives
Ballett um eine spröde Schäferin choreographiert. Im Speisezimmer wird dann
anschließend konspiriert. Dass unter dem Tisch sich zwei zusätzlich eingeführte
Gestalten verstecken, nämlich der Hofnarr und die Hofzwergin, gibt der Szene
zusätzlich Spannung. Diese beiden sind fast die ganze Oper über unbeachtet
anwesend und man ahnt schnell, dass sie das Erlauschte an Pater Joseph
weitergeben. So ahnt der Zuschauer, dass diese Verschwörung wohl schon bald
aufgedeckt wird.
Im dritten Akt lässt Gounod das Glück von Henri und Marie
und die Vergeblichkeit ihrer Liebe aufeinanderprallen – nicht von ungefähr
erinnert die Konzeption an Wagners „Tristan und Isolde“. In der Leipziger Inszenierung
offenbart Pater Joseph in dieser eindrücklichen Szene seine ganze perfide
Verderbtheit mit einem Vergewaltigungsversuch an Marie, die er schließlich
zwingt, dem polnischen Gesandten die Einwilligung zur Ehe mit dem polnischen
König zu geben. Dass der Gesandte erst einmal das Gebiss der Braut prüft und
der König Marie körperlich zwingt, ihre Zustimmung zu geben, verdeutlicht, wie
ausgeliefert die Princesse hier ist.
Sie lässt sich aber trotzdem nicht davon abhalten, den
inzwischen gefangen genommenen Cinq-Mars, der zusammen mit Le Thou im Kerker
schmachtet, zu besuchen. Allerdings wird ihr Befreiungsversuch durch die
Vorverlegung der Hinrichtung durchkreuzt. Frech grinsend lässt Pater Joseph die
beiden Freunde zur Hinrichtung abführen.
„Cinq-Mars“ ist eine dieser vergessenen Opern, bei denen man
sich fragt, warum sie eigentlich nicht öfters aufgeführt werden. Die Musik
entwickelt sich in ihrer Dramatik stetig. Besonders der dritte und der vierte
Akte setzen musikalische Höhepunkte. Von Ulf Schirmer, Generalmusikdirektor der
Leipziger Oper, gibt es mit dem Münchner Rundfunkorchester auch eine
Einspielung der Oper, die bei Palazzetto Bru Zane erschienen ist. In Leipzig
liegt die musikalische Leitung in Händen von David Reiland, der mit dem fein
intonierenden Gewandhausorchester in Gounods wunderbarer Musik schwelgt. Eine
wichtige Rolle spielt der Chor, der von Thomas Eitler-de Lint exakt einstudiert
wurde und in der Inszenierung mehr als nur dekorative Wirkung zu erzielen hat.
Es ist aber auch ein gutes Sängerensemble, das den Besuch
dieser Opernaufführung zu einer wirklichen Freude macht. Da ist vor allem der
Mathias Vidal als Henri de Cinq-Mars zu nennen, der nicht nur wendig und
einfühlsam diese Rolle von Aufstieg, Selbstüberschätzung und Leiden spielt,
sondern auch mit seinem schönen Tenor überzeugt. Jonathan Michie singt Le Thou
mit warmem Bariton. Bass-Bariton Mark Schnaible betont in seiner
Rollengestaltung die Schmierigkeit und Doppelmoral des Paters Joseph. Fabienne Conrad
singt die Princesse Marie mit betörendem Sopran. Einen schönen Auftritt gibt die
zweite Sopranistin Danae Kontora als Marion Delorme bei der Einleitung ihres
Festes. Dort glänzt Mezzosopran Sandra Maxheimer (Ninon de Lenclos) als Schäfer
im Ballett.
Besuchte Vorstellung: 20. Januar 2018
(4. Vorstellung seit der Premiere am 20. Mai 2017)
Opernhaus Leipzig
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