Premierenkritik: „Dialogues des Carmélites“ – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – 2018
Nonnen sind doch keine Xanthippen
Premiere von Poulencs „Dialogues des Carmelites“ im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
von Matthias Woehl
Die „Gespräche der Karmeliterinnen“ gehören für mich zu den
berührenden Bühnenwerken. Die Geschichte um die Hinrichtung von 16 Karmeliterinnen
aus dem Kloster von Compiègne schockiert mich immer wieder, besonders weil das
ganze am 17. Juli 1794 wirklich stattgefunden hat. Wie man auf diese Revolution,
die etwa 20.000 Menschen das Leben kostete, stolz sein kann, und dass man das
tatsächlich jedes Jahr sogar noch feiert, ist mir ein Rätsel. Zu den
schrecklichen Vorgängen komponierte Poulenc eine unglaublich berührende Musik,
und die Schluss-Szene mit dem jeweils herabsausenden Fallbeil, ist so
eindringlich, dass es mir jedes Mal die Tränen in die Augen treib. Fällt der
Vorhang, kann ich manchmal nicht einmal klatschen, und es beruhigt mich fast,
das es dem Publikum in Gelsenkirchen für einen Moment auch so nahe ging, dass
erst einmal absolute Stille herrschte, bevor dann langsam der Applaus
begann.
Almuth Herbst (Mère Marie) und Noriko Ogawa-Yatake (alte
Priorin)
Foto: Karl und Monika Foster
|
Die Inszenierung von Ben Baur ist wirklich schön anzusehen.
Alles beginnt in der verwüsteten Bibliothek des Marquis de la Force. Blanche
wird von ihren Ängsten getrieben, und man bekommt Bedrohliches, wie die
Volksmenge, als Schatten auf der Wand eingeblendet. Das ist ein toller Effekt,
der auch nach dem Tod der alten Priorin noch einmal eingesetzt wird. Die
aufgebahrte Priorin wird ebenfalls als Schatten auf die Wand projiziert, dann
ausgeblendet, als ginge sie in eine andere Dimension über. Das Bühnenbild
bewegt man im ersten Teil überhaupt nicht, nach der Pause aber ununterbrochen.
Daraus entstehen schöne Räume und Bilder, aber was vorher zu wenig ist, ist
dann etwas zu viel. Die Finalszene hat man ja schon in vielen beeindruckenden
Versionen gesehen, aber dass die Karmeliterinnen einfach nur eine Kerze halten,
diese ausblasen und dann von der Bühne gehen, fand ich für die vorher gesehenen
intensiven Bilder, etwas einfach.
Noch etwas anderes stört mich, nämlich die zickige Zeichnung
mancher Figuren. Die alte Priorin stirbt im Siechtum, aus dem Text entnehmen
wir, dass sie liegen muss. Auf der Bühne aber sehen wir eine völlig
ausgeflippte, extrem agile Priorin, keifend und mit so viel Energie, das zwei
Nonnen sie nicht bändigen können. Ist das angemessen? Genauso Mère Marie. Sie
wird als eifersüchtige, herrische und zickige Person dargestellt. Natürlich
rügt sie Blanche dafür, dass sie die Totenwache der Priorin unterbricht, aber
doch nicht aus Boshaftigkeit. Mère Marie ist auch die Schwester, die in den
schlimmen und angsterfüllten Stunden für Zusammenhalt sorgt, das Martyrium
vorschlägt, also eine Frau die den Mitschwestern Halt bietet. Diese Frau hätte
nicht ausgeschlagen, dass sich die Schwestern an den Händen halten, wie uns
leider vorgeführt wurde. Im richtigen Leben ist sie übrigens diejenige, die,
weil sie als Einzige überlebte, die Geschichte aufgeschrieben und überliefert
hat.
Nun aber zum Gesang. Allen voran, und die beste Sängerin des
Abends, ist Noriko Ogawa-Yatake als alte Priorin. Sie versteht es, mit der
Stimme darzustellen, hat für alles, ihre Verzweiflung, ihre Zuneigung zu
Blanche, ihre Wut, die richtige Klangfarbe bereit, kann in Sekunden ein anderes
Gefühl transportieren, ohne den großen Bogen über allem zu vergessen. Bravo.
Auch darstellerisch geht sie in die Vollen, auch wenn mir das, aus den bereits
beschriebenen Gründen, von der Regie her nicht angemessen erscheint. Bele
Kumberger singt die Blanche, die leider in der Höhe (und das bräuchte die Rolle
unbedingt) etwas angestrengt, gar
metallisch klang. Sie tippte manche hohen Töne leider nur mal kurz an, ließ ein
(ebenfalls für die zarte Person unbedingt nötiges) Legato vermissen. Ihr
Bruder, der Chevalier de la Force, gesungen von Ibrahim Yesilay, das genaue
Gegenteil, mit herrlichen Spitzentönen und einem schönen Legato. Was die beiden
unterschied. machte das Duett im zweiten Akt deutlich. Almuth Herbst sang und
spielte eine beeindruckende Mére Marie, auch wenn die Stimme hier und da leider
bedenklich wackelte. Großartig Petra Schmidt als neue Priorin, eindringlicher
Gesang gepaart mit einer berührenden Darstellung. Ihr ebenbürtig auch Dongmin
Lee als rührende Constance. Großartig das Orchester unter der Leitung von
Rasmus Baumann.
Ob Applaus nach gerade dieser Oper angebracht ist, darüber
kann man diskutieren. Eines aber ist klar: Das Stück ist ein Ensemble-Stück,
keine „Diven“-Oper. Wie man nach der Hinrichtung von 16 Nonnen, dem „Salve
Regina“-Chor, einer Blende nach dem letzten Ton, Stille im Publikum, der Blanche
einen Solo-Vorhang hininszenieren kann, ist mir ein Rätsel. Ich weiß, manche
Dinge sind mir aber einfach heilig, und da kann ich nicht anders, als solche
unsensiblen Geschmacklosigkeiten anzuprangern. Ein Abend den man erlebt haben
muss.
Besuchte
Vorstellung: Premiere am 27. Januar 2018
Musiktheater im
Revier, Gelsenkirchen
Kommentare
Kommentar veröffentlichen