Premierenkritik: Janaceks „Jenufa“ – Staatstheater Darmstadt – 2017
Was bedeutet der Schweinskopf?
Premiere von Janaceks „Jenufa“ im Staatstheater Darmstadt
von Matthias Woehl
Ach Jenaufa, das arme Ding, über der man das Unglück mit
Kübeln ausschüttet. Eine Oper die mich immer wieder bist auf’s Mark rührt. Auch
wenn der angeblich „kultivierte“ Städter von heute das Stück gerne belächelt,
so muss ich doch sagen, das die Geschichte selbst heute noch genauso
stattfinden könnte, und genau auch da, in der Stadt. Jede Figur ist (so für
sich gesehen) in ihrem Tun absolut nachvollziehbar, selbst die angebliche
Bigotterie der Küsterin, die eigentlich gar nicht so bigott denkt, sondern es
(trotz oder besser mit dem grauenvollen Kindsmord) gut mit ihrer Ziehtochter
meint. Regisseur Dirk Schmeding hat die Oper – dem Interview im Programmheft nach –
„abgeschmeckt“. Soso. Wir sehen eigentlich eine klassiche Jenufa (wie so was
eben seit Jahrzehnten gemacht wird). Man dichtet einen Schweinskopf hinzu (was
sich mir nicht erklärt), zappelt im ersten Akt grundlos umher, und das war es
dann auch schon. Das war O.K., aber war das Staatstheaterqualität?
Musikalisch war es das schon eher. Will Humburg dirigiert
ein bestens aufgestelltes Orchester, und lässt die vielen Schichten der Musik
erklingen. Ihm gelingt es auch, die Schönheit und die leisen Stellen differenziert
ertönen zu lassen. Dazu singt Katharina Persicke eine großartige Junufa. Sie
singt sauber, ohne Vibrato, und mit herrlichen Spitzentönen. Dazu stellt sie
die Jenufa auch herzzerreißend dar. Gerade im zweiten Akt, wenn sie wieder
erwacht, hat sie einen wunderschönen Schmelz in der Stimme, versteht aber auch,
ihre Ausbrüche mit der Stimme dramatisch zu gestalten.
Leider ist ihr Stewa, gesungen von Mickael Spadaccini, die
stimmliche Katastrophe des Abends. Singen wollen wir das nicht nennen, er bellt,
brüllt, oder spricht. Zudem zappelt er im ersten Akt, King-Kong nicht
unähnlich, auf der Bühne herum, was auch nicht überzeugen kann. Das einzige,
was ihn für die Rolle prädestiniert: er sieht wirklich gut aus, und man kann
ihm problemlos das Hemd aufknöpfen! Großartig natürlich Elisabeth Hornung als
alte Burja, die ihre Kälte, ihre Zu- und Abneigung ihren Buben und Jenaufa
gegenüber seh- und hörbar macht. Wunderbar auch Marco Jentzsch als Laca. Er
liebt sein Jenufa, verletzt sie aus Eifersucht, bereut das ganze sichtbar,
rührt zutiefst, und auch stimmlich kann er das durchaus hörbar machen. Lange
habe ich ihn nicht so gut in Form erlebt!
Tja, und jetzt zum Problem Küsterin. Für die erkrankte
Katrin Gerstenberger ist kurzfristig Iris Vermillion eingesprungen. Sie liefert
keine überzeugende Gesangsleistung ab. Leider bleibt sie uns jeden hohen Ton
ihrer Partie schuldig (sie nimmt den Höchsten, der gerade kommt) hier und da
bricht ihr auch ein Ton weg, rührt sonst im Brustregister umher. Und doch
gelingt ihr, trotz allem, eine beeindruckende Leistung. Sie ist die einzige,
die auf Tschechisch singt, weil sie in einer Woche nicht die deutsche
Textfassung lernen konnte. Verständlich. Endlich aber mal wieder Jenufa auf
Deutsch (wenn weder die Sänger das tschechische Original gescheit singen
können, noch das Publikum auch nur ein Wort versteht, ist die deutsche Fassung
doch eine gute Idee) und man versteht von allen Protagonisten auch eine ganze
Menge Text. Eigentlich ein guter Abend, aber wie schon erwähnt: eines
Staatstheaters nicht wirklich würdig.
Besuchte Vorstellung: Premiere am 4. März 2017
Staatstheater Darmstadt Großes Haus
Terrasse des Staatstheaters Darmstadt Foto: Klaus J. Loderer |
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