CD-Besprechung: Märsche, Walzer und Polkas von Josef Gung'l, einem vergessenen Zeitgenossen von Johann Strauß

Ein vergessener Tanzkomponist des 19. Jahrhunderts 

CD mit Werken von Josef Gung'l in einer Einspielung der Nürnberger Symphoniker unter Christian Simonis 

– von Klaus J. Loderer –

Zu seinen Lebzeiten gehörte Josef Gungl zu den populären Unterhaltungskomponisten. Was Johann Strauss in Wien war, war Josef Gungl in Berlin. Die Beinamen, die man sich für ihn ausgedacht hat, verweisen auf die Wiener Konkurrenz. Zuerst nannte man ihn den „Grätzer Lanner“ und später den „Berliner Strauß“. Man komponierte im gleichen Sektor und war verfeindete Konkurrenz. Im Gegensatz zu den Johann Strauß ist Josef Gungl heute fast vergessen. Löblicherweise hat der Dirigent Christian Simonis ihn vor einigen Jahren wiederentdeckt. In seiner Zeit als Dirigent des Philharmonischen Orchesters Bad Reichenhall erinnerte er sich an den Gründer, nämlich Josef Gungl. 1990 erschien eine Musikkassette mit acht Stücken. Simonis hat Gungl aber nicht vergessen und 2010 mit den Nürnberger Symphonikern weitere Werke von Gungl aufgenommen, die dann als CD erschienen sind. Darauf kann man mit 15 Stücken einen schönen Querschnitt durch das Schaffen Gungls hören.

Graz, Berlin, Wien, Pawlowsk, München, Bad Reichenhall und Brünn sind wichtige Stationen seines Lebens. Auf Tourneen kam er in ganz Europa herum. Eine Tournee ging sogar nach Amerika. Welch ungewöhnlicher Lebenslauf für den Sohn des Strumpfwirkers Georgius Kunkel. Am 1. Dezember 1809 wurde Josef, der sich später immer Gungl schrieb, in der kleinen, ungarndeutsch geprägten Gemeinde Schambek (Zsámbék) im sog. Ofner Bergland westlich von Budapest im Königreich Ungarn geboren. Nach einer Tätigkeit als Lehrergehilfe und ersten musikalischen Versuchen trat er 1828 in das 5. Feld-Artillerie-Regiment in Pest ein. 1835 wechselte er zum Musikkorps, was den Anfang seiner musikalischen Karriere setzte. In Graz wurde er Regimentskapellmeister des 4. Artillerieregiments und führte eine ungewöhnliche Neuerung ein. Er nahm nämlich Streicher in die Militärkapelle auf, wodurch er den Klang völlig veränderte. Mit dieser neuen Besetzung konnte er auch Unterhaltungsmusik spielen. Von 1836 datiert seine erste veröffentlichte Komposition, der „Ungarische Marsch“ – später von Franz Liszt als „Ungarischer Sturmmarsch“ für das Klavier transkribiert. Ein schnell populär werdendes Stück war der Oberländer „Klänge aus der Heimat“, den sogar Karl May in einem Roman erwähnt. Gungl adaptierte darin Motive der alpenländischen Volksmusik. Auf der CD kann man dieses reizende Stück finden.

Um seinen eigenen Musikstil pflegen zu können, gründete er 1843 ein eigenes Orchester, mit dem er sich in Berlin niederließ. Eine interessante Gepflogenheit führte er damals ein. Er begrüßte alle Wirkungsstätten mit einer speziellen lokalen Komposition. Für Berlin entstand „Mein erster Walzer in Berlin“. An seiner Tanzmusik erfreuten sich die Berliner. Richtig schlug aber ein Marsch ein: „Kriegers Lust fand nicht nur beim Militär Gefallen sondern auch im Volk. Er unterschied sich deutlich von der steifen preußischen Marschmusik und wurde schnell so populär, dass man der Melodie sogar Spottverse auf den preußischen König unterlegte. Während der Revolution 1848 unternahm Gungl eine Tournee nach Amerika, für die er den „Yankee-Galopp komponierte. Für die Amtseinführung des Präsidenten Zachary Taylor entstand die „Inaugurations-Quadrille“. Zurück in Berlin wurde er zum Königlich-preußischen Musikdirektor ernannt. Für sechs Sommer wurde er für einen „musikalischen Bahnhof“ nach Pawlowsk in Russland engagiert. Dort spielte später auch Johann Strauß. In Wien unterzukommen, gelang Gungl allerdings nicht. Dieses Feld hatte die Familie Strauß okkupiert. Aus dieser Episode entstammen so wunderbare Kompositionen wie der „Franz-Joseph-Marsch und die Walzer „Amorettentänze“ und „Die Hydropathen“ – alle drei Stücke sind auf der CD zu finden. Eine weitere Station wurde der Kurort Bad Reichenhall, wo ihn die Kurverwaltung mit der Gründung einer Kurkapelle beauftragte – als Philharmonisches Orchester existiert sie heute noch. Die nächsten Jahre war er ein „wandernder Musikant”, wie er es selbst nannte. Einer seiner letzten großen Auftritte war 1881, als er in Paris vier Bälle in der Oper leitete. Der Versuch einer Operette blieb unvollendet. In Weimar starb er am 1. Februar 1889.

Zu Lebzeiten wurde er gelobt, dass sein Orchester eine „Dampftanzmaschine sei. Sein Dirigat hatte den Ruf großer Exaktheit. In einem durchaus positiven Sinne haben die eingängigen Rhythmen die Quirligkeit einer Spieluhr. Umgekehrt ließ sich Gungl durchaus von den damals aufkommenden Maschinen inspirieren. Der Eisenbahn-Dampf-Galopp, als Opus 5 eines seiner frühesten Werke, setzt das damals ja völlig neue Verkehrsmittel musikalisch um (1838 wurde die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn eröffnet). Es müsste sich überhaupt um eines der ersten Musikstücke zum Thema Eisenbahn handeln. Der Schaffner pfeift, die Lokomotive schnauft und der Zug nimmt Fahrt auf. Ist es mehr als hundert Jahre später bei Arthur Honeggers „Pacific 231” ein schwerer Stahlkoloss, der über die Schienen rast, tänzelt bei Gungl ein liebliches Züglein mit fröhlich winkenden Reisenden durch eine liebliche Landschaft und kommt schließlich wieder zum Stehen. Die Lokomotive schnauft noch einmal, dann pfeift der Schaffner – und eigentlich könnte man Stück dann gleich noch einmal spielen. Diesen Effekt könnte man auch bei einem späten „Maschinenstück“ haben: „Perpetuum Mobile“ – nicht zu verwechseln mit Johann Strauss’ gleichnamigem Stück. Hier wollte Gungl wohl ganz bewusst eine verbesserte Variante des Strauss-Themas bieten.

Natürlich klingt Gungl oft ähnlich wie Johann Strauss (Sohn). Doch haben die Stücke Gungls eine größere Leichtigkeit und Feinheit, wie man sie etwa von Carl Maria von Weber kennt. Dessen „Aufforderung zum Tanz“ scheint bei Gungls Walzer „Träume auf dem Ozean“ an einigen Stellen durch. Da fliegt ein Segelschiff leicht schaukelnd über den Ozean – doch dann, eine dramatische Zuspitzung, droht ein Sturm? Aber nein, das Schiff kommt gut im Hafen an. Gungl hat wohl bei den Berliner Romantikern genau hingehört. Aber es ist Tanzmusik, die Gungl zu Programmmusik macht. Er erzählt musikalisch kleine Geschichten. Und manchmal wähnt man etwas Offenbach zu hören. Oder ist es vielleicht umgekehrt?

Christian Simonis hat mit den Nürnberger Symphonikern diesen feinen und leichten Ton wunderbar getroffen. Da schweben und tänzeln die wunderbaren Melodien in einer akkuraten Finesse. Der Einstieg ist mit dem Galopp „Durch dick und dünn” gut gewählt, da wird man gleich mit einem eingängigen Ohrwurm überfallen und schon ist man gefangen im musikalischen Gungl-Kosmos. Die CD bietet einen schönen Querschnitt durch Gungls Schaffen. Einige Stücke gab es auch schon auf Simonis Aufnahme mit den Reichenhaller Philharmonikern. Doch ist die neue CD natürlich wesentlich umfangreicher und bietet einige Ersteinspielungen. Die abwechslungsreiche Anordnung der Stücke ist schön gewählt. „Dampftanzmaschine“ bedeutet übrigens nicht öde Langeweile, ganz im Gegenteil. Dirigent Christian Simonis arbeitet die abwechslungsreichen Stimmungen der Partituren wunderbar heraus. Dass Gungl immer wieder Ironie in seine Stücke einbaut, kann man hier deutlich merken. Mit einer Burleske, dem „Narren-Galopp endet die CD. Man wäre neugierig auf weitere Stücke des fast 400 Werke umfassenden Oeuvres.

Man kann es nur mit einem Leipziger Rezensenten des Jahres 1846 sagen: man muss sich unbedingt „gunglisieren lassen.



Josef Gungl

Marches, Waltzes, Polkas

Nürnberger Symphoniker
Christian Simonis

Musik-CD
CPO Georgsmarienhütte 2014
CPO 777582-2

www.jpc.de


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