CD-Besprechung: Laurent Campellones Aufnahme der Oper „Les Barbares“ von Camille Saint-Saëns
Komposition für das römische Theater in Orange
Laurent Campellone leitet Aufnahme von „Les Barbares“ von Camille Saint-Saëns am Theater Saint-Étienne
– von Klaus J. Loderer –
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts fanden im renovierten römischen Theater von Orange Konzerte statt. Um 1900 träumte man gar mit staatlicher Unterstützung von einer Art französischem Bayreuth. Um diese Opernfestspiele in die Wege zu leiten, sollte eine eigene Oper komponiert werden. Für Plot und Libretto konnte man den renommierten Theaterautor Victorien Sardou gewinnen. Für die Musik waren Xavier Leroux und Jules Massenet im Gespräch, bis man die Verhandlungen auf Camille Saint-Saëns konzentrierte. Der fand die Idee allerdings abwegig und hatte akustische Bedenken wegen des Theaters und besondere wegen des Mistrals, einem sommerlichen aber kalten Wind, der Aufenthalte im Freien in Orange ziemlich ungemütlich machen kann. Aber mit verschiedenen Versprechungen gewann man Camille Saint-Saëns schließlich doch.
Das Opernthema bot auch besonderen Reiz, schließlich sollte
die Oper nicht nur im römischen Theater von Orange aufgeführt werden, die
Geschichte sollte tatsächlich dort stattfinden: Während eines Germaneneinfalls 100
Jahre vor Christi Geburt retten sich die Frauen in das Theater.
Als 1901 die Planungen für die Aufführung in Orange
konkreter werden mussten, stellte man fest, dass die Kosten allein für
Transport und Einquartierung von etwa 400 Personen in Orange für mehrere Tage
heftig werden würden und ein Erfolg weit ab eines eventuellen Opernpublikums
mehr als zweifelhaft war. So entschied man sich für eine Verlegung der Premiere
in die Pariser Oper. Dafür musste die Oper dann wiederum angepasst werden. Am
23. Oktober 1901 fand dann schließlich die Premiere von „Les Barbares“ (Die
Barbaren) in Paris statt.
Im groß angelegten Projekt von Palazzetto Bru Zane – Centre
de musique romantique française zur Wiederbelebung historischer französischer
Musik sind nun „Les Barbares“ in einer Aufnahme im Theater Saint-Étienne unter
der Leitung von Laurent Campellone erschienen. Das ist überaus löblich, denn
leider ist Camille Saint-Saëns heute vor allem noch durch „Karneval der Tiere“
und die leider viel zu seltenen Aufführungen von „Samson et Dalila“ bekannt.
Man darf hoffen, dass durch die gelungene Aufnahme vielleicht auch ein Theater
die zwölfte Oper des französischen Komponisten auf den Spielplan nimmt. Das
Stück hat schließlich seine effektvolle Dramatik – es ist ja auch von Sardou.
Und diesen Autor kennt der Opernfan sein Drama „Tosca“, das die Basis für die
gleichnamige Oper lieferte.
Die Oper „Les Barbares“ handelt übrigens wieder einmal von
einer Frau, die einem Mann ein Messer in die Brust rammt. Die Situation ist
aber nun etwas komplizierter als in „Tosca“. Es ist nämlich nicht der Bösewicht,
den sie umbringt, sondern gewissermaßen ein edler Wilder. Doch von Anfang an:
die Geschichte spielt in antiker Zeit in Orange. Während eines Angriffs der
Germanen, also der Barbaren, fliehen die Frauen in das Theater. Darunter
Floria, Priesterin der Vesta, mit dem heiligen Feuer, und ihre Schwester Livie.
Deren Mann, der Konsul Euryale, fällt draußen in der Schlacht. An seinem
Leichnam schwört Livie Rache. Da brechen die Barbaren in das Theater herein.
Germanengeneral Hildibrath möchte alle Frauen meucheln, da erscheint mit
Fanfarenschall Germanenfürst Marcomir. Dieser verliebt sich sofort in Floria.
Um die Stadt zu retten, lässt sie sich in eine Ehe mit ihm ein. Im dritten Akt findet
Livie heraus, dass es Marcomir war, der ihren Mann in der Schlacht getötet hat
und bringt ihn vor den Augen ihrer entsetzten Schwester um. Da mögen durchaus
einige Inspirationen aus der „Götterdämmerung“ eingeflossen sein, was übrigens
auch musikalisch der Fall ist.
Jedenfalls sind „Les Barbares“ ein sehr dramatisches Werk,
in dem Camille Saint-Saëns sehr geschickt Spannung aufbaut, etwa in der
Schlußszene, die in jenem Fortissimo kumuliert, in dem Livia Marcomir umbringt.
Mit noch nicht einmal zwei Stunden Spieldauer ist es ein inhaltlich wie
musikalisch kompaktes Werk, obwohl im dritten Akt sogar noch ein Ballett
eingebaut ist. Allerdings lässt sich Saint-Saëns am Anfang Zeit, die Handlung
ins Laufen zu bringen. Nach einem Orchestervorspiel stellt ein Erzähler im
Prolog die Handlung vor: Ein Mann tritt aus den Schatten der Ruinen und
berichtet. Es folgt ein weiteres Orchesterstück als Überleitung zum ersten Akt,
dessen erste Szene vom Flehen der Frauen bestimmt ist, das vom aus dem
Hintergrund schallenden geisterhaften „Ha“ der Barbares kontrastiert wird. Wenn
man sich vorstellt, dass der Zuschauer tatsächlich im römischen Theater in
Orange sitzt und nur die Handlung im Theater sieht, nicht aber die Schlacht
draußen, die nur durch einen auf den Höhen der Mauern stehenden Beobachter
beschrieben wird, ist das raffiniert angelegt.
Musikalisch ist die Aufnahme sehr gelungen. Laurent
Campellone arbeitet die kontrastreichen Stimmungen der Musik mit dem Orchestre
Symphonique Saint-Étienne effektvoll heraus. Sehr exakt der Operchor Chœurs
Lyrique Saint-Étienne. Catherine Hunold und Edgaras Montvidas glänzten
besonders im Duett im zweiten Akt als Floria und Marcomir. Ergreifend Julia
Gertseva als Livie mit ihrem Schwur im zweiten Akt. Jean Teitgen als guter Erzähler
des Prologs. Philippe Rouillon gibt einen blutgierigen Hildibrath.
Camille Saint-Saëns
Les Barbares
[Enregistrement réalisée à l’Opéra Théâtre de Saint-Étienne
du 14 au 17 février 2014]
Catherine Hunold, Julia Gersteva, Edgaras Montvidas, Jean
Teitgen
Chœurs Lyrique et Orchestre Symphonique Saint-Étienne Loire
Laurent Campellone
Palazzetto Bru Zane, Venezia, 2014
CD I (75:07), CD II (45:15)
Ediciones Singulares, San Lorenzo de El Escorial, 2014
(Les collections de livres-disques du Palazzetto Bru Zane,
opéra français; 8)
ISBN 978-84-617-1280-9
135 S., Ill., Text franz., engl.
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