Umberto Giordanos Oper „Andrea Chenier“ – Bayerische Staatsoper München – 2017

Die Revolution frißt ihre eigenen Kinder 

– Anja Harteros verleiht Umberto Giordanos „Andrea Chenier“ der Bayerischen Staatsoper im Nationaltheater München Glanz – 

von Klaus J. Loderer

Es kommt an eine Sternstunde heran. Eine wunderbare Anja Harteros verleiht der Aufführung von Giordanos „Andrea Chenier“ Glanz. Ihre feine stimmliche Gestaltung der Partie korrespondiert mit ihrer zarten zurückhaltenden darstellerischen Gestaltung der Maddalena. Überaus ergreifend ihr „La mamma morta“. Eine wunderbare Szene liefert sie mit George Petean als Gérard im dritten Bild. Gibt er am Anfang den polternden Revoluzzer, spürt der Opernbesucher in seiner ergreifend gesungenen Arie im dritten Akt sein aufkeimendes Gewissen. Ein Glücksfall.

Herrschaftsetage und Dienerschaftskeller –
„Andrea Chenier“ in der Inszenierung von Philipp 
Stölzl an der Bayerischen Staatsoper (Nationaltheater München)© Wilfried Hösl


Auch die vielen Nebenrollen sind gut besetzt. Larissa Diadkova liefert einen ergreifenden Auftritt als alte Madelon. Andrea Borghini gestaltet Roucher mit schönem Bariton. Mit schönem Tenor Kevin Conners als Incroyable.

Und jetzt werden sich die geneigten Leserinnen und Leser fragen, und was ist mit der Titelpartie? Diese ist leider die Enttäuschung des Abends. „Andrea Chenier“ hätte eine Sternstunde werden können. Und der Name eines Startenors weckte sich bei vielen Opernbesuchern Hoffnungen darauf. Doch Jonas Kaufmann enttäuscht. Zwar presst er am Schluss in der Arie im Kerker tatsächlich noch einige Töne in die Höhe, doch mogelt er sich ansonsten durch die Partie, teilweise kaum von den Baritonen zu unterscheiden. Das ist wenig befriedigend.

Wiederum interessant ist die Inszenierung. Ein architektonisches Bühnenbild freut mich natürlich (fast) immer. Für „Andrea Chenier“ bauten Philipp Stölz und Heike Vollmer eine ganze Stadt samt Innenleben der Häuser zusammen. Genauer gesagt schneiden sie die Häuser auf, die wir dann im Querschnitt von unten bis oben sehen können. Das zeigt sich schon effektvoll mit dem Öffnen des Vorhangs zu Beginn. Der Blick wird frei auf ein Schloss, das sich nicht frontal sondern aufgeschnitten präsentiert: eine Freitreppe führt von links zu einem Säulenportikus, ebenso aufgeschnitten wie das schlichte Vestibül und der rechts anschließende Salon mit prachtvoller Rokokowandvertäfelung – ein adeliges Interieur des 18. Jahrhunderts. Auch ein Querschnitt durch die Gesellschaft: hohe Räume in der Bel-Étage, düstere Gewölbe im Parterre. Dort duckt und drängen sich die Dienstboten. Als einzige aus der Familie drückt sich die Tochter des Hauses, Maddalena, dort herum.

Im Schloss wuselt es, die Gräfin treibt das Personal an, die Gesellschaft vorzubereiten. Streng ist sie, eine unachtsame Dienstmagt prügelt sie schon mal mit dem Stock. Den dicken Abbé umschleicht sie, über den schlampig daherkommenden Dichter Andrea Chenier rümpft sie die Nase. Dann schiebt sich das Bühnenbild nach links, der Salon wandelt sich zu zur langgestreckten Galerie, an deren rechtem Ende sogar noch ein Theaterchen eingebaut ist, auf der Bühne lässt Regisseur Philipp Stölz ein Schäferspiel aufführen. Im Parterre rumort die Revolution.

Auch bei der Szene in Paris sehen wir wieder ein aufgeschnittenes Haus: im Kellergewölbe versteckt sich Andrea Chenier, inzwischen von den Revolutionären nicht mehr gelittener Dichter. Oben betreibt Bercy ein Bordell. In der Straße links wütet der Mob und knüpft den Abbé aus dem ersten Akt auf. Immer wieder wandelt sich das Bild. Und immer wieder ist das Unten und Oben wichtig. Zum Treffen mit Maddalena steigt Chenier durch einen Gullydeckel in unterirdische Gewölbe, während oben der Spitzel lauert.

Auch das dritte Bild mit dem Revolutionstribunal teilt Stölzl in mehrere Bilder auf. Den Amtssitz von Gerárd erkennen wir als requiriertes Schloss der Gräfin de Coigny. Regisseur Stölz hat der Arie, in der Gerárd die Wende der Revolution betrauert, eine scharfe Pointe und sogar eine gewisse Scheinheiligkeit unterlegt, wenn unten im Keller gerade in diesem Moment Chenier gefoltert wird. Maddalenas Arie, die singt, dass die Mutter sich ermorden ließ, um ihre Tochter zu retten, illustriert Stölz mit einem Bild der im rosa Salon massakriert liegenden Gräfin. Der Galgen erhebt sich im letzten Bild mächtig über den Kerkergewölben, in denen sich Maddalena und Chenier wiedersehen, und vor dem wiederkehrenden Portikus des Schlosses Coigny, der aus dieser Perspektive eher an ein amerikanisches Südstaatenhaus erinnert.

Wie immer bei Philipp Stölz ist die Inszenierung überreich an Details. In diesem Fall gibt es auf allen Ebenen etwas zu schauen. Da muß man schon fast aufpassen, die Haupthandlung nicht zu verpassen. Die Szenen mit Chor wirken sehr komprimiert, besonders die Gerichtsszene, die wie auf den Stichen der Revolutionszeit, vor Menschen fast platzt. Ein schönes Detail ist der Austausch der Geschworenen nach der Verteidigungsrede Gérards, die dadurch völlig ins Leere geht. Durch die Inszenierung zieht sich eine die Revolution symbolisierende Person; hat man zu Beginn den Eindruck es handelt sich um eine Art Verrückter, der mit wehender Trikolore über die Bühne rennt, zeigt sich im Laufe der Vorstellung, daß er stark die Fäden spinnt. Mal ist das eine stumme Rolle, mal sind kleine Rollen damit zusammengefasst, mal foltert er Chénier im Keller, mal ruft er das Volk im Gerichtssaal zur Ruhe auf und am Ende ist er gar der Henker. Eine spannende Inszenierung.

Besuchte Vorstellung: 8. Dezember 2017
(Premiere am 12. März 2017)

Nationaltheater München

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