Ring-Trilogie nach Wagner – Theater an der Wien – 2017
Das Rheingold als Urschlamm
– „Der Ring“ einmal ganz anders: „Hagen“ aus der Ring-Trilogie im Theater an der Wien –
von Klaus J. Loderer
Opern werden von ambitionierten Regisseuren gerne als
Steinbruch benutzt. Es war nur eine Frage der Zeit, dass man auch Wagneropern
dekonstruiert. Im Theater an der Wien läuft derzeit ein Wagnerprojekt, das als
„Ring-Trilogie“ angekündigt wird mit den Teilnamen „Hagen“, „Siegfried“ und
„Brünnhilde“. Da ist man irritiert. Um was handelt es sich dabei? Eine
unbekannte Urfassung des Rings?
Mirella Hagen (Woglinde), Ann-Beth Solvang
(Floßhilde), Raehann Bryce-Davis (Wellgunde)
Foto: Herwig Prammer
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Hinter der Ring-Trilogie steckt die Idee, nachzuspüren, wie
es zum Mord an Siegfried kommt. Wie verlaufen die Stränge durch den gesamten
Ring. Dazu werden die Biographien dreier Beteiligter nachvollzogen: des Mörders
Hagen, des Mordopfers Siegfried und der Mordinitiatorin Brünnhilde. Dazu werden
entsprechende Szenen aus dem „Ring“ herausgepickt und neu zusammemgesetzt. Das
klingt interessant. Dirigent Constantin Trinks, Regisseurin Tatjana Gürbaca und
Dramaturgin Bettina Auer haben diesen Ring-Baukasten zusammengebastelt. Wie das
funktioniert, werde ich exemplarisch anhand des ersten Stücks, „Hagen“
demonstrieren.
Nun besteht natürlich gleich das Problem, daß die Figur des
Hagen erst in der „Götterdämmerung“ persönlich auftaucht. Deshalb benutzt man
den Kunstgriff, nicht nur seinen Vater Alberich einzubeziehen sondern die
Geburt Hagens früher zu datieren, so daß er schon im Rheingold mit dabei ist.
Das ist in diesem Fall gar nicht so unsinnig und vermeidet das etwas
merkwürdige wagnerische Konstrukt, daß Alberich „ein Weib berückt“ haben soll,
wo er diesem Thema mit dem Raub des Rheingolds doch eigentlich absagte.
„Hagen“ beginnt mit dem Mord an Siegfried. Hagen durchbohrt
Siegfried von hinten mit dem Speer. Alberich erscheint Hagen im Schlaf – die
Szene aus der „Götterdämmerung“. Dann läuft die Handlung eine Zeit rückwärts
bis wir am Beginn des „Rheingolds“ angekommen sind. Aus Groß-Hagen wird
Klein-Hagen, mit dem Alberich am Rhein spazieren geht. Noch bleibt man am
festen Ufer. Der Rhein ist hier ein trapezförmiges Becken, gefüllt mit Schlamm.
Das soll wohl den Grund des Rheins darstellen. Im Schlamm suhlen sich die
Rheintöchter. Diese sind hier Prostituierte, was keine neue Idee ist. Immerhin
erklärt es, warum Alberich ausrutscht, als man ihn neckisch umgarnt. Die
Rheintöchter treiben dann ein gemeines und demütigendes Spiel mit Alberich. Sohnemann
Hagen guckt entsetzt zu und malt auf die weiße Seitenwand mit Schlamm „Huren“.
Dafür bekommt er von einer Rheintochter eine gescheuert. Die Weiblichkeiten
ziehen den Knaben dann auch in ihr Schlammbecken, immerhin versteht man dann,
warum Hagen nichts von Frauen wissen will und so düster ist. Irgendjemand muß
ja in einer heutigen Opernaufführung traumatisiert sein. Ist es eben mal Hagen.
Während Alberich zuerst vom Dreck angewidert ist, entdeckt er schließlich die
Freuden des Suhlens und reklamiert das Becken dann schnell als
Privatschlammbad. Der von der Sonne beleuchtete Schlamm soll dann wohl das
Rheingold sein. Wie dann mit dem Rheingold die Geldscheine verdient werden, die
man später in Schachteln und Säcken herumträgt, habe ich allerdings nicht verstanden.
In einem Interview im Programmheft erzählt Regisseurin Tatjana Gürbaca etwas
von Urschlamm, der dann als Gold angesehen wird, und verweist auf seltene
Erden. Das kann man aber auf der Bühne nicht erkennen. Die Rheindarstellung und
die restlichen Bühnenbilder von Henrik Ahr sind für Frau Gürbaca übrigens „sehr
liebevoll und realistisch ausformulierte Welten“. Dann sollten sich
Hochwasseropfer, deren Wohnzimmer in Schlammwüsten verwandelt sind, eigentlich
freuen.
Für den geduschten und nun im roten Sakko herumgockelnden
Alberich (soll er ein Zuhälter sein?) wird dann extra ein Zickzacksteg durch
den Schlamm gebaut, damit er sich seine Cowboystiefel nicht schmutzig macht
(Kostüme Barbara Drosihn). Die Aufführung überspringt die zweite Szene „Rheingold“
(wodurch die Götter praktisch gestrichen sind) und landet direkt in der
dritten, in der dann zuerst Mime und dann Wotan und Loge auftauchen. Warum
Wotan und Loge, zwei Herren im Anzug, auftauchen, erfährt man nicht (sind sie
Konkurrenzzuhälter?). Sie flanieren eben zufällig herum, wobei Wotan versucht,
nicht in den Schlamm zu treten, der inzwischen weiträumig auf der Bühne
verteilt ist.
Als Tarnhelm fungieren Kuhhörner – eine phallische
Anspielung? Der Riesenwurm wird gebildet mit drei Nibelungen (sind das nun die
domestizierten Rheintöchter oder nur die Darstellerinnen der Rheintöchter, die
nun auch diese Rollen übernehmen), die sich in Pornostellungen räkeln – der
Tarnhelm ist ein Kuhhorn – soll man das als Phallus deuten. Für die Kröte lässt
Alberich dann die Hose runter und bückt sich ...
Martin Winkler (Alberich)
und Aris Argiris (Wotan)
Foto: Herwig Prammer
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Alberich wird drastisch gefoltert, damit ihm Wotan
säckeweise Geld abpressen kann. Schließlich wird ihm gar der ganze Arm
abgesägt. Das ist also noch ein Stück aus der vierten Rheingoldszene.
Dann ein Zeitsprung: nach der Pause sind wird in der
Gibichungenszene in der „Götterdämmerung“ angelangt. Das Schlammbecken ist
zugedeckelt, aber die Bühne ist immer noch so verdreckt, dass man schnell die
Spuren auf dem für Siegfrieds Eintritt ausgerollten roten Teppich sieht. Ebenso
wie auf Gunters schwarzem Anzug. Zur Möblierung stehen einige Sessel herum.
Gunter verlustiert sich mit Computerspielen. Gutrune ist Typus graue Maus.
Jetzt springt man in der Götterdämmerung zur Vorbereitung
Hagens der Ankunft der Rückkehr von Siegfried und Gunter. Dass Hagen zur
Aufforderung Schafe für Fricka zu schlachten Kopulationsbewegungen macht, ist
inzwischen auch schon ein alter Hut. Warum der irgendwie als Schulbuben in zu
kleinen weißen Anzügen mit kurzen Hosen gekleidete Herrenchor merkwürdig
hereinhüpft, erschließt sich nicht. Wie Hündchen gruppieren sie sich
schließlich um Hagen. Später veranstaltet der Herrenchor im Hintergrund (angezogen)
Rudelbumsen (einem Regisseur hätte man jetzt unterstellt, er gucke zu viele
Internatspornofilme). Das soll irgendwie die Doppelhochzeit illustrieren. Dann
wieder ein Sprung (Speerschwur wird ausgelassen) zur Verschwörung von Hagen,
Gunther und Brünnhilde, die den Mord aushecken. Dann Eintritt von Siegfried und
Gutrune. Ende.
Nun kenne ich den „Ring“ ja glücklicherweise so
einigermaßen. Aber versteht man diesen Handlungsstrang ohne Vorkenntnis? Was es
mit dieser Brünnhilde auf sich hat, versteht man eher nicht. Manche Sachen
erschließen sich wohl erst aus den Folgeteilen, die übrigens auch jeweils mit
dem Mord an Siegfried beginnen. Zum Beispiel, warum Siegfried bei der zweiten
Fahrt vom Walkürenfelsen einen Flügel (also ein Klavier) mitbringt. Und was ist
die Botschaft dieser Inszenierung? Was will uns Regisseurin Tatjana Gürbaca damit
sagen? Im Programmheft liest man etwas von einer Urgeschichte der Gewalt. Aha. Darum ist der Ring eben ein Schlagring.
Nach dieser ausführlichen Würdigung der Inszenierung nun
aber endlich zu den Sängern. An erster Stelle ist Martin Winkler zu nennen, der
mit einer unglaublichen Wendigkeit und schauspielerischen Präsenz als Alberich
mal auf die Rheintöchter schielt, im Schlamm herummatschend diesen in Besitz
nimmt, als neureicher Geck herumgockelt, herzzerreißend seinen Ring verflucht,
mit blutigem Armstumpf uns mahnt und dabei mit wendiger Stimme leidenschaftlich
die entsprechenden Stimmungen und Stimmungswechsel aufbaut. Samuel Youn gibt
dem Hagen mit sicherem Baß-Bariton eine sehr harte Note, was zu dieser
„freudlosen“ Rolle aber paßt. Und noch eine wunderbare tiefe Stimme gilt es zu
erwähnen, nämlich Aris Argiris als Wotan. Er durchkreuzt als lässiger,
sonnenbebrillter Müßiggänger im rosa Anzug Alberichs Machtphantasien. Ein
cooler Typ, dieser Wotan. Eine in diesem Fall kurze Rolle, die Aris Argiris
aber mit schönem Timbre gestaltet. Mit schönem Tenor wuselt Michael J. Scott
als Loge herum. Auch Kristján Jóhannesson befriedigt als König Gunther. Leider
neigt die lettische Sopranistin Liene Kinca als Gutrune zu schrillen Tönen, wo
doch ein sanfteres Rollenbild besser passen würde. Um die Höhen mogelt sich
Daniel Brenna als Siegfried leider herum. Auch die schwedische Sopranistin Ingela
Brimberg ist als Brünnhilde nicht wirklich befriedigend.
Sehr exakt das Klangbild des Arnold-Schoenberg-Chors unter
der Leitung von Erwin Ortner, dem Hauschor des Theaters an der Wien.
Stellenweise sehr getragen das ORF-Radio-Sinfonieorchester Wien unter der
Leitung von Constantin Trinks.
Besuchte Vorstellung: 17. Dezember 2017
(Premiere 1. Dezember 2017)
Theater an der Wien
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