Opernkritik: Giuseppe Verdis „Otello“ – Royal Opera House Covent Garden in London – 2017

Royal Opera House Covent Garden in London
Foto: Klaus J. Loderer

Oma Desdemona und Opa Otello machen Opernparodie 

Verdis „Otello“ im Royal Opera House Covent Garden in London 

Großer Bahnhof, alle nervös, das Volk in Extase, es gibt „Otello“. Alles geht sehr hoffnungsvoll los. Ein Lichtkegel, eine Wand fällt um, Jago steht schon da, ein toller Effekt. Doch dann schon Verwirrung, was ist das für eine Musik, sind wir an einem der führenden Opernhäuser der Welt? Was ertönt da für eine Feuerwehrkapelle? Der Chor setzt ein, man möchte rufen: stopp, alle noch einmal zurück, und alle zusammen bitte! Und dann beginnen die Peinlichkeiten, absurd, bis hin zur Lächerlichkeit. Desdemona schießt auf einem Podest aus der Wand (und die Arme kann sich kaum halten), Wände werden verschoben, es dreht sich die Maschinerie, das Bühnenpersonal benutzt in der Regel zwar Türen, doch dann fahren sie aus dem Boden hinauf ... schöne Effekte, schönes Licht, aber: was soll das? Jede Bewegung muss einen Sinn haben, das sagte man früher!

Im Gegensatz zum deutschen Regietheater, über das man sich wenigstens mal aufregen kann, dümpelt ein völlig belangloses Stück Oper vor sich hin. Regisseur Keith Warner kann auch leider in seiner Personenführung nicht überzeugen. Man muss doch seine Regie den Sängern anpassen, und nicht umgekehrt. Das wird besonders bei seiner Desdemona deutlich. Wie ein junges Mädchen soll sie wohl sein, hüpfen und rennen, doch das geht leider nicht mehr so gut. Es wirkt plump, aufgesetzt, ja fast lächerlich. Warum lässt man sie dann nicht einfach gehen, wie eine Dame agieren, wenn es doch „ums Verplatzen nicht geht“? An manchen Stellen ist die Inszenierung ganz modern, an anderen Stellen haben wir dann wieder Blumenkränzchen etc. Na was denn jetzt? Manchmal bin ich einem Lachanfall nahe, alles wirkt wie eine Operparodie von Vera Galupe Borszh (an einer Stelle besonders, das ist Vera als Tosca auf ihrer Abschiedstournee, ehrlich).

Gregory Kunde brüllt sich durch seine Partie, in der Höhe aber dünn und wackelig, seine Darstellung aber irgendwie noch überzeugend. Unterirdisch daneben Dorothea Röschmann als Desdemona. Ihr Stimme ist alt, an ein Zurücknehmen, gar ein Piano, ist nicht zu denken, und das in einer so „sanften“ Partie. Sie brüllt als sänge sie Tosca, reißt dazu den Mund auf wie ein Saugfisch, obwohl es schon erstaunlich ist, wie schmal sie das eine oder andere Mal den Mund dabei machen kann: ein Zentimeter breit, aber der in der Vertikalen 30 cm lang. Aber was hat das mit Singen zu tun? Dazu kann ich nur unsere gnädige Frau Callas zitieren: schönes Singen muss auch schön aussehen. Aber ich muss gestehen, daß sie wirklich schöne Momente hat. Bester Sänger des Abends ist Zeljko Lucic als Jago. Er versteht sich zurückzunehmen, brüllt nie, sieht dabei aus wie ein „ganz normaler Mensch“, lässt die Stimme strömen und singt ohne jeden Wackler. Der Rest der Besetzung ist mittelmäßig, einigermaßen anseh- und anhörbar, genauso beliebig wie die ganze Inszenierung. Ein Opernabend, den man in einer Woche vergessen haben wird. Wären wir in Gelsenkirchen, in Gießen oder in Gera, ach ja, man würde sagen: man hat sich bemüht. Aber so etwas in einem Opernhaus zu präsentieren, in dem man beim Hinausgehen im Umgang Bilder hängen sieht: Callas, Sutherland und Janet Baker, da wird einem übel ... aber es gab viel zu lachen.

Die Besetzungsalternative war übrigens Jonas Kaufmann als Otello, Maria Agresta als Desdemona und Marco Vratogna als Jago.

Matthias Woehl

Besuchte Vorstellung: 15. Juli 2017

Royal Opera House Covent Garden London

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