Opernkritik: Alban Bergs „Lulu“ – Wiener Staatsoper – 2017

Wie ein wildes Tier im Zirkus 

– Dritter Akt komplettiert Alban Bergs „Lulu“ in der Wiener Staatsoper – 

von Klaus J. Loderer 

Die Neuproduktion von Alban Bergs „Lulu“ in der Regie von Willy Decker im Jahr 2000 verwandte nur die zweiaktige, posthum nach Alban Bergs Tod uraufgeführte Fassung (Zürich 1937). Nun ergänzte man den dritten Akt nach der von Friedrich Cerha komplettierten dreiaktigen Fassung (Paris 1979). Am 3. Dezember hatte das Gesamtwerk in der nun vollständigen Inszenierung von Willy Decker Premiere an der Wiener Staatsoper – wobei genauer gesagt nur der dritte Akt neu ist. Damit wuchs das Werk nun auf vier Stunden inklusive zweier Pausen an.

Franz Grundheber als Schigolch, Agneta Eichenholz als Lulu, Wolfgang Bankl als Tierbändiger
© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Das von Wolfgang Gussmann gestaltete Bühnenbild der gesamten Aufführung zeigt eine Art stilisierten Zirkus, eine Assoziation, die aus der ersten Szene mit dem Tierbändiger ableitbar ist. Eine Wand verläuft perspektivisch verkürzt im Rund. Darüber sieht man dunkel steile Stufen. Im Zentrum steht zu Beginn eine rote Leiter, auf der eine Frau im Unterkleid sitzt, die sich schnell als Lulu herausstellt. Das Wild des Tierbändigers ist hier Lulu, auf die die oben auf den Stufen sitzenden Männer mit Hut und schwarzem Mantel starren. Die Männer kommen durch die vielen in der Wand verborgenen Türen auch einmal mit leeren Leinwänden herein, während der Maler ein Porträt von ihr fertigt, genauer gesagt ein Auge. Lulus Aktbild, zerlegt in mehrere Teile, zieht sich dann durch die gesamte Inszenierung. Dieses zerlegte Aktbild ist durch ein Magritte-Bild inspiriert. Ein erotisches Bild soll auch das rote Kussmundsofa assoziieren, auf dem sich Lulu räkelt. Der Selbstmord des Malers ist in dieser Inszenierung durchaus doppeldeutig – wird er vielleicht erst durch beim Aufbrechen der Tür aufgespießt. Später möblieren einige grüne Ledersessel den Raum, die in der Szene vor der Flucht verpackt sind, in der Paris-Szene ist es eine runde Bar. Diese skurile Gesellschaft ist recht dekadent dargestellt. Statt einer Londonder Dachkammer sehen wir in der letzten Szene einen Raum der Aussichtslosigkeit, vollgestellt mit Leitern, über die man dann auch tatsächlich von oben herunterklettert. Hier kommen dann die Männer im schwarzen Mantel zum Rudel zusammen, um hautnah zuzuschauen oder gar mitwirken, wenn Jack the Ripper Lulu dahinmetzelt und dann so beiläufig auch noch die Gräfin Geschwitz erledigt. Das Konzept Deckers hat seinen Reiz und markante Bilder.

Agneta Eichenholz als Lulu
© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn
Musikalisch gibt sich Ingo Metzmacher mit dem Orchester der Wiener Staatsoper teilweise recht weich, das wirkt zu Beginn etwas langatmig, steigert sich aber im dritten Akt zu großer Spannung. Das Stück ist ja vor allem angefüllt mit gefühllosen geldgierigen Gestalten, eigentlich einer unsympathischer wie der andere. Die einzige sympathische Figur ist letztlich die Gräfin Geschwitz, die sich veräußert, um Lulu nah zu sein und sie zu retten – hier einfühlsam gesungen von Angela Denoke. Agneta Eichenholz als Lulu leider stellenweise etwas schrill. Bo Skovhus mit weichem Bariton als Dr. Schön und Jack the Ripper. Sehr gut Jörg Schneider als Maler. Am Ende in den Höhen etwas strapaziert Charles Workman als Alwa. Franz Grundheber spielt einen Schigolch, der Lulu gnadenlos ausnimmt.


Besuchte Vorstellung: 15. Dezember 2017
(5. Aufführung nach der Premiere am 3. Dezember 2017)
Wiener Staatsoper

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