Zoroastre – Komische Oper Berlin – 2017

Nachbarschaftskrieg in der Einfamilienhaussiedlung 


Jean-Philippe Rameaus Oper „Zoroastre“ an der Komischen Oper Berlin 

Der Krieg, zu dem ein nachbarschaftlicher Streit um einen Quadratmeter Wiese eskalieren kann, ist die Basis der Inszenierung von Jean-Philippe Rameaus Oper „Zoroastre“, die am 18. Juni 2017 an der Komischen Oper zu Berlin Premiere hatte. Links ein hübsches Häuschen mit weiß lackierter Tür, goldenem Wetterhahn auf dem Schornstein, davor Flieder, Oleander und Dahlien in voller Blüte (die allerdings eher nicht gleichzeitig blühen) und rechts ein düsterer Bungalow in verkommenem grau mit heruntergelassenen Rollläden. Selbst die Proszeniumslogen hat Bühnenbildner Rainer Sellmaier angepasst. Links sprießt es aus den Logen heraus, rechts ist eine Loge ganz vergittert. Links ist das Haus der Lichtgestalt Zoroastre, rechts das Haus des Herrn der Finsternis, Abramane. Schon während des Vorspiels erleben wir den Streit um ein Rasenstück in der Mitte der Bühne. Abramane erhält ein Paket, aus dem er einen Zaun auspackt, den er sofort dazu nutzt sich das Wiesenstück komplett einzuverleiben, wo wir doch deutlich sehen, dass die Grundstücksgrenze eigentlich mittendurch geht. Genüßlich läßt er sich im Liegestuhl darauf nieder. Über dieses Verhalten ärgert sich Zoroastre sehr, der sofort den Zaun umsetzt und nun seinerseits den ganzen Wiesenquadratmeter für sich in Anspruch nimmt. Dieses ist also die Ausgangssituation, aus der heraus Regisseur Tobias Kratzer für uns eine kurzweilige Handlung spinnt.



In der 1756 in Paris uraufgeführten Oper geht es um die verfeindeten Zoroastre und Abramane. Letzerer möchte gerne seine Exbraut Amélite wiedergewinnen, die inzwischen mit Zoroastre verlobt ist. In diesen wiederum ist auch Érinice verliebt der aber von ihr nichts wissen möchte. Érinice und Abramane entführen also Amélite, die aber von Zoroastre schnell gerettet wird. Es folgt die Hochzeit. Doch noch einmal entführt Abramane Amélite. Doch nachdem Abramane vom Blitz getroffen wurde, folgt das Happy End für das Paar.

Diese Geschichte hat Tobias Kratzer zusammen mit Bühnen- und Kostümbildner Sellmaier ziemlich konsequent und spannend in ein Gegenwartsdrama umgesetzt. Der Zuschauer hält schnell den Atem an ob dieses immer mehr eskalierenden Nachbarschaftsdramas und der köstlichen Parodien, die uns der Regisseur da präsentiert. Das fängt schon an mit dem rosa Brief, den Zoroastre (leider indisponiert Thomas Walker) achtlos in die Mülltonne wirft. Als Érinice (Nadja Mchantaf) hochhackig hereinstöckelt und einen ebensolchen Brief parfümiert und in den Briefkasten wirft, wird schnell klar, eine Verehrerin. Deren Stimmung bessert sich nicht gerade, als sie in der Mülltonne all ihre Liebesbriefe findet – einfach köstlich, wie sie in die Mülltonne kriecht, um auch noch den untersten rosa Brief herauszufischen. In Wut geraten brütet sie sodann mit dem Nachbarn Abramane (Thomas Dolié) Unheil aus. Doch zuerst beobachtet sie Zoroastres Haus. Dort taucht schon bald die verliebte Amélite (Katherine Watson) auf, klingelt und telefoniert aber vergeblich (später sehen wir, daß Zoroastre mit Kopfhörern Musik hört und deshalb das Klingeln nicht hören konnte). Hätte er die Tür nur geöffnet, so aber wird Amélite beim Sonnenbaden von der bösen Nachbarschaft in ein Netz gepackt und entführt. Mittels der Drehbühne dürfen wir nun auch in Zoroastres Haus reinschauen, geschmackvoll eingerichtet mit Bücherregal, offenem Kamin, Wintergarten und Le-Corbusier-Sesseln, ein Ambiente in dem wir mit Hausguru Oromasès (Johnathan McCullough) eine köstliche Parodie auf Yogaverrenkungen und Indienmoden erleben dürfen.



In der Oper spielt dann auch noch das Volk in Form des Chors eine nicht unwichtige musikalische Rolle. Daß man den Chor aus dem Lautsprecher hört, ist akustisch wenig erfreulich, ist aber den Umständen geschuldet, daß der Chor zumeist im Hintergrund agiert, weil die Bühne ja komplett mit den beiden Häusern zugebaut ist. Was der Chor so treibt, ist allerdings durch einen Kunstgriff gut sichtbar. Immer wieder geht nämlich ein weißer Vorhang herunter, auf dem wir in Vergrößerung als Projektion sehen, was in dem anfangs erwähnten Wiesenstück vor sich geht. Aus dem Opernvolk wurde in der Inszenierung nämlich ein Ameisenvolk, das in der Wiese lebt. Und diese Ameisen sehen wir nun in groß. Und die Ameisen sind der Chor, der tatsächlich im Hintergrund der Bühne spielt. Das Leben zwischen Menschen und Ameisen ist nun eng verkoppelt. Fliegt der Kronkork einer Flasche in die Wiese, lesen diesen die Ameisen auf und fangen später damit das Wasser auf, mit dem Amélite (die Gute) die Wiese begießt, während die Ameisen fliehen, wenn Érinice (die Böse) ihre Zigarettenasche in die Wiese stäubt. Oromasèses in die Wiese geworfener Apfelbutzen wird von den Ameisen schon bald abgenagt. Das lenkt zwar immer wieder stark ab, aber ist eine nette Idee.



Mit der Hochzeit von Amélite und Zoroastre eskaliert die Situation dann völlig. Die Hochzeitsgesellschaft provoziert Abramane nicht wenig. Daß Zoroastre den Zaun um das Wiesenstück aber inzwischen elektrisch geladen hat, bringt dann aber nicht Abramane sondern Amélite zu Fall.

Nach der Pause sieht das Bühnenbild dann etwas anders aus. Die Häuser sind zu Festungen hochgerüstet. Aus Zoroastres Dachfenster ragt bedrohlich ein Geschütz heraus. Nun herrscht Krieg zwischen den Nachbarn. Da sollte Amélite nicht alleine im Vorgarten herumspazieren. Sie wird auch prompt von Abramane erwischt, der sie mit einem Spaten niederschlägt und einsperrt. Das Wiesenstück gräbt er kurzerhand aus und nagelt es an die Wand. Um das Wiesenstück am Ende endgültig zu erledigen, rückt er schließlich mit einem Rasenmäher an. Wird dabei aber von dem sich völlig in diesen Nachbarschaftskrieg hineinsteigernden Zoroastre erschossen. Dann sind alle ganz traumatisiert (trotz des textlichen Liebesgegluckers).

Und dann gibt es da noch ein schwules Paar (Denis Milo als Zopire und Daniil Chesnokov als Narbanor), das am Anfang grellbunt joggend herumhüpft, dann bei der Hochzeit Cocktails schlürft, dann im Smoking aus der Oper kommend Abramane bei seiner Intrige hilft und schließlich wieder joggend über das Trümmerfeld rennt.

Klaus J. Loderer

Besuchte Vorstellung: 28. Juni 2017
(Premiere 18. Juni 2017)

Komische Oper Berlin

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