Walküre – Gent – 2007
Walküre an der flämischen Oper in Gent
Für den amerikanischen Dirigenten ungarischer
Abstammung, Ivan Törzs, gehören die Werke Richard Wagners zum festen
Bestandteil seiner Arbeit. Im vergangenen Jahr begann er an der Flämischen Oper
(Vlaamse Opera) in Gent mit einem neuen »Ring des Nibelungen«. Nun war »Die
Walküre« zu sehen. Wieder führte er das Opernorchester mit sicherer Hand durch
die vielschichtige Partitur, arbeitete an den Details ohne die große Linie zu
verlieren. Effektvoll ohne plakativ zu werden, entstand so ein beglückendes
Zusammenspiel.
Radikal hatte Regisseur Ivo van Hove schon das
Rheingold in die moderne Gegenwart einer von Computern dominierten Welt
versetzt. Einen »Großstadtdschungel« hatte Bühnenbildner Jan Versweyveld statt
deutschen Waldes für die »Walküre« gebaut. Statt Sturmwinden hetzen Statisten
zwischen den Häusern, verläuft sich Siegmund (in den Höhen etwas gequält:
Jeffrey Dowd) und findet schließlich zu Sieglindes (Edith Haller) Herd.
Kleinbürgerlich geht es zu in Hundings Wohnung (ein bemerkenswerter Bass:
Attila Jun). Erst im zweiten Aufzug entfaltet das Bühnenbild seine volle
Wirkung, wenn die über die Bühne verteilten Pfeiler dank geschickter
Beleuchtung zu einer Wolkenkratzerskyline hinter Wotans Glasbungalow werden.
Wotan (James Johnson) im Anzug und seine Frau Fricka (Anne Mason) als harte
Geschäftsfrau, die sich zum Termin mit ihrem Ehemann von Bodyguards begleiten
lässt, passen nur zu gut in diese Welt. Die burschikose Walküre Brünhilde (in
dieser Rolle sehr erfahren und solide: Jayne Casselman) vermittelt zur
Außenseiterwelt Siegmunds, der wieder einmal zwischen den Hochhäusern
herumhetzt. Dass er hier von einer Straßengang aufgerieben wird, passt zur
drastischen Modernisierung. Dass der Aktenkoffer, den er bei sich trägt, ihm
sogleich Unglück bringt, mag einleuchten, sollte es sich doch wohl um den von
Alberich verfluchten Ring handeln, wenn auch nicht klar wird, wie er dazu kam.
Dass Wotan seinen Sohn Siegmund persönlich umbringt, ist zwar ein konsequentes
Weiterdenken des Texts, aber weniger geglückt als der ursprüngliche Kunstgriff
Wagners.
Bis zum dritten Aufzug scheint ein großes
Unglück, ein Krieg, ein Bürgerkrieg oder ein Terroranschlag stattgefunden zu
haben, die Großstadtwelt ist eingestürzt, die Krankenschwesterwalküren schaffen
verletzte Soldaten in ihr Krankenhaus. Auch das ist ein konsequentes
Ausleuchten des Textes, muss doch tatsächlich vor Beginn des dritten Aufzugs
eine Schlacht toben, damit die Walküren die toten Helden herbeischaffen können.
Als Kunstgriff des Hyperrealismus ließ der Regisseur die Walküren mit echten
Pferden auf die Bühne kommen. Man hätte die Pferde natürlich entsprechend dem
gesungenen Text einsetzen können, doch bleiben sie letztlich bloße Staffage im
Hintergrund. Trotz der eigentlich geschickten Idee, Brünhilde, auf dem
Operationstisch in künstliches Koma zu versetzen, ließ der dritte Aufzug die
Konsequenz der ersten beiden vermissen. So bleibt fragwürdig, warum das
Krankenhaus, nachdem Wotan die Walküren weggeschickt hatte, plötzlich von neuem
Personal bevölkert ist. Doch das tat dem neuen Blick auf den »Ring« keinen
Abbruch.
Klaus
J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 4. Februar 2007
Opera Gent
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