Vorspiel – Theater Bremen – 2007
Erinnerungen in einer abgedunkelten Wohnung
Uraufführung am Schauspiel Bremen: »Vorspiel« von Csaba Mikó
Als undurchdringbares Erinnerungsgeflecht stellt
sich das Kammerspiel »Vorspiel – eine Erinnerungssinfonie« des jungen
ungarischen Autors Csaba Mikó dar. Drei Personen scheinen nur in ihren
Erinnerungen zu leben. Für zwei von ihnen, Mutter und Sohn, ist die Gegenwart
so unwichtig, daß sie in einer abgedunkelten Wohnung leben, die sie scheinbar
nie verlassen. Die Beziehung zwischen den Personen erfahren wir nur aus den
Erinnerungsfetzen, die teilweise gebetsmühlenartig wiederholt, von den
einzelnen Personen aber durchaus variiert werden. So kann der Zuschauer
letztlich nicht genau erkennen, welche der Wahrheiten eigentlich die richtige
ist. Wir können erahnen, daß der Mann der Liebhaber der Mutter war (oder ist?).
Aber auch zu ihrem Sohn scheint die Mutter ein erotisches Verhältnis (gehabt)
zu haben. Die vierte Person, der immer wieder erwähnte Vater, kommt nicht vor, er
starb lang vor Einsetzen des Stückes. Er ist aber trotzdem bindendes Glied
zwischen den Personen und in fast jedem Satz präsent. Die drei Personen des
Stücks werfen sich abwechselnd gegenseitig vor, den Vater umgebracht zu haben.
Aber wir sehen keinen Krimi, die Auflösung des Rätsels gönnt uns der Autor
nicht. So bleibt dies ungewiss.
Vieles bleibt ungewiss in »Vorspiel«, das unter
der Regie von Philip Stemann am 6. Dezember in Bremen seine Uraufführung
erlebte. Hätte man im Programm nicht noch einen dritten Schauspieler
aufgelistet, man würde sogar erwartet, der in den Gesprächen immer wieder
angekündigte Liebhaber würde doch nicht kommen, eine Szenerie des Wartens, die
wir von Becketts »Warten auf Godot« kennen.
Ausstatterin Bente Matthiessen hat den länglichen
Gewölberaum im Brauhauskeller, einer kleinen Spielstätte des Schauspiels Bremen
unter einer historischen Brauerei, so gestaltet, dass die Zuschauer durch ein
Bogenfenster (zwar mit Holzrahmen – aber ohne Verglasung) in ein Wohnzimmer
blicken, dessen Zentrum ein Sofa bildet. Das Ambiente ist bürgerlich aber etwas
heruntergekommen. Schachteln, in denen verschiedene Erinnerungsstücke verpackt
sind, türmen sich an den Wänden. Im Hintergrund erkennen wir ein weiteres
Bogenfenster, das mit einem Vorhang verschlossen ist. Gedämpftes Tageslicht
fällt herein. Irgendwie irritiert es, abends im Untergeschoss diesen
vermeintlichen Sonnenlichteinfall vorzufinden. Ein Kronleuchter beleuchtet die
Szene. Eine Budapester Wohnung der Zwischenkriegszeit?
Der Zuschauer darf sich als Voyeur betätigen,
darf die intimen Dialoge belauschen. Er darf die kränkelnde Mutter beobachten,
die zu einfachsten Verrichtungen nicht mehr fähig zu sein scheint - oder
einfach den Sohn tyrannisieren möchte. Irene Kleinschmidt kokettiert mit
Gebrechlichkeit und verblassender Schönheit und gibt sich abwechselnd
liebreizend und despotisch. Der Zuschauer darf den Sohn beobachten, den
Johannes Flachmeyer als einen zu einem Pedanten gealterten Mann interpretiert.
Die vom Zuschauer erwartete Lösung bringt aber auch Tobias Beyer als
»Liebhaber« nicht.
»Vorspiel«, dessen Dialoge an Texte des absurden
Theaters erinnern, gehört zu einer Gruppe von Stücken, die Csaba Mikó als
»Erinnerungssinfonien« benannte. Mikó ist Hausautor des Budapester Kreidekreis-Theaters
(Krétakör Szinház).
Die Uraufführung war einer der Beiträge des
Theaters Bremen zum Kulturjahr »Ungarischer Akzent«. Am »ungarischen« Programm
beteiligte sich auch die Oper mit Ligetis »Le grand Macabre« und der Operette
»Die Csárdásfürstin«. Für Literaturliebhaber gab es eine Lesung mit Péter
Esterházy.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 6. Dezember 2007
Theater Bremen, Brauhauskeller
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