Verdis "Simon Boccanegra" – Staatsoper Hamburg – 2017

Ein Schicksalsmeteorit schwebt drohend über Simon Boccanegra 

Verdis Oper „Simon Boccanegra“ an der Staatsoper Hamburg 

Im Treppenhaus der Staatsoper Hamburg hatten mich die Fotos von Claus Guths Inszenierung  von „Simon Boccanegra“ schon seit Jahren neugierig gemacht. Da die Produktion aus dem Jahr 2006 gerade wieder auf dem Spielplan steht, machte ich mich gestern auf den Weg, sie mir endlich einmal  anzuschauen.

In ihren Inszenierungen arbeiten der Regisseur Claus Guth und der Bühnenbildner Christian Schmidt oft mit Verdoppelungen und Spiegelungen. Im Hamburger „Simon Boccanegra“ ermöglicht ein solcher Kunstgriff dem Zuschauer, den vorgestellten Spielraum scheinbar vollständig zu sehen. Damit umgehen sie elegant das Problem der vierten Wand, eben der Seite eines Bühnenbilds, die durch die Bühnenöffnung ausgespart und dadurch unsichtbar bleibt. Normalerweise ergänzt sich der Zuschauer eben in seiner Fantasie oder sie bleibt eben einfach völlig unwichtig. Hier sieht man sie oder meint sie zu sehen. Eigentlich sieht man drei Wände eines rechteckigen Raums, weiße Wände und kühl und leer. Nur die Zersplitterung in der Mitte des Oberlichts belebt den Raum. Im Hintergrund hängt aber ein riesiger querrechteckiger Spiegel mit Goldrahmen. Natürlich ist das kein Spiegel, denn dann würde man den Zuschauerraum sehen. Im Goldrahmen öffnet sich ein zweiter Raum. Man erkennt den roten Teppichboden, die umlaufende Verkleidung der Heizkörper, die Wandlampen mit Schirmchen. Die vierte Wand mit drei Türen ist sichtbar. Leicht schräg ist dieser Bereich gebaut, wie in einem leicht nach vorn gekippten Spiegel. In der nächsten Szene ist der Goldrahmen mit einem Meeresbild ausgefüllt. Nur gelegentlich scheint das Hinterleben visionär auf. In der dritten Szene blicken wir von der anderen Seite in den Raum, nun auf die drei Türen. Jetzt schauen gewissermaßen wir durch den Spiegel in den Raum. Der Raum aber bleibt gleich. Und doch verändert sich etwas im Verlauf der Oper. Es wird nach und nach deutlich, was zur immer größer werdenden Zersplitterung des Oberlichts führt. Ein riesiger Steinbrocken bricht von oben herein. Aber wir sehen seinen Fall nicht. Er bewegt sich nicht in den Szenen. Er ist nur in jeder Szene weiter unten, schwebt in der Szene, wenn Simon vergiftet wurde, bedrohlich als Zeichen des Schicksals über ihm, und ist auch nur für Simon sichtbar.  Der hörbare Schrecken im Publikum hätte nicht größer sein können, wäre der Steinbrocken plötzlich herabgestürzt. In der Schlußszene liegt er dann auf dem Boden. So bindet der »Meteorit« die Szenen der Oper in einer zeitlichen Abfolge zusammen.

Die surreale Wirkung wird noch verstärkt durch eine Verdoppelung und einmal sogar Verdreifachung der Hauptfigur Simon und die Einführung seiner Geliebten Maria, die in der Oper zwar oft erwähnt wird als Tochter, Geliebter und Mutter, aber eigentlich nicht vorkommt, da sie gerade vor Beginn der Oper gestorben ist. Hier nutzt Claus Guth das scheinbare Spiegelbild im Hintergrund, um die Handlung teilweise räumlich zu trennen, Teile der Handlung, die im echten Vordergrund passieren, Teile, die nur im Spiegelbild passieren. Überhaupt ist die Inszenierung als Rückblick gestaltet: beim Öffnen des Vorhangs liegt (noch ohne Musik) der tote Simon am Boden, eine Gruppe von Menschen beugt sich über ihn und verlässt dann wie im Rücklauf die Bühne. Dieses Motiv schließt sich am Ende mit dem Tod von Simon. Parallel zur ersten Szene werden mit der Statistin Leiden und Tod Marias angedeutet, die zuerst von Fiesco unterdrückt wird, sich die Pulsadern aufschneidet und dann im „Spiegelbild“ Blutspuren an den Wänden hinterlässt. Der doppelte Simon taucht als Spiegelung auf und agiert zuerst entsprechend, wird aber dann auch Teil der echten Handlung. Simon, der diese Oper wie als Zeitraffer seines Lebens im Sterben wahrnimmt, wechselt mit seinem Double manchmal auch die Rolle. In der fünften Szene agiert das Double, während der Sänger Simon wie neben sich steht und in die Handlung einzugreifen versucht.

Eine Mittelalterassoziation der im 14. Jahrhundert in Genua spielenden Geschichte gibt es natürlich nicht zu sehen. Der Raum mit Oberlicht und die Uniformen lassen eine  leichte Assoziation an den italienischen Faschismus oder die spanische Falange zu, ohne allzu deutlich zu werden. Das passt zu der Geschichte eines zum Staatsoberhaupt gewählten Volkshelden ganz gut. Dabei lernt der Opernbesucher Simon weniger als blutrünstigen Diktator (aus den Dialogen erfährt man etwas von Morden) denn als vom Schicksal geschlagenen Menschen kennen. Das Amt des Dogen nimmt er an, um seine Geliebte Maria aus dem Palazzo ihrer Familie zu befreien. Doch wird die Trauer Simons um die tote Maria überdeckt vom Jubel des Volkes für den gewählten Dogen Simon. Das ist ein bemerkenswerter Kontrast in der Musik Verdis. Claudio Sgura arbeitet mehr den Menschen Simon heraus, denn den Despoten. Die Männerrollen sind gut besetzt. Auch Alexander Vinogradov (Jacopo Fiesco), Alexey Bogdanchikov als Paolo und Massimo Giordano als Gabriele Adorno überzeugen. Guanqun Yu hat zwar die für Amelia notwendige Höhe, doch schafft sie es leider nicht Gefühlsstimmungen in ihren Gesang einzuarbeiten.  Und Christoph Gedschold dirigiert solide das Philharmonische Staatsorchester. Also auch musikalisch ein erfreulicher Abend.

Klaus J. Loderer

18. Oktober 2017
(32. Aufführung seit der Premiere am 5. Februar 2006)

Staatsoper Hamburg

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