Salomé – Prinzregententheater München – 2014
Macht und Missbrauch in einem aberwitzigen Treppenlabyrinth
– Balázs Kovalik inszeniert am Prinzregententheater in München die Oper »Salomé« von Antoine Mariotte in einem phantastischen Bühnenbild von Csaba Antal –
von Klaus J. Loderer
Dass zwei Komponisten gleichzeitig an ein und demselben Stoff arbeiten, kommt in der Geschichte der Oper gelegentlich vor. Oft wird dann eine Fassung weltberühmt, während die andere in der Versenkung verschwindet. So ging es etwa mit den beiden Bearbeitung von »La Bohème«. Die Oper von Puccini ist berühmt, die Oper von Mascagni nur wenigen Opernkennern geläufig. Auch beim Salomé-Stoff ist dies der Fall. Man denkt sofort an die Oper von Richard Strauss. Doch gleichzeitig mit Richard Strauss arbeitete auch noch ein junger französischer Komponist an einer Vertonung des Theaterstücks von Oscar Wilde. 1895 las Antoine Mariotte (1875–1944) bei der Marine im chinesischen Meer das Wilde-Stück und träumte von einer Vertonung. Das war erst einmal nicht möglich. 1896 begann er dann ein Kompositionsstudium, das er aber aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Als Organist in Saint-Etienne kam er auch nicht dazu. 1902 fand er schließlich in Lyon am Konservatorium eine Stelle als Klavierprofessor, die ihm den finanziellen Rahmen und die Zeit für Kompositionen erlaubte. Dann kam allerdings 1905 der Schock, als er von der Uraufführung der Strauss-Salomé erfuhr. Es folgt eine verwickelte Geschichte, in der sich Mariotte bemühte, bei den Wilde-Erben die Rechte erhalten, der allerdings Strauss’ Verlag mit dem Erwerb der alleinigen Verwertungsrechte zuvorkam. Zwar stimmte Richard Strauss großzügig einer Komposition durch Mariotte und Aufführungen zu, der Verlag rang ihm aber einen Vertrag ab, nach dem das gesamte Aufführungsmaterial dem Verlag zu übergeben sei, der sich das Recht auf Zerstörung vorbehielt. Das Bekanntwerden dieser Bedingung führte schnell zu einer journalistischen Schlammschlacht, in der die Vision einer öffentlichen Verbrennung auf der Straße Unter den Linden in Berlin phantasiert wurde. Erst nach Vermittlung durch Romain Rolland glätteten sich die Wogen. 1908 wurde die Mariotte-Salomé in Lyon uraufgeführt und in einigen französischen Theatern nachgespielt. In Paris wurde die Oper 1919 in den gleichen Kulissen gespielt wie die Strauss-Salomé. Dann verschwand die Mariotte-Salomé in der Versenkung. Die Strauss-Fassung dominiert das Thema bis heute. Erst 2004 fand in Neustrelitz die deutsche Erstaufführung der Mariotte-Salomé statt. Nun hat sich die bayerische Theaterakademie des Themas angenommen und im Prinzregententheater in München zur Aufführung gebracht. Am 28. Februar war die Premiere.
In der bayerischen Theaterakademie ist seit 2012
der bekannte ungarische Regisseur Balázs Kovalik Leiter des Master-Studiengangs
Musiktheater/Operngesang. Er inszenierte nun Mariottes Salomé in einem
phantastischen Bühnenbild von Csaba Antal, der ebenfalls an der Theaterakademie
unterrichtet. Ein kompliziertes System von Metalltreppen hängte Antal in den
Bühnenraum. Sie verbinden Podeste auf unterschiedlichen Ebenen, die spärlich
möbliert Situationen im Palast des Herodias andeuten. So kann man durch Bett,
Sofa, Badewanne und Bar spezielle Zimmer erahnen, ohne dass eine entsprechende
»Puppenstube« aufgebaut worden wäre. Ganz oben thront das lebensechte Modell
eines rosafarbenen Pferdes. Treppen, Podeste und Aufhängungsseile ergeben
zusammen ein geradezu aberwitziges räumliches Gespinst, in dem ununterbrochen
jemand treppauf-treppab geht. Dabei ist der Weg durch das Bühnenbild nicht so
einfach. Oft muss jemand zuerst nach oben gehen, um hinabgehen zu können. Eine
Treppe führt nach unten in die Unterbühne, eine andere Treppe führt schier
endlos in die Höhe der Bühne. Man wähnt sich in einer modernen Version von
Piranesis Carceri oder den unmöglichen Welten eines M. C. Escher.
In diesem raffiniert ausgeleuchteten
Treppensystem (Licht: Peter Platz) bewegen sich Menschen, die aus Zukunft,
Gegenwart und Vergangenheit gleichzeitig zu sein scheinen. Da wähnt man
futuristische Kleidung ebenso zu erkennen wie einen römischen Offizier mit
goldenem Brustharnisch und rotem Federbusch (Kostüme: Angelika Höckner), da
spazieren türkise Stewardessen der Fünfzigerjahre herum und amerikanische
Comicfiguren. Das kardinalrote Priestergewand markiert Herodes als König. Sein
Gegenstück ist der Prophet Iokanaan (Johannes) in schwarzer Soutane. Salomé
probt in türkisem Tütü Ballettschritte.
Die schon an sich heftige Handlung des
pseudobiblischen Salomé-Stücks von Wilde, die von Maritte mit teilweise
drastischen Akkorden betont wird, übersteigert Balázs Kovalik zu einem geradezu
aberwitzigen System der Abhängigkeiten. Wie stark Introvertiertheit in einem
Haus voller Menschen zu einer Obsession werden kann, zeigt die Inszenierung in
gespenstischer Weise. Dies wird in der Figur des jungen Syrers besonders
überzeichnet. Dieser ist zwar in Salomé verliebt, aber nicht mehr in die echte
Salomé, sondern nur noch in das Bild, Salomé muss ihm gar nicht mehr schöne
Augen machen – eine Filmaufnahme reicht auch, an der er sich dann, mit der
Datenbrille isoliert, ergötzt. Wer die echte Salomé ist, das ist für den
Betrachter gar nicht so leicht, die Inszenierung verdoppelt die Figur nämlich.
Da ist die handelnde Sängerin. Da gibt es aber auch noch das kleine Mädchen,
das eifrig Ballettschritte probt. Dadurch baut Kovalik eine weitere Ebene ein
mit einem Rückblick auf die eigene Kindheit der Salomé. Als was schon Oscar
Wilde sich den Tanz der sieben Schleier angedeutet hat, zeigt Kovalik nun
drastisch. Ist Herodes im roten Gewand der Macht- und Lustmensch, der seine
Umgebung ge- und missbraucht, ist Iokanaan im schwarzen Gewand das positive,
moralisch integre Gegenbild des Vaters. Es ist dieses Gegenbild, in das sich
Salomé verliebt.
Am Ende konterkariert Balázs Kovalik das Stück
dann noch heftig. Immer wieder geht ein Schlachter die Treppe hinauf und
hinunter. Doch so einfach spielt Kovalik die Handlung nicht nach. Der
herangebrachte Kopf – der Kopf einer South-Park-Figur – entpuppt sich als Ball,
während Iokanaan blutüberströmt noch einmal auf die Bühne tritt und von Salomé
gekämmt wird. Und es ist schließlich Iokanaan, der Salomé küsst. Als Herodes
das Treiben nicht mehr anschauen mag, erschießt er sie schließlich mit einer
Pistole.
Natürlich hat man bei Salomé immer die
Strauss-Klänge im Kopf, zumal der Text zum Teil identisch ist, haben doch beide
Opern das Wilde-Stück als Grundlage. Doch gibt es nicht nur musikalische
Unterschiede. Die Nebenrollen sind anders gruppiert. So gibt es bei Mariotte
die Gruppen der Juden und Nazarener nicht. Dafür gibt es einen Chor, der das
Finale mit Vokalisen unterlegt. Das Klangbild zeigt einen Einfluss von Debussy
und Chausson und steht in starkem Gegensatz zu Strauss.
Ulf Schirmer baut mit dem Münchner
Rundfunkorchester eine Dauerspannung auf, der einen erst nach dem Ende wieder
zu Atem kommen lässt. Interessanterweise sind alle drei Frauenrollen der Oper für
Mezzosoprane. Auf die weiteren Leistungen von Idunnu Münch als Herodias im
Rollstuhl darf man schon gespannt sein. Die dramatischen Ausbrüche der Salomé
Anna-Maria Thoma, die durch eine Beinverletzung etwas eingeschränkt war, waren
bemerkenswert. In einer Nebenrolle ist der Bariton Benedikt Eder (Erster
Soldat) hervorzuheben. Eric Ander sang den Herodias mit kernigem Bass. Heeyun
Choi als Iokanaan, auch eine Bass-Partie, fehlte etwas die Durchschlagkraft
gegen das mächtige Orchester.
Für eine Hochschulaufführung sind die Münchner
Verhältnisse schon in jeder Hinsicht überaus professionell. Da die Maske
gleichzeitig Bachelorabschlussarbeit war, seien Antonia Bein, Julia Hausmann
und Carolin Schirmer auch besonders erwähnt.
Besuchte Vorstellung: Premiere 28. Februar 2014
Prinzregententheater München
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