Rigoletto – Nationaltheater München – 2012
Anonyme Massen auf Tribünen
Árpád Schillings Neuinszenierung von Verdis Oper Rigoletto an der bayerischen Staatsoper München
Die bayerische Staatsoper München hat dem Operneinsteiger
Árpád Schilling die Neuinszenierung von Verdis Rigoletto anvertraut. Bekannt
ist Schilling durch seine Produktionen mit dem Budapester Ensemble Kreidekreis
(Krétakör). Zwar hat Schilling für das Opernstudio schon Rossinis Cenerentola
auf die Bühne bebracht und letzten Sommer die bemerkenswerte Kammeroper »Undankbare
Biester« mitentwickelt. Doch war es tatsächlich die erste Opernarbeit
Schillings auf einer so großen Bühne. Wird bei Wagner-Opern-Regisseuren im
Vorfeld immer kritisch gefragt, ob er denn mit den Chören umgehen könne, hat
Árpád Schilling auf Anhang bewiesen, dass er mit riesigen Menschenmassen auf
der Bühne leicht umzugehen weiß. In München war der nicht gerade kleine Chor
(wunderbar präzise der Herrenchor) sogar noch durch zahlreiche Statisten
erweitert, die das Konzept gewissermaßen auffüllten. Dass sich Menschen in
ihrem (unsittlichen) Treiben gerne hinter Masken verstecken, nahm Árpád
Schilling zu einem Hauptmotiv der Inszenierung. Zu Beginn sitzt dem Publikum im
Nationaltheater eine indifferente Masse von Männern auf einer Art Tribüne
gegenüber. Alle sind irgendwie beige gekleidet und alle haben die Gesichter
hinter Masken versteckt. Nach und nach schälen sich daraus die Protagonisten
heraus. Und es baut sich eine Handlung um einen Herzog auf, der geradezu
unersättlich Frauen flachlegt. Nur selten hat man den Herzog als so herzlosen
Kerl erlebt, der nur am One-Night-Stand interessiert, jede Frau sofort wieder
vergisst. Perfide werden da Ehemänner und Väter zur Seite geschafft. Da helfen
die Masken, die Anonymität versprechen. Und die anonyme Masse schaut zu bei
diesem Spiel, begierige Voyeure, die durch Masken beschützt, keine Moral kennen
müssen. Ob das nun Theaterzuschauer, Sportzuschauer und sonstige Zuschauer
sind, sie gaffen und verstecken sich in der Masse.
Die Tribünen bilden das Hauptmotiv des Bühnenbilds, das von
Márton Ágh konzipiert wurde. Aus einem einfachen Mittel schafft Ágh aber
trotzdem eindrückliche Bildräume. Nur der Romanze zwischen Herzog, der sich als
armer Student Walter der lieblichen Gilda den Hof macht gönnt der Bühnenbildner
einen weißen Vorhang in voller Bühnenhöhe und Breite. Verdreht halten die
Tribünen als Straße vor dem Haus von Rigoletto her, wenn die Höflinge Gilda
entführen. Dann verlässt der Herrenchor auch die Tribüne – für die Voyeure gibt
es nichts mehr zu sehen.
Den Herzog (mit strahlender Höhe der maltesische Tenor
Joseph Caleja), der von seiner Gilda (Patricia Petibon) träumt, umsäuselt dann
wieder der weiße Vorhang. Nichtsdestotrotz entjungfert er sie dann ziemlich
kaltschnäuzig, wenn die Höflinge ihm die entführte Gilda ins Bett legen. Gilda
liebt ihn aber trotzdem und sorgt am Ende dann auch dafür, dass der gedungene
Mörder nicht den Herzog umbringt. Sie selbst bringt sich in der von Verdi so
genial unterlegten dramatischen Gewitternacht als Oper dar. Eigentlich: Árád
Schilling misstraut dem Melodram und distanziert sich vom Tod Gildas, indem
dieser deutlich als Theatertod dargestellt wird. Da bricht dann mal wieder eine
von Brechts ununsäglichen Theaterideen durch. Wenn Rigoletto (Franco Vassallo)
rätselt, wer eigentlich der Tote im (nicht vorhandenen) Sack ist, während Gilda
deutlich sichtbar vor ihm liegt, fahren die Tribünen in die schier unendlich
anmutende Tiefe der Bühne – mit ihnen der mal wieder von den mobilen Damen
trällernde Herzog, der Meuchelmörder Sparfucile (sehr düster: Dimitry
Ivashchenko) und Maddalena (Nadia Krasteva). So entziehen sie sich der
Verantwortung. Die Höflinge wollten das schon gar nicht mehr sehr. Nurmehr
leblose Puppen saßen am Schluss auf den Tribünen.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 28. Dezember 2012
Nationaltheater München
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