Premierenkritik: Jerry Hermans Musical „La Cage aux Folles“ – Staatstheater Mainz – 2017

Zaza, Synonym für die verletzte Seele der Schwulen

Premiere von Jerry Hermans „La Cage aux Folles“ im Staatstheater Mainz

Jerry Hermans Musical „La Cage aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) ist nicht nur bunt, schrill und romantisch, nein es ist doch eigentlich viel Mehr, nämlich ein Plädoyer für ein völlig anderes Lebenskonstrukt: nämlich offen schwul zu leben. Spreche ich mit jüngeren Schwulen, stelle ich immer wieder fest, wie wenig diese über ihre Vorreiter wissen: nämlich Menschen, die dafür gesorgt haben, das sie heutzutage so frei, offen und selbstverständlich ihre Sexualität und Partnerschaften leben können. Auch in den 1980er Jahren, als ich jung war, hat man sich noch versteckt, das die Anderen bloß nichts merken, ausgelebt hat man sich dann in seiner „Schwulen-Disco“, in der „Subkultur“, wo man dann endlich mal für ein paar Stunden unter „Gleichgesinnten“ so sein durfte, wie man war: einfach schwul. Da kam dann die sensationelle Deutsche Erstaufführung von und mit Helmut Baumann im Berliner Theater des Westens heraus, die tolle Langspielplatte dazu, und die begleitet sozusagen als „Soundtrack“ mein gesamtes schwules Leben. Wie viel Mut habe ich aus „Mascara“ gezogen, wenn ich mich mal wieder nicht traute, wie viel bedeutet mir „Ich bin wie ich bin“ – Lebenselexier!

La Cage aux Folles in Mainz
Foto: Andreas Etter
Regisseur Christopher Tölle ist eine schöne Inszenierung mit sensationellen Choreographien gelungen, und vor allem vergisst er eines nicht herauszustellen: den Moment, in dem schwul sein wirklich weh tut. Das ist der Moment, wenn der eigene Ziehsohn, sogar der eigene Mann sich für einen schämt. Heulend saß ich heute im Parkett, erinnert z.B. an meine (einstige beste) Freundin Tessa, mit der ich alles teilte, der ich Ohr, Seelsorger, Freund, Vertrauter war, und die ich, als sie Karriere bei einem große Verlag machte, plötzlich sagen hörte: „Ich habe da jetzt eine höhere Stellung, da kann ich doch nicht mit einer Tunte wie Dir auf der Party auftauchen, das musst Du schon verstehen“ (ähnliche Erniedrigungen gibt es viele in einem schwulen Leben). Da ist man ganz nah bei Zaza, legt auf die „verletzte Seele“ noch einmal etwas mehr Mascara auf! Das Schöne am schwul sein ist aber: man hat so viel Spaß, daß man derlei Seelenpein dann auch wieder „wegtanzt“ (anderes traue ich mich nicht zu sagen). Grandios an diesem Abend Stephan Bootz als Georges. Dieser wundervolle Bariton, diese Fähigkeit mit der Stimme die Seele zu streicheln, großartig! Dazu noch diese sinnliche Erotik die er als Darsteller ausstrahlt, und die verstehen lässt, warum Zaza ihm das auch wirklich alles verzeiht. Ihm ebenbürtig Alin Deleau als Zaza, darstellerisch berührend, hervorragend gesungen, aber, für meinen Geschmack etwas zu jung. Den beiden gehören die „tränentreibenden“ innigen Momente, von „mit Dir im Arm“, „Song am Strand“ und natürlich „Sieh’ mal dort hin“. Grandios Fausto Israel als Jacob, der die Lacher auf seiner Seite hat, hinreißend schwul und die perfekte Tunte! Das gesamte Ensemble, als auch das Orchester sorgten für einen amüsanten und großartigen, gleichfalls rührenden Abend, der mit großem Jubel und einer „Standing Ovation“ gefeiert wurde. Ich hätte, besonders im zweiten Teil einiges anders gemacht, aber ich möchte jetzt nicht herum mäkeln, denn ich danke vielmals für die vielen traurigen Erinnerungen an mein eigenes Leben, aber auch für die grandiosen Momente, die mir immer wieder zeigen: ja, so will ich sein: schwul!

Matthias Woehl

Besuchte Vorstellung: Premiere 14. Oktober 2017

Staatstheater Mainz

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