Premierenkritik: Tannhäuser von Richard Wagner – Staatstheater Wiesbaden – 2017

Oversexed oder Helden sind keine Luschen 

Premiere Tannhäuser von Richard Wagner im Staatstheater Wiesbaden 


Während des Vorspiels sitzen Pilger auf Bänken und schauen ein Video. Auf dem Petersplatz in Rom hält der Papst eine Audienz. Dazu gibt es aber einen Mix aus Woodstock, Piece and Love, sexuelle Revolution, auch sinnliche Bilder von Liebesspielen oder erigierte Gliedmaßen, alles irgendwie passend zum Thema. Doch leider holt man zum Rundumschlag aus, Bayreuth und die Hakenkreuzfahne, viel zu schnell wechselnde Bilder und Themen verwirren einen eher, als das sie auf das Stück einstimmen. Tannhäuser erhebt sich und hält sich eine Atemmaske über Nase und Mund (was mich schmunzeln lässt, braucht der Sänger etwa noch extra Luft, doch dazu später mehr). Auf der Bühne erscheinen weitere Personen, von dunklen Jacken umhüllt, die sie, wenn die Pilger den Raum verlassen, abwerfen.

Jordanka Milkova als Venus im Tannhäuser in Wiesbaden
Foto: Karl Monika Forster
Wir sind im Venusberg, nackte Menschen, die sich der Liebe hingeben, jeder mit jedem, Venus erscheint in einem herrlichen Goldfarbenen Kleid und schnappt sich ihren Tannhäuser. Liebesspiel. Erstaunlich das Nacktheit (und weiß Gott keine hässlichen Körper) immer noch Reaktionen im Publikum hervorrufen. Man tuschelt, eine Frau hinter mir buht, das also scheint heutzutage immer noch zu erzürnen. Doch die Liebespaare scheinen irgendwie übersättigt, man muss sich zum Liebesspiel schon animieren, man scheint übersättigt, der dauernden Kopulation müde. Tannhäuser geht. Wenn er wieder auf den Landgraf und seine Ritter trifft sehen wir einen Schneewittchensarg mit der toten Elisabeth auf der Bühne, welche am Ende des Aktes auch erwacht. Im ansehnlichen Einheitsbühnenbild von Rolf Glittenberg entstehen, verbunden mit einer tollen Lichtregie von Andreas Frank und den Videos von Gérard Naziri und Falko Sternberg, eindrucksvolle Bilder. 

Doch an diese Spannung kann Regisseur Uwe Erik Laufenberg leider im 2. Akt nicht anschließen, und vor allem nicht daran erklärend. Warum trägt man auf einmal während des Sängerkieges mittelalterliche Kostüme? Warum ist Tannhäuser, der Held, den Venus und Elisabeth beide haben möchten, eigentlich eine andauernd auf dem Boden kauernde Lusche? Welche Frau interessiert sich für einen Neurotiker? Im 3. Akt liegt auf der Bühne ein riesiges weißes Kreuz. Es schneit, Elisabeth läuft im Hemdchen Barfuß im Schnee umher. Als sich Tannhäuser nicht unter den zurückkehrenden Pilgern befindet, streift sie sich auch noch ihr Nachthemdchen ab und läuft Nackt in den Wald hinein (wieder unter Getuschel des Publikums). Doch das ist ein starkes Bild, das mich auch sehr berührt. Tolle Denkansätze, stimmungsvolle Bilder, aber ich würde zu gerne auch verstehen. Erschreckend die musikalische Seite des Abends.

Der Tannhäuser wird von Lance Ryan gegeben. Unter großem Kraftaufwand sondert er Geräusche ab. Teile seiner Partie spricht er, wenn er einmal singt, so wackelt die Stimme bedenklich, und zwar über Oktaven. In Ensemble-Szenen, wie der Ende des 2. Aktes stört er den entstandenen Wohlklang mit galligen gutturallauten Tönen, das man den Kopf einzieht, regelrecht erschrickt. Der Text ist bei ihm aber, wohl weil er meist spricht, sehr gut zu verstehen. Nicht so bei Sabina Cvilak als Elisabeth. In welcher Sprache sie singt kann man nicht ausmachen. Selbst beim Mitlesen der Übertitel erkennt man es nicht. Ansonsten keift sie sich im Dauerforte durch ihre Partie, nimmt auch in den innigen Szenen die Stimme nicht zurück, und somit verpufft vor allem der 3. Akt völlig, weil da ein Zurücknehmen, besonders im Gebet, unbedingt von Nöten ist. Szenisch aber überzeugt sie durchaus. In der Mittellage verfügt die Venus, gesungen von Jordanka Milkova, über eine wunderschöne Stimme. Doch sie macht den Hals so weit auf, das schon bei den ersten Tönen klar wird, das sie die hohen Töne so nicht in der Lage sein wird zu singen. Das bestätigt sich dann auch, und sie bleibt uns diese dann auch alle schuldig. Da sie offensichtlich auch Probleme mit dem Kostüm und den hohen Hacken, die sie trägt, hat, ist sie auch szenisch eine wenig überzeugende Venus. Beste Sängerin des Abends die herrliche Stella An als junger Hirte.

Eine rechte Labsal für das Ohr ist Benjamin Russell als Wolfram von Eschenbach. Er besitzt alles was ein guter Sänger braucht. Endlich ein Piano, endlich Farben, endlich Ausdrucksstärke, Innigkeit, das alles durch ein Legato miteinander verbunden, einfach herrlich. Ihm gleich Thomas de Vries als Biterolf. Auch hier ertönt hervorragender Gesang, der gestaltet, der etwas aussagt. Wie man weiß ist auch er ein szenisch überzeugender Darsteller.  Man kann sich zurücklehnen und einfach genießen. Mit kräftiger Stimme Young Doo Park als Landgraf Hermann. Enttäuschend das Orchester unter dem Dirigat des neuen Generalmusikdirektors Patrick Lange. Das er es zulässt, das der Schlusschor nicht auf die Bühne zurück kommt, sondern das gesamte Finale aus dem Off singt ist schon bedenklich, dazu deckt er dann den Chor mit seinem laut aufspielenden Orchester auch noch zu. Man bleibt uns den Höhepunkt der Oper somit ebenfalls schuldig. Hervorragend und wunderschön anzusehen die Statisten als Nymphen und Grazien. Der Abend wird dann vom Publikum frenetisch gefeiert.

Matthias Woehl

Besuchte Vorstellung: Premiere am 19. November 2017

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