Phantom of the Opera – Her Majesty's Theatre London – 2017
Das Publikum kreischt, wenn der Kronleuchter herunterrauscht
Das Muscial „Phantom der Oper“ läuft seit 1986 in London
Am Samstagabend spazierte ich durch das Londoner Westen und
überlegte, was ich mir im Theater anschauen könnte. Die Opern haben
Sommerpause, also sollte es Schauspiel oder Musical werden. Nun bin ich nicht
gerade ein Freund zeitgenössischer Musicals. Aber irgendwie war ich dann doch
einmal neugierig – vielleicht war es auch das archäologische Interesse ein
weiteres historisches Theater in London kennenzulernen. Und wenn man das Her
Majesty’s Theatre besuchen möchte, wird man wohl bis in die weitere Zukunft
nicht darum herumkommen, sich das dort laufende Stück anzuschauen. Also wurde
es „The Phantom of the Opera“. Dieses Musical läuft dort seit 1986! In der
Eingangshalle kaufte ich einer Chinesin eine überzählige Karte für die
ausverkaufte Vorstellung ab und landete dann ganz billig im Grand Circle, also
im zweiten Rang.
Ich muß zugeben, daß ist eine sehenswerte Produktion. Andrew Lloyd Webbers
Musik scheint allerdings nur aus wenigen Melodien zu bestehen, die sich schier
unendlich oft wiederholen. Soll man hier von Wagnerischer Leitmotivtechnik
sprechen? Tatsächlich hat jede Person ihr Leitmotiv. Da ist natürlich das
berühmte Hauptthema, das sehr effektvoll nach einem nur gesprochenen Dialog –
eine Versteigerungsszene – einsetzt. Wenn die Sprache auf den auf der Bühne
stehenden Kronleuchter kommt, beginnt mit dem Hochziehen des Kronleuchters über
den Zuschauerraum und der Verwandlung des Bühnenrahmens in jenen der Pariser
Oper im Fortissimo die Musik. Der Kronleuchter spielt dann später noch einmal
eine wichtige Rolle, wenn er überaus effektvoll herunterstürzt. Das wirkt in
diesem Theater natürlich besonders gut, weil der üppige Bühnenrahmen und der
Kronleuchter fast unmerklich in die Innenarchitektur des Zuschauerraums
übergehen. Überhaupt sind die Szenen mit dem Phantom-Thema musikalisch sehr
wirkungsvoll. Etwa, wenn das Phantom Christine, eine junge Sängerin, deren
Karriere es etwas nachhilft in die Tiefen des Opernhauses entführt. Auch das
dazu passende Bühnenspektakel ist technisch perfekt gemacht. Die schnellen
Verwandlungen sorgen dafür, daß man den Weg aus der Garderobe Christines durch
einen Spiegel und über diverse Steige hinunter nachvollziehen kann, bis das
Phantom dann mit ihr in einer Barke über einen unterirdischen See fährt, aus
dem ein Meer von Kerzen auftaucht. Das ist technisch einfach brilliant gemacht.
Durch die schnellen Verwandlungen entsteht in dieser Produktion auch nicht der
geringste Leerlauf.
Musikalisch erinnern die Szenen mit den Operndirektoren an Operetten-Couplets
des 19. Jahrhunderts – in der Oper würde man von Buffo-Rollen sprechen. Dann
gibt es noch etwas Liebesgesäusel auf dem Dach des Opernhauses. Und zu einem
Musical gehören auch große Massenszenen. Diese sind hier wirklich große Show.
Etwa die schon stark überzogenen Opernaufführungen und der Maskenball im
Treppenhaus. Am Ende große Beifallsstürme.
Als ich anschließend in der Underground saß, erzählte mir eine junge Frau
gegenüber, daß sie das Stück schon siebzehn Mal gesehen habe. Dazu wird es bei
mir sicher nicht kommen. Aber ich bin doch froh, daß ich mir das endlich einmal
angeschaut habe.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 19. August 2017
Her Majesty’s Theatre London
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