Opfer der Nazis: als Dirigent förderte Gustav Brecher Uraufführungen von Ernst Krenek und Kurt Weill
Opfer der Nazis: der Dirigent und Komponist Gustav Brecher
Von den Nazis in den Tod getrieben
Gustav Brecher wurde am 5. Februar 1879 als Sohn des Arztes
Alois Brecher in Eichwald im Erzgebirge (heute Dubí) geboren. Die Stadt in
Nordböhmen in der Nähe von Teplitz gehörte damals zu Österreich-Ungarn und ist
heute in Tschechien. Seine Mutter war die Tochter des Hamburger Oberrabiners
Isak Sternays. Nach dem Umzug der Familie nach Leipzig 1889 begann er seine
musikalische Ausbildung bei Salomon Jadossohn. Noch während seiner Ausbildung
wurden seine ersten
Tondichtungen „Rosmersholm“
und „Aus unserer Zeit“ von keinem geringerem als Richard Strauss uraufgeführt.
Erste Bühnenerfahrungen sammelte Gustav Brecher in der Spielzeit 1888/1889 als
Volontär am Stadttheater Leipzig. 1900 arbeitete er an der Seite von Gustav
Mahler an der Hofoper Wien.
Gustav Brecher dirigiert die Ouvertüre zu "Der Freischütz"
Sein Weg führte ihn 1902 als ersten Kapellmeister ans
Stadttheater Olmütz in Mähren (heute Olomouc, Tschechien). In Olmütz kam seine
Arbeit gut an. Hier eine Besprechung einer Aufführung von Beethovens Fidelio:
„Fidelio kam unter der Leitung des Capellmeisters, Herrn Gustav Brecher zu
Aufführung, in welchem die Direction unserer Bühne nicht einen Musikhandwerker,
sondern einen Künstler voll ernsten Strebens und kräftigen Talents gewonnen hat.
Orchester wie Sänger folgten mit seltener Hingebung der Oper, die unstreitig
als die beste bezeichnet werden darf, die wir hier seit Jahrzehnten hörten“
(Mährisches Tageblatt, 25.9.1902. zitiert nach Jitka Balatková: Eine kurze
Nachricht über Gustav Brecher in Olmütz. S. 257).
1903 bis 1911 war er erster Kapellmeister am Stadttheater
Hamburg, dem Vorgängertheater am Dammtor der heutigen Staatsoper. Dort
dirigierte er auch die Uraufführung von Federico Busonis „Die Brautwahl“ (mit
Elisabeth Schumann), dessen Komposition der Komponist Gustav Brecher sogar
widmete.
Intensiv beschäftigte er sich mit Aufführungspraxis. Dazu gehören auch seine Gedanken zu guten Übersetzungen der Textbücher, die er in der 1911 in Berlin erschienenen Studie „Opernübersetzungen“ zusammenfasste. Er übersetzte auch selbst zahlreiche Opern ins Deutsche, sei es, dass es davor noch keine deutsche Übersetzung gab, sei es, daß er die übliche Übersetzung unbefriedigend fand. Zu seinen musiktheoretischen Arbeiten gehören auch Veröffentlichungen über den italienischen Verismo in „Mascagnis Cavalleria Rusticana und die italienische realistische Oper“ (1900) und über Richard Strauss (1911).
Nach fünf Jahren an der Oper Köln führte ihn sein Werg von
1916 bis 1920 an die Oper Frankfurt am Main. Hier kreuzte sein Weg einen
weiteren großen Kollegen, nämlich Wilhelm Mengelberg. Ab 1920 begann er bereits
selbst zu unterrichten, er leitete die Meisterklasse für Dirigenten am
Stern’schen Konservatorium in Berlin.
1923 trat er dann die Stelle des Generalmusikdirektors am Neuen Theater in Leipzig an. Dort widmete sich der für seine Strauss- und Wagnerinterpretationen bekannte Dirigent auch der modernen Musik. Er dirigierte die Uraufführung von Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ und leitete ebenfalls die Uraufführung von Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, damals ein großer Theaterskandal. Die Legende berichtete, daß es in der Oper regelrecht Tumulte gegeben hat, Brecher aber kreidebleich bis zum Ende dirigierte. Heute loben wir dieses Engagement für neue Werke, im Dritten Reich diffamierte man ihn im 1941 erschienenen „Lexikon der Juden in der Musik“, dass er damit „zersetzende Tendenzen begünstigte“. Seine Liebe galt allerdings auch dem barocken Repertoire, das damals nicht so häufig gespielt wurde. So dirigierte er mehrmals bei den Göttinger Händelfestspielen und leitete die deutsche Erstaufführung von „Tamerlano“.
1923 trat er dann die Stelle des Generalmusikdirektors am Neuen Theater in Leipzig an. Dort widmete sich der für seine Strauss- und Wagnerinterpretationen bekannte Dirigent auch der modernen Musik. Er dirigierte die Uraufführung von Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ und leitete ebenfalls die Uraufführung von Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, damals ein großer Theaterskandal. Die Legende berichtete, daß es in der Oper regelrecht Tumulte gegeben hat, Brecher aber kreidebleich bis zum Ende dirigierte. Heute loben wir dieses Engagement für neue Werke, im Dritten Reich diffamierte man ihn im 1941 erschienenen „Lexikon der Juden in der Musik“, dass er damit „zersetzende Tendenzen begünstigte“. Seine Liebe galt allerdings auch dem barocken Repertoire, das damals nicht so häufig gespielt wurde. So dirigierte er mehrmals bei den Göttinger Händelfestspielen und leitete die deutsche Erstaufführung von „Tamerlano“.
Nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 begannen die
Erniedrigungen durch die Presse wegen seiner jüdischen Abstammung und seinen
Einsatz für die Werke jüdischer Komponisten. Noch am 18. Februar 1933 dirigierte er die Uraufführung von
Weills „Der Silbersee – ein Wintermärchen“. Das Stück kam in Leipzig auf
immerhin 16 Aufführungen, bevor es am 4. März 1933 verboten wurde. Kurt Weill
floh kurz darauf ins Ausland. Der Librettist Georg Kaiser wurde aus der
Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen. Der 4. März 1933 sollte für
Gustav Brecher auch das letzte Dirigat in Leipzig sein. SA-Schergen störten die
Aufführung so lautstark, dass Brecher das Dirigierpult verließ. Daraufhin wurde
er vom Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler beurlaubt. Goerdeler
trat 1936 als Reaktion auf die Entfernung des Mendelssohn-Denkmals vor dem
Gewandhaus von seinem Amt als Oberbürgermeister zurück. Im Laufe des Jahres 1933 verlor Gustav Brecher seine Stelle am Theater – ebenso wie Bruno Walter als Leiter des Gewandhausorchesters.
Für die nächste Zeit sind die Daten unsicher. In Leningrad (heute
wieder St. Petersburg) vermittelte ihm der ungarische Dirigent Georges
Sebastian ein paar Konzerte mit dem Radio-Sinfonieorchester. Sebastian berichtet
darüber: „Die fürchterlichen Jahre in Deutschland waren eine moralische
Erniedrigung für ihn. Brecher kam ganz niedergedrückt in Leningrad an. Alles,
was geschehen konnte, war geschehen, aber der Erfolg nach außen war nicht da.
Nach seinem zweiten Konzert saßen wir zusammen. Ich hatte durchgesetzt, ihn
nominell zum Leiter des Leningrader Orchesters zu machen. Brecher sagte: ‚Lieber
Freund, da ist nichts mehr zu machen – es ist vorbei – in meinem Alter. Man
muss doch sprechen können.‘ Trotz seiner Sprachbegabung konnte er kein Wort
sprechen. In seinem Innern war etwas, dem er nicht gewachsen war. Er fühlte
sich ständig verfolgt – er hatte die fixe Idee, dass ihn irgendwo die Nazis
doch erreichen würden.“ (zitiert nach: Jürgen Kesting: „Auch ein Freitod kann
Mord sein“, Hamburger Abendblatt 23.11.2006).
Gewohnt hat Gustav Brecher seiner Frau Gertrud, einer
Tochter des AEG-Mitbegründers Felix Deutsch, eine Zeit lang in Prag. So
dirigierte Gustav Brecher im September 1936 am Deutschen Theater Prag
„Elektra“. In diese Zeit fiel auch seine Neuübersetzung von Bizets „Carmen“.
Aber auch aus Prag musste man 1938 fliehen. Wie die Flucht verlief, ist nicht
mehr nachvollziehbar. Die beiden warteten erfolglos auf ein Visum für die USA.
Auf unbekanntem Weg gelangten Gertrud und Gustav Brecher nach Belgien. Doch als
deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg dort 1940 ebenfalls einmarschierten,
sahen sie keinen Ausweg mehr, da sie immer noch kein Visum für USA hatten. Um
der Deportation in ein Konzentrationslager und der drohenden Ermordung zu
entgehen, wählten sie den Freitod. Vor der Küste von Ostende sprangen sie von
einem Boot ins Meer und ertranken.
Von Gustav Brecher gibt es kaum Tondokumente. Die erste
Aufnahme des Leipziger Gewandhausorchesters überhaupt war die Ouvertüre von
Webers „Der Freischütz“ unter der Leitung von Gustav Brecher. Doch wegen
technischer Mängel wurden sie niemals herausgegeben. Ein Sammler aus Amerika
aber hat eine der „verworfenen“ Aufnahmen in seiner Sammlung. Ein Teil des Nachlasses von Gustav Brecher befindet sich in der Zentralbibliothek Zürich. Vor der Hamburger
Oper erinnert ein Stolperstein an ihn.
Matthias Woehl und Klaus J. Loderer
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