Opernkritik: Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ – Oper Leipzig – 2017

Kaspar gebiert die Freikugeln 

Dieter Richter gestaltet Bühnenbild für Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ an der Oper Leipzig 

Ein großes Tableau bietet das von Dieter Richter entworfene Bühnenbild zu Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ in Leipzig. Ein großer, steil nach hinten verkürzter Saal, wird sichtbar, es mag ein Gasthof aus der Zeit um 1900 sein. Links führt eine Wand mit hohen Fenstern und einer Tür in die Tiefe. Groß ist der Raum, aber trotzdem dunkel. Quer über den Raum spannt sich ein Steg, eine Empore mit verspielt eisernem Geländer, getragen von gusseisernen Stützen, und erschlossen von zwei Treppen. Zwar gibt es oben eine Tür, doch führt der Steg nicht wirklich irgendwohin. Man kann rechts zu ihm hinauf und links hinten wieder hinabgehen.

Tuomas Pursio (Kaspar) und Thomas Mohr (Max) in der Wolfschlucht. 
„Der Freischütz“, Oper Leipzig, Premiere 4. März 2017
© Ida Zenna
Trotzdem der Saal auf den ersten Blick so realistisch wirkt, hat der doch einen gewissen surrealen Charakter. Das merkt man in der Wolfschluchtszene, die auch in diesem Raum spielt, wenn die Fenster sich links geisterhaft verschieben, die Rückwand verschwindet und sich ein riesiger Raum auftut und den Blick freigibt auf einen Berg von Trümmern und Leichen. Da ist sie verschwunden, die volkstümliche Gemütlichkeit, die den Anfang der Oper mit bäuerlichen Trachten (Kostüme Jessica Karge) illustriert. Denn zu Beginn wirkt die Inszenierung eher gefällig. Aber man merkt schon an der überspitzt pointierten Darstellung des Kellnerinnenballetts, dass da noch eine andere Ebene folgen könnte.

Doch es folgt das pure Grausen. Statt in der romantischen Wolfschlucht landet Kaspar dann plötzlich in einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs. Hier werden die Freikugeln erstellt. Dafür hat sich Regisseur Christian von Götz eine besonders satanische Art einfallen lassen. Zwar köchelt man im Vordergrund über dem Feuerchen die Zutaten. Doch nimmt in Leipzig nicht das im Hintergrund ablaufende Programm die wichtige Rolle ein, sondern die Aktivitäten der beiden Jäger. Denn Kaspar gebiert die Kugeln gewissermaßen aus sich. Max schießt auf Kaspar, der zuckt getroffen und spuckt dann die Kugel aus. Samiel muß dann gar nicht erst zur siebten Kugel kommen, denn er ist die Zeit über da. Genauer gesagt, sie ist da, denn Samiel ist hier eine Teufelin. Verena Hierholzer ist fast die gesamte Oper über auf der Bühne. Sie sitzt mal zusammengekauert auf einem Fenstersims und beobachtet das Geschehen – unbemerkt von den anderen, greift nur gelegentlich in die Handlung ein. Die Wolfschluchtszene aber ist ihr Handlungsraum. Sie räkelt sich auf dem Leichenberg und spielt mit einem Totenschädel. Doch wer diese mädchenhafte Dämonin ist, bleibt offen. Ist sie eine Vision, die Kaspar hat? Ist sie sein schlechtes Gewissen? Oder eine Verkörperung des Bösen, das letztlich in Leipzig am Ende auch von Max Besitz ergreifen wird.

Eine freundlichere Gegenwelt ist der zweite Raum des Bühnenbilds. Durch Drehung der Bühne wird das Zimmer Agathes sichtbar, ein heller Raum mit Kachelofen und Jugendstiltapete. Hier sorgt sich Agathe um ihren Verlobten Max, hier sorgt sich Ännchen um Agathe. Und hier wird dann auch klar, warum Kaspar Max so schaden will. Schnell zieht der wohl irgendwann abservierte Kaspar Agathe zu einer Umarmung in ein Kabinett, die das so halb auch geschehen lässt. Der forsche Kaspar läßt eben noch nicht ganz locker und zieht grinsend davon.

In der zweiten Szene des zweiten Akts ist dann ein Tisch quer auf die Bühne gestellt, eine Art riesiges Abendmahlszitat. Da sitzen die Herren Jäger dann aufgereiht und trällern ihren Jägerchor, während sich Fürst Ottokar links mit seinem Rotweinglas langweilt. Bis es zum dramatischen Höhepunkt kommt, wenn Max auf Agathe (laut Libretto eine weiße Taube) anlegt, aber Kaspar trifft (weil Agathe laut Libretto durch den neben ihr stehenden Eremiten geschützt war). Samiel hat sich mit der siebten Freikugel eben doch Kaspar geholt.

Musikalisch ein erfreulicher Abend. Das Geewandhausorchester ist unter Matthias Foremny zwar etwas enttäuschend – die Hörner hätten wohl doch einmal üben sollen. Aber die Sänger sind erfreulich. Gal James gestaltet die Partie der Agathe mit feinfühlendem Gesang. Magdalena Hinterdobler (Ännchen) meistert die Koloraturen überzeugend. Tuomas Pursio ist mit intensvier Rollengestaltung als Kaspar die wahre Hauptrolle. Thomas Mohr singt zwar eindrücklichen Tenor, bleibt aber als Darsteller flach. Jonathan Michie gestaltet den Fürsten mit arroganter Herablassung. Rúni Brattaberg singt den Eremiten mit schönem Bass.

Klaus J. Loderer

Besuchte Vorstellung: 29. Oktober 2017
(6. Vorstellung seit der Premiere am 4. März 2017)
Oper Leipzig

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt

Buchbesprechung: Paul Abraham, der tragische König der Operette – eine Biographie von Klaus Waller