Offenbachs Opéra bouffe „Die schöne Helena“ – Komische Oper Berlin – 2017

Barrie-Kosky-Revue auf Rollschuhen

Offenbachs Opéra bouffe „Die schöne Helena“ an der Komischen Oper Berlin

Stillstand gibt es hier nicht. Alles ist ununterbrochen in Bewegung. Das einzige, was in Barrie Koskys Inszenierung von Offenbachs Opéra bouffe „Die schöne Helena“ (La belle Hélène) an der Komischen Oper in Berlin still steht, sind die Kulissen. Diese zeigen uns eine Abfolge von Salons aus dem Zweiten französischen Kaiserreich: leicht ironisch verändert, in grellen Farben verfremdet oder als Seebad Nauplia gar als Kombination aus Säulenhalle und Hukusai-Welle. Einziges Sitzmöbel der Inszenierung ist ein Sofa, das im Laufe der Vorstellung immer länger wird.

Nicole Chevalier als Helena in „Die schöne Helena“ an der Komischen Oper Berlin
Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Und noch ein zweites historisches Element gibt es: Ajax I und II treten zusammen mit Entourage in Husarenuniformen auf – allerdings mit Faltenrock und Rollschuhen (Kostüme Buki Shiff). Das erkennt der Opernkenner natürlich sofort als Anspielung auf das Rollschuhballett aus Meyerbeers Oper „Le Prophète“, das eigentlich Eisläufer sein sollen. Aber vielleicht ist das aber auch nur ein Gag. Und Gags gibt es viele. Die Aufführung ist eigentlich eine ununterbrochene Folge von Gags. Letztlich ist es eine ununterbrochene Offenbach-Revue, die uns Barrie Kosky hier vorsetzt, mit einem phantasievoll kostümierten Chor, der ununterbrochen tänzelt (so eine Art Discogetänzel, wie es eben gerade beliebt ist in der Oper). Um das Theater noch besser auszunutzen, ist der Orchestergraben umbaut. Damit rückt man noch näher an die Bühne heran. Das Ensemble ist ergänzt durch sechs Tänzer, die wild tuntig durch die Inszenierung wuseln, sei es als Sexy-Alpenländer Buam in Krachledernen oder in Husarenuniform mit roter Tolle, Schnurrbart und Röckchen als Fürstengarde auf Rollschuhen. Da grinst man eben. Mit ihnen darf dann auch mal Großaugur Kalchas seine Runden drehen. Stefan Sevenich gibt als kugelrund aufgeblasene Priesterkarrikatur eine besondere Karrikatur auf diesen Stand. In Berlin hat dieser Kalchas ein besonderes Faible für Wagner (man erinnere sich an die besondere gegenseitige Abneigung zwischen Wagner und Offenbach). Sein Donner ist dann auch das Gewittermotiv aus Wagners Rheingold, das eine Schallplatte auf seinem Gramophon ziemlich schräg daherleiert. Überhaupt bekommt Kalchas so einige Einsprengel aus Wagner-Opern. Den Pilgerchor aus dem Tannhäuser darf er sich auch ansatzweise anhören. Es gibt noch so ein paar Fremdeinsprengsel in der Aufführung. Ein jüdisches Volkslied sorgt immer wieder für Partystimmung auf der Bühne (im Programmheft erzählt Barrie Kosky, dass Offenbachs Musik durchtränkt sei von jüdischer Musiktradition). Weil man das wohl doch nicht erkennt, eben ein jüdisches Volkslied. Dann darf die schöne Helena (Nicole Chevalier) noch „Non, je ne regrette rien“ singen. Das Publikum biegt sich vor Lachen, weil Karlheinz Oettel, der etwas früher als Brieftäubchen seinen Auftritt hatte, Albernheit vollführt. Als dann Menelaos (Peter Renz) später Jacques Brels „Ne me quitte pas“ jammert, soll das vielleicht Mitleid bewirken, das Publikum kichert aber trotzdem, weil es eben am Dauerkichern ist. Und dann gibt es auch noch Richard Strauss. Der Agamenmon-Ruf aus „Elektra“ darf nicht fehlen, pathetisch angestimmt und dann gleich konterkariert.

Ansonsten muß sich das als so eine Art La-cage-aux-folles-Revue vorstellen, mit Travestie und vielen Anzüglichkeiten. Nicole Chevalier züngelt als notgeile unbefriedigte Ehefrau ununterbrochen dem Schäfer Paris zu. Und der als moderner Hirte, also als Cowboy auftretende Tansel Akzeybek züngelt eifrig zurück, spielt am Ende gar einen rosa kostümierten schwulen Pfarrer, wenn er den Großaugur der Venus vortäuscht und Helena entführt. Das Tuntengeschwader umwuselt ihn sowieso. Diese Tänzertruppe bietet immer wieder überraschende Auftritte und hat jede Bewegung perpekt bis zum Minenspiel einstudiert, aber das Gejauchzte und Geuffe (ist das eine Parodie auf Phänomene aus dem Sportwesen?) wird auf Dauer doch langweilig.

Das Publikum hat sich amüsiert. Die Musik von Offenbach ging leider etwas unter, vom Text war in den Gesangsnummern nichts zu verstehen – ich glaube es war Deutsch. Und was das Spektakel angeht, fehlt mir etwas der Zugang zum Humor dieser Inszenierung.

Klaus J. Loderer

Besuchte Vorstellung: 25. November 2017
(31. Vorstellung seit der Premiere 11. Oktober 2014
Komische Oper Berlin

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