König Ottokars Glück und Ende – Volkstheater Wien – 2001

Von der Aktualität von Machtspielen 

Franz Grillparzers Drama »König Ottokars Glück und Ende« am Wiener Volkstheater

Die Erinnerung an Rudolf von Habsburg war im Österreich des frühen 19. Jahrhunderts aktueller denn je. Versuchte das junge Kaiserreich, das 1806 nach der Auflösung des »Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation« gegründet worden, doch eine eigene geschichtliche Identität zu finden. Für das Haus Habsburg spielte der große Ahnherr Rudolf, der erste Kaiser des Geschlechts, eine elementare Rolle. So ist es kein Wunder, daß sich mehrere Schriftsteller mit dem Thema befaßten. Johann Ladislaus Pyrker verfaßte sein längst vergessenes Heldengedicht »Rudolf von Habsburg«, das 1823 in Teilen im Cottaschen »Morgenblatt für gebildete Stände« und 1825 vollständig erschien. Franz Grillparzer ging in seinem Theaterstück »König Ottokars Glück und Ende« das gleiche Thema von der anderen Seite an, indem er dem »bösen Usurpator« Ottokar den »guten« Rudolf gegenüberstellt, der das deutsche Reich befriedet, gegenüberstellt. Im Oktober 1823 reichte Grillparzer, der, bevor er sich erdreistete, auch einen »Rudolf« zu schreiben, von dem wohlhabenden Pyrker großzügig gefördert worden war, sein Tragödie bei der österreichischen Zensurbehörde ein und verursachte damit ziemlichen Wirbel. Ende 1823 untersagte die Behörde Drucklegung und Aufführung des Theaterstücks, da man befürchtete, die Ehescheidung des böhmischen Königs Ottokar von der kinderlosen Margarethe von Österreich, der letzten Babenbergerin, und die Vermählung mit der ungarischen Königin Kunigunde von Masovien könnten Erinnerungen an Napoleon, seine erste Ehefrau Josephine und besonders an seine zweite Frau Marie Louise, einer Tochter Kaiser Franz' wecken. Auch die scharfe Kontrastierung von Österreichern und Böhmen konnte schlechte Auswirkungen auf die nationalen Empfindlichkeiten der Tschechen haben. Im Juni 1824 gestatte die Zensurbehörde schließlich Heldengedicht und Drama gleichzeitig die Drucklegung, konnte man doch Grillparzer ein Thema nicht verwehren, das man Pyrker gestattete.

Die Befürchtungen der Zensur, was Grillparzers Drama anging, erwiesen sich als berichtigt. Die Tschechen waren sehr verärgert, während das Drama in Österreich bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zum Nationaldrama avancierte. Das war selbst bei der jüngsten Aufführung des Stücks im Wiener Volkstheater zu bemerken, als eine Selbstcharakterisierung eines Österreichers spontanen Publikumsbeifall hervorrief. Für das Uraufführungspublikum am 19. Februar 1825 waren die historischen Parallelen natürlich deutlich zu erkennen. Das Historiendrama besaß seinen aktuellen Bezug. Da konnte man Ottokar mit Napoleon und Rudolf mit Franz gleichsetzen, was Kaiser Franz sicher wohlwollend erkannte. Besonders die Schlußapotheose auf den guten und gerechten Rudolf wird es dem Kaiser wohl angetan haben. Daß Ottokars und Napoleons Frauen sich noch vor dem Tod des Ehemanns mit einem nicht gerade standesgemäßen Mann trösteten, kam auch gerade passend, was der Kaiser weniger wohlwollend erkannte. Für das heutige Publikum sind solche Parallelen längst nicht mehr verständlich, ist die Aktualität längst selbst Historie geworden. Eine Aktualisierung über Parallelen mit heutigen konkreten Politikern zu erreichen, müßte in diesem Fall wohl mißlingen. Die  Neuinszenierung Georg Schmiedleitners am Wiener Volkstheater, die am 10. Dezember 2000 Premiere hatte, probierte diesen Weg erst gar nicht. Sie reduzierte die historisierende Handlung auf Herrschafts- und Machtbegriffe. Dem leidenschaftlich Länder zusammenraffenden Ottokar (Karl Markovics) stellte Regisseur Schmiedleitner den kühlen Manager Rudolf (Ingo Hülsmann) gegenüber, der ohne mit der Wimper zu zucken, seine politischen Vorstellungen durchsetzt. Allerdings erkennt man in dessen aalglatter Art in geradezu erschreckender Weise nur allzu deutlich die unverbindlichen Jungpolitiker der Jahrtausendwende, die frisch dem Sonnenstudio entsprungen, in Maßanzügen Weltpolitik spielen. Da kann man im kargen Bühnenbild (Bühne und Licht: Florian Parbs) gerade ansatzweise in sich hebenden und senkenden Podesten wechselweise Bartresen, Konferenztisch oder Laufsteg erkennen, da changieren UNO-Vollversammlung und Modeschau, beim Glas Sekt werden Länder verteilt oder vereinnahmt, Fürsten entmachtet oder belehnt, belohnt oder ermordet. Auf welcher Seite steht wer, man weiß es nicht. Es dreht das Machtkarussel unerbittlich seine Runden.

Trotz einer Aufführungsdauer von drei Stunden wurde es keine Minute langweilig. Zu rasant war das Tempo der Aufführung. Gewissermaßen ohne Punkt und Komma, ratterten die Dialoge in den Zuschauerraum, war der Text gekürzt, waren Szenen ohne Szenenwechsel aneinander gehängt, verschwammen Zeitsprünge und Ortswechsel. Nur gelegentlich unterbrach dumpf dröhnende Musik das Spiel, verdüsterte die Stimmung des an sich schon dunklen Bühnenbilds immer mehr, verschoben sich die kahlen Wände  der Bühne. Wenn König Ottokar sich noch auf der Höhe seiner Macht fühlt, noch mit Kronen und Modellhäusern spielt und vom Umbau seiner schönen Hauptstadt Prag träumt (und der Ansiedlung deutscher Handwerker) ahnt der Zuschauer schon drohendes Verhängnis, pocht schon das Schicksal an die Pforte. Das Klammern an die Macht, die brutalen Mittel, die Ottokar zu ihrer Erhaltung aufwendet, werden ihm schließlich zum Verhängnis. Erfolg macht schön, heißt es. Doch war der erfolgreiche Ottokar abstoßend, gefühlskalt, brutal. Erst für den hintergangenen, gefallenen, verratenen und verlassenen König des Karl Markovics bringt man Mitleid auf.

Klaus J. Loderer


2001
Volkstheater Wien

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