Premierenkritik: Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen – Volksoper Wien – 2016

Der Teufel möchte Offenbachs Oper endgültig vernichten  

– Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ spielt an der Volksoper Wien in einem abgebrannten Theater – 

von Klaus J. Loderer

Regisseur Renaud Doucet hat sich eine schöne Wiener Rehabilitierung von Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ ausgedacht. Lag es doch nicht zuletzt am Brand des Wiener Ringtheaters bei einer Vorstellung von Hoffmanns Erzählungen, daß das Werk für viele Jahre als Unglücksoper galt und nach seiner Entstehung praktisch nicht aufgeführt wurde. Nun erhalten wir die Erklärung für die damaligen Vorgänge. Der Teufel steigt nämlich höchstpersönlich aus dem Orchestergraben auf, um die Premierenvorstellung von Hoffmanns Erzählungen an der Wiener Volksoper nach wenigen Takten zu unterbinden.

Mirko Roschkowki als Hoffmann an der Volksoper Wien
Und wir erfahren, daß der Teufel sich so arg über Orpheus in der Unterwelt geärgert habe, daß er nicht nur beschloss, Offenbach zu Tode zu bringen sondern auch noch sein letztes Werk, nämlich Hoffmanns Erzählungen zu vernichten. Darum der Brand des Ringtheaters und darum der Brand der Opera Comique in Paris, bei der die Partitur vernichtet wurde. Nun lamentiert der Teufel, daß aber andauernd neue Partieurteile auftauchen würden, die das Werk so nach und nach vervollständigen. So weit die natürlich fiktive Regieidee. Natürlich geht es dann doch weiter. Denn die Musenstatuen im abgebrannten Theater, das Bühnenbildner André Barbe für dies Produktion (übrigens eine Übernahme aus Bonn) zeigt uns die verkohlten Rest eines Theaters, werden lebendig und greifen nun ein. Auch eine Statue Offenbachs wird lebendig und versucht die Aufführung seiner Oper zu retten. Das ist eine nette Idee. Teufel und Offenbach ziehen sich natürlich durch den ganzen Abend. Aus dem Teufel werden all die teuflischen Bösewichter, die im Text ja oft genug so genannt werden. Josef Wagner gestaltet diesen Herrn entsprechend diabolisch. Und aus Offenbach werden die Dienergestalten. Natürlich wurde aus Lutters Weinstube im ersten Akt dann eine Teufelsbar, in der Wirt und Bedienungen entsprechend gehört sind. Doch blinzelt uns aus dem Auge des riesigen Totenschädels das Porträt Offenbachs entgegen.

Olympia (Beate Ritter) und Hoffmann (Mirko Roschkowki) an der Volksoper Wien
Fotos: Volksoper Wien
Doch die Welten dieser Oper werden noch skurriler. Eine wunderliche Maschinenwelt tut sich im zweiten Akt auf. Allerlei eigentümliche Maschinenwesen tummeln sich da auf dem Fest des Herrn Spalanzani. Copelius erinnert hier an Frankenstein. Ein köstlicher Einfall ist dessen Brillenträger, ein kopfloses Wesen, das eine Schachtel voller bebrillter Köpfe herumträgt. Olympia aber ist mit einem an einen Dampfkessel erinnernden Reifrock ausgestaltet, trotzdem gibt sie sich als Vamp sehr er Erotik hin und erschreckt die Gäste Hoffmann und Niklaus ziemlich. Das Publikum bekichert die Gags und beklatscht die doch ziemlich hohen und effektvollen Koloraturen, die Beate Ritter zum Ende der Arie entfaltet.

Mirko Roschkowski (Hoffmann)
und Anja-Nina Bahrmann (Antonia)
Der nächste Akt entführt uns in einen vom Schneesturm heimgesuchten Salon. Dr. Mirakel sucht als Untoter Nosferatu Antonia heim. Die Mutter entsteigt geisterhaft dem halb eingeschneiten Flügel – ein wirklich überraschender Effekt.

Über zu wenig Einfälle des Produktionsteams kann man sich auch im vierten Akt nicht beklagen. Gondolieri fahren die Sitzreihen des Theaters wie Gondeln über die Bühne. Es ist ein ziemlich üppiges Bordell, in das Hoffmann hier geraten ist. Er ist in der Schlussszene schließlich so frustriert, daß er sich die Pulsadern aufschneidet (oder aufschneiden soll – diese Idee verpuffte bei der Premiere, weil die Flasche dummerweise hinunterfiel) und die Muse ihn dann wieder heilt – ein schöne Idee. Doch bei der Schlussapotheose tritt Hoffmann hier auch ganz bescheiden in den Hintergrund, denn diese gilt in dieser Inszenierung natürlich Offenbach, dem die Musen huldigen.

Insgesamt eine schöne Produktion mit vielen tollen Einfällen, die ein zauberhaftes Fin-de-Siècle entfalten. Es wurde übrigens in deutscher Sprache gesungen, nur die eingesetzten Arien waren in französischer Sprache.

Und auch musikalisch war es ein erfreulicher Abend. Der junge Tenor Mirko Roschkowski gestaltete die Titelpartie mit feinem Gesang. Er gab hier eher den schüchternen Studenten, der von unglücklicher Liebe zu unglücklicher Liebe getrieben wird. Und auch die Frauenfiguren waren gut besetzt. Der exakte Chor war ebenso eine Freude wie das von Gerrit Prießnitz geleitete Orchester der Volksoper.


Besuchte Vorstellung: Premiere 15. Oktober 2016
Volksoper Wien

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