Herzog Blaubarts Burg – Staatsoper Budapest – 2006
Geschlechterbeziehungen in fantastischen Raumgebilden
Neuer Bartók-Abend an der Staatsoper Budapest
Die ungarische Staatsoper Budapest ist das einzige Opernhaus
der Welt, das die Bühnenwerke Béla Bartóks dauerhaft im Repertoire hat. Wird
die Oper »Herzog Blaubarts Burg« (A kékszakállu herceg vára) noch gelegentlich
gegeben, sind die beiden Ballette »Der holzgeschnitze Prinz« (A fábol faragott
királyfi) und »Der wunderbare Mandarin« (A csodálatos mandarin) absolute
Theaterraritäten. Des 125. Geburtstags des ungarischen Komponisten gedachte die
Staatsoper mit einer Neuinszenierung der beiden Ballette und seiner einzigen
Oper. Auch wenn die Stücke in keiner direkten Verbindung zueinander stehen, hat
sich in Budapest eingebürgert, sie an einem Abend zu spielen, da alle drei
Stücke nicht abendfüllend sind. Immerhin gibt es durchaus musikalische
Parallelen. Inhaltlich handelt es sich um drei Variationen komplizierter
Beziehungen zwischen Mann und Frau. In Deutschland ist eine solche Kombination
von Ballett und Oper unüblich. Hier wird »Herzog Blaubarts Burg« zumeist mit
anderen Kurzopern aus der Zeit um 1900 kombiniert, etwa in Stuttgart 1996 mit
Debussys Fragment »Der Untergang des Hauses Usher«. Bemerkenswert und
ungewöhnlich war die Frankfurter Inszenierung 1994, bei der Blaubart am
gleichen Abend zwei Mal hintereinander gespielt wurde. In Budapest war zuletzt
eine Inszenierung mit Bühnenbildern des bekannten Architekten Imre Makovecz zu
sehen.
Der neue Budapester Bartók-Abend geriet schon im Vorfeld der Inszenierung in die
Schlagzeilen, als der Bartók-Nachlassverwalter die Aufführung als zu modern
anprangerte. Allerdings fängt der Abend mit »Der holzgeschnitzte Prinz« eher
bieder an, ein Märchen über einen Prinzen, der bei einer Prinzessin erst nach Umwegen
Anklang findet. In der Choreographie von Sándor Román eher konventionell,
herausragend dagegen in den tänzerischen Leistungen der Solisten Zoltán Oláh
(Prinz), Adrienn Pap (Prinzessin) und Krisztina Végh (Fee). Ihre Stärken hat
die Choreographie sicherlich in der Führung des Corps de Ballet. Besonders die
Szene, in der die Fee die Natur lebendig werden lässt, ist spannungsgeladen.
Einen starken Kontrast dazu bildet »Der wunderbare Mandarin«.
Konsequent wird die Geschichte um einen Mord aus China in ein amerikanisches
Gangstermilieu verlegt (Inszenierung: Miklós Szinetár). Die märchenhafte
Stimmung des ersten Bühnenbildes ist der harten Realität gewichen. Ein
Schlachthof ist angedeutet (Bühnenbilder: Zsolt Khell). Die Choreographie von
Jenö Löcsei orientiert sich am modernen Tanztheater und ist wohl von »Westside
Story« inspiriert. Spannend wird die Geschichte um eine junge Frau (Dace
Radina), die von drei Männern zur Prostitution gezwungen wird, aufgebaut.
Sensibel wird das Mädchen in seinem gequälten Seelenzustand gezeigt. Als ein
reicher Chinese (Levente Bajári) als Freier kommt, wird dieser von den Ganoven
ausgeraubt und ermordet. Doch scheitern die Tötungsversuche, alle Torturen
überlebt der »Mandarin«. Erst als sich ihm das Mädchen hingibt, stirbt er.
Es ist wohl übertrieben, in jeder Liege einen Hinweis auf
Siegmund Freud zu sehen, doch unterstellen wir diesen unbewussten Gedanken im
Jahr von Freuds 125. Geburtstag. Jedenfalls stellt die Liege neben einem
Schreibtisch eines der markanten Möbel in Herzog Blaubarts Burg dar. Wie die
Kostüme von Rita Velich verweisen sie auf die Entstehungszeit der Oper kurz vor
dem Ersten Weltkrieg. Für Blaubart wird die Hochzeitsnacht mit Judit zur Reise
in die eigene Vergangenheit. Öffnet sie in der Oper sieben Türen, kann man dies
auch Symbol für die Psychoanalyse auffassen, womit wir wieder bei Freud wären.
Mit dem Öffnen jeder weiteren Tür wird Blaubarts Burg heller, erfahren wir aus
dem Text. Blaubart spürt die Tiefen seines Geistes aus, findet aber auch viele
negative Erinnerungen. Denn die Schätze in Blaubarts Burg sind blutig, wie
Judit erkennt.
Der von Zsolt Khell entworfene Bühnenraum mag auf den ersten
Blick die Halle einer großbürgerlichen Villa assoziieren. Ein genaueres
Hinsehen lässt die räumliche Unmöglichkeit erkennen: Die augentäuschenden
Treppenräume eines M.C. Escher standen Pate. Den Höhepunkt erlebt der Zuschauer
beim Öffnen der fünften Tür: ein riesiger Raum öffnet sich: eher verworrenes
Innenleben des Geistes als architektonisch fassbarer Raum. Auch musikalisch
stellt diese Szene den Höhepunkt der Oper dar. Péter Oberfrank lässt das
Orchester der Budapester Staatsoper an dieser Stelle zu einem gewaltigen
Orgelklang anschwellen. Gerade in »Herzog Blaubarts Burg« lotet er die
Feinheiten und Raffinessen der Partitur aus, kostet die Melodieandeutungen und
Crescendi aus. Überraschend weich mutet der Orchesterklang an. Péter Oberfrank
erkannte den Genius loci. Die Vorstellung am 5. Mai war übrigens die 500.
Vorstellung dieser Oper in der Budapester Staatsoper seit der Uraufführung am
24. Mai 1918 im damals noch königlichen Opernhaus.
Herausragend war auch die Gesangsleistung. Péter Fried gab mit
starkem aber feinfühligem Baßbariton einen Herzog Blaubart, der zerknirscht
sich den Forderungen seiner jungen Frau nicht erwehren kann. Szilvia Rálik
meisterte die schwierige Partie der Judit mit sicherer Höhe und überzeugte in
ihrer Stimmungslage aus Forschheit und Angst.
Es hätte eigentlich ein großer Abend werden können. Leider
verzettelt sich »Herzog Blaubart« in biederen Details und auch der Effekt des
Bühnenbilds verliert durch technisch nicht überzeugend gearbeitete Details.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 5. Mai 2006
(Premiere 31. März 2006)
Staatsoper Budapest
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