Händels Oratorium „Saul“ szenisch – Staatstheater Mainz – 2017
Politisch korrekte Penetration
Händels „Saul“ szenisch im Staatstheater Mainz
Viele von Händels Oratorien taugen zur szenischen
Darstellung, und da ist „Saul“ keine Ausnahme. Die Machtspiele von Saul, das
ungleiche Schwestern-Paar, als auch die stark homoerotische Anziehung zwischen
David und Jonathan, das ist wie gemacht für die Bühne. Die amerikanische
Regisseuse Lydia Steier kann aber damit nicht all zu viel anfangen. Erst sieht
es einfach nur „schön“ aus, ein barockes Bühnenbild tut sich auf, aber man darf gute Regie nicht mit einem
ansehnlichen Kostüm oder Bühnenbild verwechseln.
Der Chor kommt rein, singt,
setzt sich, steht wieder auf, singt, dazwischen die Protagonisten, stehend, mal
herum laufend, mal zu Boden gehend, zum gähnen langweilig, wenn es nicht so
schön aussähe. Doch damit ist es bald vorbei. Chor und Protagonisten entkleiden
sich Stück für Stück, und auch das Bühnenbild wird (in der leisesten und
schönsten Arie des Oratoriums) lautstark abgebaut. Von nun an wird gerne
gestört. Der Chor bringt z.B. blaue Plastiktüten mit hinein, setzt sich auf
diese, steht wieder auf, um mit dem Plastik zu rascheln (Umwelt-Kritik?). Zum
Schluss sitzt der Chor in Unterwäsche auf Plastikstühlchen und trinkt aus Dosen
(Gesellschaftskritik?). Bei den ungleichen Schwestern kann man nicht erkennen,
wer eigentlich die Gute, und wer die Böse ist, und von der homoerotische
Beziehung zwischen David und Jonathan kann man nur durch die
Übertitelungsanlage erfahren. Peinlichst wird es beim Sex. David nimmt endlich
die ihn so liebende Michal, doch danach wirkt diese missbraucht und
traumatisiert. Komisch, was hat er denn so schreckliches mit ihr gemacht, wo er
doch singt, daß ihm „die Freundschaft zu Jonathan wichtiger war als alle
Frauen“? Erklärt wird uns das nicht.
Berührend allerdings ist das Leid Jonathans dargestellt,
während „sein“ David im Container eine Frau „beschläft“. Doch die
darauffolgende Szene mit dem Chor ist mehr als peinlich. Das Volk vergreift
sich brutal am schwulen Königssohn. Das hat Frau Steier sicher lieb gemeint,
der verlachte, zusammengeschlagene Jonathan, aber er wird auch von ein paar
Männern zum Oral und Anal-Sex genötigt, und zwar vor dem restlichen Volk. Liebe
Frau Steier: das würde so nie geschehen, das würden Männer vielleicht ja sogar
tun, aber nicht vor dem Volk als Zuschauer, und vor allem: sie würden dabei
ihre Unterhosen herunterziehen. Tja, wenn man so etwas macht, dann muss man
auch den Mut haben es zu machen, aber dazu ist „Frau“ dann wieder zu verklemmt,
oder zu „politisch korrekt“. Einiges könnte ich noch dazu sagen, andere „grobe“
Fehler auflisten, aber wozu.
Gesungen wurde ja auch noch. Bester Sänger des Abends ist Steven
Ebel als Jonathan. Er singt anständig, und stellt die um seinen geliebten David
besorgte Figur glaubhaft und anrührend dar. Ihm stimmlich ebenbürtig, sich über
den Abend steigernd, Dorin Rahardja als Michal. Unterirdisch aber jault sich Alin
Deleanu als David durch seine Partie. In der Mittellage wirkt seine Partie eher
gesprochen, und die hohen Töne werden mit viel Kraft herausgebellt, unschön,
ohne auch nur den Hauch eines Legatos. Heutzutage gibt es doch wirklich eine
Schwemme an Counter-Tenören, wie kann so etwas an einem Staatstheater
passieren? Ebenfalls falsch besetzt Derrick Ballard als Saul und Alexander
Spemann als Hexe von Endor. Marie-Christine Haase singt mit hübscher Stimme und
schönen Spitzentönen, nervt aber durch einen starken „Karnickelfick“. Der
Tiefstpunkt aber das Kind (überhaupt schon Opern mit Kindern): vom Band
eingespielt. Live hätte ich ja noch Milde walten lassen, aber wenn man es schon
einspielt, dann doch bitte mit einem einigermaßen anständig singenden
Knabensopran, oder gleich einem Sopran. Alle Protagonisten haben aber ein
gemeinsames Problem: kein einziger hat einen anständigen „Lauf“ gesungen. Auch
wieder peinlich, wir befanden uns an einem Staatstheater. Anständig aber das
Philharmonische Staatsorchester Mainz unter Andreas Spering. Großer Applaus
beendet einen ermüdenden Abend.
Matthias Woehl
Besuchte Vorstellung: 8. Oktober 2017
Staatstheater Mainz
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