Götterdämmerung – Gent – 2008

Der Untergang des Computerzeitalters? 

Die Flämische Oper in Gent vollendet »Ring« mit der »Götterdämmerung«

Auf mehrere Spielzeiten verteilt, stellte die Flämische Oper (Vlaamse Opera), die die beiden belgischen Städte Antwerpen und Gent bespielt, Wagners »Der Ring des Nibelungen« auf die Beine. Vor der Sommerpause wurde er mit der »Götterdämmerung« vollendet. Für den scheidenden Generalmusikdirektor Ivan Törzs war es die Abschiedsproduktion. Wieder einmal stellte er sein Talent als Wagner-Dirigent unter Beweis. Wie er die Orchestermasse verdichtete und differenziert die Motive herausarbeitete, das überzeugte. Ergreifende Momente kamen besonders im Finale auf, das mit bewegender Sensibilität erklang.

Auf der Bühne tat sich wieder viel – vielleicht manchmal zu viel, liefen doch auf einer Wand aus Flachbildschirmen dauerhaft Computerspiele. Geradezu eine virtuelle Parallelwelt bauten die Szenerien aus dem Internetrollenspiel Sims auf, in der die Brünhilde-Siegfried-Gudrune-Gunther-Viererbeziehung nochmals ablief. Die Computerwelt dominierte also wie schon in den vorangegangenen Teilen auch die »Götterdämmerung«. War Siegfried bisher nur ein kleiner Hacker, wurde er nun in die Computergeschäftswelt aufgenommen. Gab es bisher zahlreiche von Statisten ausgeführte Bühnenbildwechsel, blieb es in nun fast einheitlich. Sogar Brünhildes Bett wurde unvermittelt von den Gibichungen übernommen. War man von den Inszenierungen der anderen Teile schon sehr verwöhnt, schließlich wurde da eine völlig neue Sichtweise auf den »Ring« aufgebaut, fiel die »Götterdämmerung« in der Personenregie doch etwas ab, da Handlung eher auf den Bildschirmen zu sehen war als auf der Bühne. Trotzdem gelangen Regisseur Ivo van Hove gerade am Ende wieder sehr treffende Szenen. Eine ergreifend schöne Idee war etwa Siegfrieds Sterbeszene. Der gemeuchelte Siegfried wird von Sanitäten umsorgt, steht dann auf und singt die letzten Worte, die Erinnerung an Brünhilde, in eine Videokamera, während die Sanitäter sich weiter um den scheinbar vor ihnen Liegenden kümmern. Dies hätte man im Film mit Überblendung anders gemacht. Doch verstand der Zuschauer die Parallelität trotzdem.  Brünhilde ergänzt dann übrigens Siegfrieds Sterbeszene mit ihrem eigenen Abschied von der Welt. Dass man die beiden Filmleute als Wotans Raben interpretieren darf, die Brünhilde nun mit dieser Botschaft an ihren Vater Wotan schickt, zeigt, wie genau der Regisseur den Text gelesen hat. Die Technik- und Computerwelt geht hier im Supergau unter. Flüchtlinge kommen heran und beleben das Grab Siegfrieds. Dass hier aus der technisierten Welt neue Religionen entstehen, ist gewissermaßen die Umkehrung Wagners: die Götterwelt macht nicht den Menschen Platz sondern die Profangesellschaft weicht der neuen Religiosität.

Dass es die Flämische Oper schaffte, nicht nur eine ungewöhnliche Inszenierung auf die Bühne zu bringen, sondern diese auch musikalisch adäquat besetzen konnte, ist überaus erfreulich. Dazu zählen neben dem überaus gut einstudierten Orchester unter Ivan Törzs auch die durchweg guten Solisten. Allen voran natürlich die erfahrene Brünhilde Jayne Casselman. Dazu zählt auch der junge kanadische Tenor Lance Ryan, der die Partie mit großem Durchhaltevermögen meisterte. Zu nennen ist noch Attila Jun, der dem Hagen einen mächtigen Bass verlieh. Die erfrischende Regie und die herausragende musikalische Seite ergänzten sich zu einem gelungenen Bild.

Klaus J. Loderer


Besuchte Vorstellung: 6. Juli 2008
Oper Gent

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