Finale im kühl-weißen Treppenhaus: Richard Strauss lyrische Komödie Arabella – Oper Dortmund – 2017

Eleonore Marguerre brilliert als Arabella in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper an der Oper Dortmund

Ein Glücksfall ist die Besetzung der beiden Hauptrollen durch Eleonore Marguerre als Arabella (alternierend mit Emily Newton) und Sangmin Lee als Mandryka an der Oper Dortmund. Sangmin Lee singt den Mandryka mit festem Bariton und unterscheidet sehr genau zwischen den ruhigen Phrasen des ersten Akts und dem brüsken Tonfall im dritten Akt. Eleonore Marguerre ist eine Arabella mit feinem Sopran. Anja-Nina Bahrmann wirkt als Zdenka zu Anfang etwas schrill und aufgeregt, doch gelingt ihr im dritten Akt ein ergreifender Moment. Leider lässt umgekehr Thomas Paul als Matteo nach gutem Anfang im dritten Akt merklich nach. Dagegen der sichere Bass von Morgan Moody als Graf Waldner. Und Jeannette Wernecke stemmt die Koloraturen der Fiakermilli. Motonori Kobayashi sorgt mit den Dortmunder Philharmonikern für Wohlklang aus dem Orchestergraben.

Foto: Klaus J. Loderer
Ein blinkender Glückspielautomat zieht sich ebenso durch die Inszenierung von Richard Strauss’ „lyrischer Komödie“ wie ein kleiner Feuerlöscher. Genauer gesagt sind es die Seitenwände des von Mathis Neidhardt entworfenen Bühnenbilds, die bleiben, während an der Rückwand einige Veränderungen vorgenommen werden, um drei unterschiedliche Räume zu bilden. Im ersten Akt (der in einem Wiener Hotelzimmer spielen soll) ist es eine weiße Wand, deren mittlerer Teil allerdings manchmal den Raum dahinter durchscheinen lässt, in dem man eine Zockerrunde sieht. Die Kugellampen schaffen den Wienbezug. Im zweiten Akt ahnt man mit der Öffnung der Raumtiefe den Ausblick aus einer Empore in einen Ballsaal. Im dritten Akt, der in der Hotelhalle spielt, wird wieder eine Rückwand eingefügt, in deren Mitte eine breite Treppe nach oben führt und sich nach einem Podest wohl in zwei Treppenläufe teilt, zwei metallene Geländer zeigen uns, dass es eine große Wiener Feststiege sein soll, allerdings ein verblichener Glanz, wenn man die Leuchtröhren anschaut. Überhaupt sind es ziemlich kühle Räume, die wir hier sehen – genauso kühl wie die kühl-geldgierigen Gestalten, die sich darin tummeln.

Im 19. Jahrhundert, wie Hoffmannsthal das vorgegeben hat, wollte man in Dortmund Arabella nicht spielen lassen. Verlegt man die Oper allerdings in das 20. Jahrhundert, wirken manche Textstellen etwas eigentümlich. Dieses Risiko ging das Regieteam um Jens-Daniel Herzog ein und machte daraus eine heutige Geschichte. Man ließ sich wohl von der Textstelle „als etwas zweifelhafte Existenzen“, wie Arabella im zweiten Akt die Familie charakterisiert, inspirieren. Besonders zweifelhaft sind in der Dortmunder Inszenierung die drei Grafen, die hier deckungsgleich sind mit den Spielpartnern des Grafen Waldner und diesen schlichtweg ausnehmen. Waldner wirkt im Anzug noch einigermaßen seriös. Allerdings scheint er beim Kartenspiel zu betrügen, wie die Regie andeutet. Das Familienvermögen hat er mit seiner Spielsucht durchgebracht. Seine Gier nach Geld wird bei der Ankunftsszene des Mandryka nur allzu deutlich. Als dem ein paar Geldscheine zu Boden fallen, versucht Waldner gleich ein paar für sich abzuzweigen. Nur zu freudig nimmt er dann einen Büschel Scheine an. Dass Mandryka aus Slawonien kommt, nahm man zum Anlaß, aus ihm eine Art Zuhälter zu machen. Kostümbildnerin Sibylle Gädeke steckt ihn in schwarzes T-Shirt, Jeans, Stiefel und Fellmantel, behängt ihn mit Goldketten. Dieser Macho aus postkommunistischen Gefilden bedrängt oder beeindruckt Araballa mit heftigem Männlichkeitsgetue und macht schnell deutlich, wie er Unstimmigkeiten löst, zum Beispiel mit einem kräftigen Stoß mit dem Kopf, was Elemer eine blutige Nase beschert, oder sogar andeutet, dass er etwas nachgeholfen hat, um an die Wälder und Untertanen des alten Mandryka zu kommen oder woraus die Quelle seines Wohlstands hier auch immer kommen mag. Diese Rolle kann Sangmin Lee überzeugend ausfüllen. Auf dem Ball fühlt er sich im Smoking sichtlich unwohl und sprengt diesen auch nach kurzer Zeit. Auch Eleonore Marguerre kann als komplettes Gegenstück, als zarte Arabella, überzeugen, die im kurzen Ledermantel und im blauen Abendkleid fast an Romy Schneider erinnert. Mandrykas Diener sind stämmige Bodyguards. Matteo trägt Security-Uniform.

Gräfin Waldner wurde zum Alt-Hippie mit Esotherikneigung, die so etwas den Bezug zur Gegenwart verloren hat und deren einziges Ansinnen es ist, ihre Tochter Arabella gut zu verheiraten. Auf die sind drei Grafen scharf und der Oberleutnant Matteo. Die drei Grafen machen Arabella direkt den Hof. In der Inszenierung darf sie sich von Elemer dessen Sportwagen ausleihen (nach dem Text will er sie im Schlitten ausfahren). Angeberisch hängt am Wagenschlüssel ein Fellschwanz, wie das vor einzigen Jahren in gewissen Gruppen so beliebt war. Matteo traut sich nicht und hängt sich an Arabellas Bruder – der aber in Wirklichkeit ein Mädchen ist, das nun seinerseits in Matteo verliebt ist. Arabella aber findet die vier laschen Kerle einfach langweilig. Sie ist hier ziemlich nüchtern gezeichnet und doch hat sie diesen Anflug von Romantik, wenn sie darüber nachsinnt, den Richtigen zu finden. Sie rauscht in Dortmund mit Einkaufstüten von der Shopping Tour herein. Wie man bald sieht, hat sie aber nur Plunder eingekauft, ein Straßdiadem, ein Spielzeugauto, eine Fellmütze. Diese erinnert sie an einen auf der Straße stehenden Mann, der mächtig Eindruck gemacht hat auf sie. Wir sehen ihn hinter der Rückwand kurz aufschimmern.

Ein Thema, das sich durch die ganze Inszenierung zieht, ist das Rauchen. Das ist inzwischen schon auffällig. Da die Inszenierung aber ein paar Jahre zurückblickt, darf das hier nicht fehlen. Arabella steckt sich immer wieder lässig eine Zigarette an. Mandryka versucht ihr das beim Ball zu verbieten und nimmt sie ihr weg, raucht aber selbst. Und es ist auch eine Zigarette, die in Dortmund das witzige Schlussmotiv bildet, denn am Ende zieht Arabella ihm die Zigarette aus dem Mund und wirkt sie weg – als Retourkutsche für den zweiten Akt. Falls das nun so klingen sollte, als ob man das wunderbare Finale völlig konterkariert hat – nein, ganz und gar nicht. Die Szene mit der Zigarette passt sogar sehr gut zu der am Ende sich aus tiefstem Liebesschmelz in eine plötzliche Spaßigkeit wendende Musik. Ganz im Gegenteil fand Jens-Daniel Herzog zu einer überzeugenden Lösung. Wenn Arabella am Ende die Treppe herunterkommt, liegt Mandryka schlafend auf den Stufen. Er hat sich mit Wodka betäubt, da er eigentlich erwartet, dass die Geschichte nun gelaufen ist und ihm Arabella die hier schon deftige Anschuldigung ihrer Untreue nicht verzeihen wir. Wenn sie singt, schläft er immer noch – oder tut zumindest so. Und nun befürchtet man als Zuschauer fast schon, sie zieht enttäuscht wieder ab. Doch Mandryka springt auf, zieht Arabella zu sich. Er schenkt zum Wasser noch etwas Wässerchen – also Wodka – nach und sie trinken das gemeinsam und er zerdeppert es. Die Regie vertraut dem Happy End der Oper.

Am Freitag war die vorletzte Vorstellung dieser Produktion. Der Besuch hat sich gelohnt.

Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 17. November 2017
(Premiere 24. September 2017)

Opernhaus Dortmund

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt

Buchbesprechung: Paul Abraham, der tragische König der Operette – eine Biographie von Klaus Waller