Elektra – Budapest – 2008

Sie schlugen ihn im Bade tot 

Balázs Kovalik inszeniert Richard Strauss' »Elektra« an der Staatsoper Budapest

Der Inszenierungsstil an der Staatsoper Budapest wandelt sich. Die neue Leitung mit dem künstlerischen Direktor Balázs Kovalik beginnt das Repertoire zu modernisieren. Dies war auch dringend nötig. Waren manche Inszenierungen, die seit unvordenklichen Zeiten auf dem Spielplan waren und deren Premierendatum tunlichst nicht im Programmheft vermerkt wurde, doch schon arg verstaubt. Von Inszenierung konnte oft schon gar keine Rede mehr sein. Mit der Premiere von Richard Strauss' Elektra bekam das Budapester Publikum am 24. November eine neue Bühnenoptik zu sehen. Für Aufsehen und Irritationen sorgte allerdings mehr das rot verkleidete Hauptportal, mit dem man wirkungsvoll auf das Ereignis aufmerksam machte.

Immerhin hatte man zwei international bekannte Sängerinnen, Agnes Baltsa als Klytämnestra und Nadine Secunde als Elektra engagiert. Am 10. Januar war eine rein ungarische Besetzung zu hören. Szilvia Rálik überraschte in der Titelpartie, legte sie die Rolle doch erfreulicherweise einmal nicht als keifende und schreiende Elektra an, die jeden Ton mit Forcierung ins Publikum schleudert, sondern mit den Stimmungslagen angepassten Charakterisierungen, die von zartem Gesang bis zu wilden Ausbrüchen reichten. Dies unterstützte noch ihre schlanke Erscheinung.

Diese Interpretation passte zum musikalischen Gesamtbild, wollte man in Budapest doch auch einmal zum sonst in Elektra oft zu hörenden Dauerforte des Orchesters eine Alternative bieten, die auch zur Akustik des historischen Logentheaters überaus passend erschien. So dirigierte Péter Oberfrank (die Premiere leitete János Kovács) das Orchester mit einer erfreulichen Zartheit. Und man war erstaunt. Ist man sonst in Elektra einen lauten Klangsumpf gewohnt, hörte man plötzlich erstaunliche Anklänge. Man konnte erkennen, dass Strauss später im Rosenkavaliers verwandte Motive bereits für Elektra erarbeitet hatte und diese beiden Stücke eben doch gar nicht so weit auseinander liegen, wie uns Dramaturgen immer einzureden versuchen. Es walzert eben auch in Elektra schon heftig. Schon allein deshalb lohnte es sich, die Budapester Elektra zu besuchen.

Das Regieteam um Balázs Kovalik verlegte die Handlung aus der griechischen Antike in ein abgelassenes Schwimmbad der Gegenwart (Bühnenbild Csaba Antal). Man kann vermuten, dass es sich um jenes Bad handeln soll, in dem vor Einsetzen der Oper der mykenische König Agamemnon umgebracht wurde. Hier hat sich nun seine Tochter Elektra hinter einem Berg von Blumenerdesäcken verschanzt. Das Treiben des Hofes lässt sie hier unbehelligt. Doch scheint das Bad nicht gänzlich außer Betrieb zu sein. Denn mit Handtüchern bekleidete Badegäste verweisen auf den Bade- oder Dampfbadbetrieb. Klinisch rein wie die weißen Fliesen, so soll auch das Leben hier sein, folgen dem Chor doch regelmäßig mit Desinfektionsmitteln ausgestattete Putzteams. Klytämnestra (Éva Balatoni) sticht durch ihre Kleidung hervor (Kostüme Mari Benedek). Sie erscheint in Abendkleid und Pelzmantel und schwebt aus einer nicht näher definierten Oberwelt auf einem großen Bett von oben in das Bad. Und auch Orest und sein Begleiter sind deutlich als Außenseiter zu erkennen. In schwarzen Anzügen und mit dunklen Sonnenbrillen dringen sie in die weiße Welt des Bads ein. Sie tragen weitere Farbtupfer in sie hinein, wenn sie am Ende Ägist und Klytämnestra umbringen.

Zu den großen Augenblicken des Abends gehörte die Szene zwischen Elektra und ihrer Mutter Klytämnestra. Ungewohnt erotisch angelegt war die Erkennungsszene zwischen Orest und Elektra, obwohl man nicht sicher sein konnte, ob es sich um eine bis zum Inzest gesteigerte Geschwisterliebe handelt oder ob Elektra ihren Bruder doch letztlich nicht erkennt und sich mit einem Fremden einlässt. Dass am Ende Regisseur Balázs Kovalik Orest auch seine Schwester Elektra umbringen lässt, erscheint in dieser von gegenseitigem Hass geprägten Geschichte nur konsequent. Einen kurzen Moment hat man kurz vor Schluss das Gefühl, dass Chrysothemis (Zsuzsanna Bazsinka), die ja immer von Liebe, Mann und Haushalt träumte, als sie sich im Pelzmantel der bereits ermordeten Mutter präsentiert, nun mit dem Bruder Orest ein Paar bilden könnte. Doch kommt es dazu nicht. Auch sie fällt einer Maschinengewehrsalve zum Opfer.

Dies klingt nun alles drastisch. Letztlich handelt es sich aber genau um die konsequente Umsetzung einer Oper der Zeit um 1900, die allerdings auch damals recht brutal wirkte.

Klaus J. Loderer


Besuchte Vorstellung: 10. Januar 2008
(Premiere 24. November 2007)
Staatsoper Budapest

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Skandal: Enrico Caruso und die spektakuläre Trennung von Ada Giachetti

Vor der Oper: das historische Café Rommel in Erfurt

Buchbesprechung: Paul Abraham, der tragische König der Operette – eine Biographie von Klaus Waller