Richard Strauss' komische Oper Die schweigsame Frau – Nationaltheater München – 2017
Traviata, Madama Butterfly, Brünnhilde, Tosca, Salome – eine Opernrevue überfällt die Bühnenöde
– Richard Strauss’ selten gespielte Oper „Die schweigsame Frau“ am Nationaltheater München –
von Klaus J. Loderer
Die Bühne ist offen. Eine riesige leere Bühne. Nein, nicht ganz leer. Ein rostbrauner Podest steht auf der Bühne, darauf eine Liege. Mit Eintreffen des Dirigenten geht der schwarze Vorhang herunter, auf den wir während der Ouverture schauen dürfen. Dann geht der Vorhang wieder auf. Und was sehen wir? Eine leere Bühne, der rostbraune Podest, die Liege. Aber nun liegt ein Mensch auf der Liege. Es ist Sir Morosus. Admiral im Ruhestand. Schwerreich. Er hat mehrere spanische Schiffe erbeutet, deren Gold nun im Keller liegt, wie sein Barbier irgendwann herausplappert. Das Gold liegt tatsächlich im rostbrauen Podest. Wir sehen es zu Beginn des dritten Akts, wenn der rostbraune Podest hinaufgezogen wird, genauer gesagt nach hinten gekippt wird, und viele Dublonen herunterklimmpern. Dagobert Duck hätte seine Freude. Diese Regieidee scheint Barrie Kosky zu lieben, im Figaro in Berlin ließ er eine Tonne Äpfel herunterkullern. In München symbolisiert es immerhin die Verschwendung des Gelds durch die frischgebackene Ehefrau des Sir Morosus. Der rostbraune Rahmen bleibt dann einige Zeit stehen und oben setzen sich zwei »Tänzerinnen« drauf. Das identifiziert der kunsthistorisch bewanderte Mensch dann sofort mit sich barock räkelnden Figurengruppen auf Palastfassaden und grinst.
Lars Woldt als Sir Morosus und das Ensemble„Die schweigsame Frau“ an der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl |
Aber der Reihe nach. Sir Morosus hat ein Problem: er ist
überaus geräuschempfindlich. Ihn stören Wirtshauslärm, der Lärm auf den Gassen,
die Kirchenglocken, das Geschwätz seiner Haushälterin etc. – wie er in einer
Arie beklagt. Barbier Schneidebarth erklärt uns, wodurch die
Geräuschempfindlichkeit verursacht ward: Sir Morosus sei durch die Explosion
eines Schießpulverlagers das Trommelfell geplatzt und nun ist er –
geräuschempflindlich. Eigentlich sollte man denken, er wäre dann taub, aber im
Opernlibretto steht es eben so. In einer skurilen Komödie ist so etwas erlaubt.
Das Libretto von Stefan Zweig greift übrigens frei auf ein Theaterstück von Ben
Jonson zurück. Dessen „Epicoene or The Silent Woman“ war übrigens auch die
Vorlage für Antonio Salieris Oper „Angiolina“.
Zur Freude von Sir Morosus kehrt sein totgeglaubter Neffe
Henry zurück. Dass dieser sein Studium aufgegeben hat, findet der alte Herr
amüssant. Noch mehr freut es ihn, dass er seine „Truppe“ gleich mitgebracht
hat. Denn er denkt als Seemann, seine Neffe habe eine militärische Karriere
gemacht. Von der tatsächlichen Truppe ist er dann schwer entsetzt, denn die
Truppe entpuppt sich als Operntruppe. Und dann ist Henry auch noch mit der
Primadonna verheiratet, mit einer „Ohrenschinderin“.
Betrachtet man den rostbraunen Podest als wüste Insel, so
stattet Regisseur Barrie Kosky zusammen mit Kostümbildnerin Esther Bialas sie
nun mit einer Art Zerbinetta-Truppe aus. Eine grellbunte Opernrevue flutet die
weite Bühne. Traviata, Madama Butterfly, Brünnhilde, Wotan, Tosca, Salome, Don
José fallen über Sir Morosus her, der sich alsbald in seinen Goldkeller
zurückzieht. Jetzt gibt es wenigstens mal etwas zu schauen.
Der geübte Operngänger erkennt natürlich alle Kostüme. Allerdings
traut man sich diese Kostüm-Revue nur mit ironischem Vorzeichen. Gerade Esther
Bialas würde diese Rollen vermutlich niemals so ausstaffierenen wie hier. Das
wäre ihr sicher zu banal. Die eigentlichen Kostüme der Aufführung sind heutig.
Sir Morosus ist zu Anfang ein sich gehenlassender Mensch, bevor er sich dann im
zweiten Akt in den Frack zwängt. Der Barbier ist hier eine Art Masseur oder
Personal Trainer im giftgrünen Trainingsanzug (eine der vielen
Bekleidungsscheußlichkeiten eines fränkischen Turnschuhherstellers), der um
Morosus herumschleimt. Nachdem Sir Morosus seinen Neffen gleich wieder enterbt
hat, möchte er nun heiraten. Dazu führt ihm der Barbier im zweiten Akt drei
Kandidatinnen im Dirndl vor. Alle drei sind verkleidete Damen aus der
Operntruppe. Und auch Notar und Pfarrer sind nicht echt. Morosus entscheidet
sich ohne es zu ahnen für Aminta, Henrys Frau, weil sie als „Timidia“ so
bescheiden und still ist. Doch schon in der Hochzeitsnacht macht „Timidia“
lautstark klar, dass sie ihre Ruhe haben möchte. Um das zu unterstreichen, darf
sie in München mit der Hochzeitstorte über Sir Morosus herfallen. Dann gibt es
im zweiten Akt noch eine Art makrabe zweite Revue: aus den angeblichen Matrosen
von Sir Morosus (in Wirklichkeit auch die Operntruppe) macht die Regie den
Ausflug von Krankenhauspatienten, die mit ihren Pflegerinnen hereinplatzen.
Im dritten Akt ist das Heim von Sir Morosus in der Münchner
Inszenierung in eine rosa Hölle verwandelt. Sir Morosus im rosa Anzug,
„Timidia“ im rosa Negligé, alles rosa. Zur rosa Revue gehört auch ein Papagei –
übrigens eine Sprechrolle – hier eine „Tänzerin“ im rosa Federschmuck –
herrlich tuntig Airton Feuchter-Dantas Gondim. In einem grotesken
Scheidungsprozess möchte Sir Morosus nun seine „Timidia“ loswerden. Daraus
macht Barrie Kosky eine Art Zickenkrieg, in die dann der als amerikanischer
Cowboy verkleidete Henry als Liebhaber der Lady hereinplatzt. Als Morosus
erfährt, dass alles nur eine Farce sei, antwortet er mit Gelächter und
überlässt Timidia-Aminta großzügig Henry. Morosus erkennt: „Wie schön ist doch
die Musik“.
Wie kommt das nun beim Publikum an? In beiden Pausen sieht
man einige Menschen gehen. Im dritten Akt sind die vielen leeren Plätze dann
auffällig. Am Ende dann großer Beifall für die Sänger.
Dabei ist die musikalische Seite gelungen. In den
Vorstellungen 2010 sang Diana Damrau die Rolle der Aminta. Nun ist Brenda Rae
zu hören – ebenfalls eine hervorragende Aminta. Allerdings kann man auch
bemerken, dass die Partie des Sir Morosus eben doch nicht zu unterschätzen ist.
Nach viel Gezetere und Gejammer klingt die Oper dann doch noch mit einem
wunderbar melodischen Monolog des Sir Morosus aus. Und hier ist Lars Woldt in
der besuchten Vorstellung mit einem Anflug von Heiserkeit dann leider nicht
mehr so gut bei Stimme, wie man sich das gewünscht hätte. Pavol Breslik erfreut
als Henry. Und Nikolay Borchev gibt einen quirligen Barbier. Das Bayerische
Staatsorchester ist unter der Leitung von Stefan Soltesz zu Beginn der
Ouverture allerdings weniger melodisch als es sein könnte und lässt an vielen
Stellen den feinen Wohlklang einer Richard-Strauss-Partitur vermissen.
Um die Schönheit der Musik wirklich zu erkennen, sei die
Aufzeichnung des Bayerischen Rundfunks aus dem Nationaltheater München
empfohlen – natürlich jene aus dem Jahr 1972.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 12. November 2017
(Premiere am 20. Juli 2010 im Prinzregententheater München)
Nationaltheater München
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