Die Meistersinger von Nürnberg – Budapest – 2006
Pusztaromantik in Nürnberg
Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« an der Staatsoper Budapest
Trotz eines anfänglichen Misserfolgs der Budapester
Erstaufführung 1883 haben Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« an
der ungarischen Staatsoper eine lange Tradition. Generalmusikdirektoren wie
Arthur Nikisch pflegten das deutsche Fach und besonders Wagners Bühnenwerk. So
konnte die Budapester Staatsoper für den 3. Juni stolz die 300. Vorstellung
dieses Werks ankündigen. Rechtzeitig zum Jubiläum wurde eine neue Inszenierung
herausgebracht, die am 20. Mai Premiere hatte.
Die Geschichte um den Nürnberger Dichter Hans Sachs,
kombiniert mit einer Geschichte um einen Meister, der seine Tochter nur einem
Meistersinger zur Frau geben will, hat Wagner zu einem monumentalen Werk
verarbeitet, das jedes Opernhaus alleine schon durch seine Länge und seine
musikalischen Anforderungen an die Grenzen bringt.
So richtig glücklich ist man mit der neuen Budapester
Inszenierung nicht. In Deutschland ist man bei den Meistersingern durchaus
Inszenierungen gewöhnt, die auch einmal ironisch an das Werk herangehen, etwa
Konwitschny in Hamburg oder Neuenfels in Stuttgart. In Budapest hat man zwar
den Eindruck, dass das Regieteam einige Motive anderer Inszenierungen
verarbeitet hat, insgesamt kommt dann aber eher der Eindruck biederer
Belanglosigkeit auf. Dabei hat man großen Aufwand getrieben. Alexander Belosub
hat in seinem Bühnenbild viele Zitate verarbeitet, Attila Vidnyánszky sorgte
dafür, dass immer etwas auf der Bühne los ist, doch mit einer Deutung tut man
sich schwer. Liegt es daran, dass die Motive einfach oft nicht passen? Das im
Hintergrund schwebende riesige bunte Glasfenster mag eine Kirche treffend
illustrieren, in einer solchen spielt schließlich der erste Akt. Aber es dient
dann eben auch im dritten Akt als »fliegender Teppich« und auf der Festwiese
gar als Tanzparkett. Seine schöne Idee mit den Orgelpfeifen konnte Belosub im
ersten Akt wohl nicht unterbringen, dafür rahmen sie Hans Sachs' Werkstatt, der
allerdings keine Orgeln baut, sondern Schuhe macht.
Völlig unverständlich bleibt eines der Hauptmotive der ersten
Szene. Durchsichtige Kugeln werden hereingerollt, auf denen die Meister während
der »Freiung« sitzen. Eher amüsiert zeigt man sich dann, wenn man bemerkt, dass
für jeden Aufsteh- und Setzvorgang eines Meisters – und sie stehen oft auf -
ein Statist herbeieilen muss, um die Kugel zu halten.
Choreograph Gyula Fodor hat die Tanzbarkeit der Meistersinger
erkannt und ergänzt die Handlung durch mehrere Tanzpaare. Dass die Damen und
Herren aus dem Ballett stammen ist auch dann unschwer erkennbar, wenn sie nur
als Statisten dienen, hebt sich ihr grazil schwebender Schritt doch deutlich
von den Sängern ab. Diese Tanzergänzung mag im zweiten und dritten Akt gut
passen, besonders natürlich auf der Festwiese, wo sogar Wagner einen Volkstanz
der Gesellen vorsieht. Nun gut, auch im ersten Akt scheint man zur Musik gut
tanzen zu können, doch spielt dieser in einer Kirche – in einer evangelischen
zumal. Sind das östliche Vorstellungen von deutscher Volkstümlichkeit mit einem
Schuss Pusztaromantik? Sollte das ironisch gemeint sein, könnte man es mit
einem Grinsen abtun.
Auch nur unter dem Gesichtspunkt der Ironie kann man sich mit
den Kostümen anfreunden (Alexander Belosub). Dass sich die Meister für ihre
Auftritte in Singstunde und Festwiese kostümieren, sieht man gelegentlich auf
der Bühne, aber sie wie russische Großfürsten auszustatten, ist doch wohl etwas
übertrieben. Überhaupt scheint für die Kostüme der Fundus östlicher
Geschichtsromantik das Vorbild gewesen zu sein. Man wähnt sich eher in »Fürst
Igor« oder in einem ungarischen Historienfilm als in Nürnberg.
Immerhin kann die Staatsoper durch das musikalische Angebot
versöhnlich stimmen. Der russische Dirigent Jurij Simonow lotet mit dem
Staatsopernorchester alle Nuancen der Partitur aus. Mit angenehmen Tempi und
starker Lebendigkeit vermeidet er Langatmigkeit, was alleine schon durch den
Umfang des Stücks aufkommen könnte. Zum erfreulichen Gesamtklang trägt auch der
von Chorleiter Maté Szabó Sipos perfekt einstudierte Chor bei. Ein Glücksgriff
ist der deutsche Baßbariton Friedemann Kunder als Hans Sachs, der nuanciert die
Rolle interpretiert und seit seiner Interpretation der Rolle in Dortmund an
Reife gewonnen hat. Etwas überfordert scheint József Mukk mit der doch nicht so
kleinen Partie des Lehrbuben David, der in seiner »Gesangslehrstunde« im ersten
Akt nicht überzeugen kann. Die Leistung von Atilla B. Kiss als Walter von
Stolzing kann man als solide bezeichnen, ebenso die von Mónika González als
Eva. Von den tiefen Partien ist noch István Berczelly (Veit Pogner) als
herausragend zu nennen. Kázmér Sárkány überzeugt als Sixtus Beckmessser durch
einen detaillierten Gesang und bemüht sich als einziger Solist im Ensemble um
eine darstellerische Interpretation der Rolle.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 3. Juni 2006
Staatsoper Budapest
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