Die lustige Witwe – Oper Köln – 2006

Liebesleid und Happy End im modernen Bungalow 

Neuinszenierung von Lehárs Operette »Die lustige Witwe« an der Oper Köln

Das hundertjährige Jubiläum der Erstaufführung von Lehárs bekannter Operette »Die lustige Witwe« in Köln 1906 nahm die Oper Köln zum Anlass einer Neuinszenierung, die am 11. November Premiere hatte. Damals war mit dieser Operette das neue Metropoltheater in der Apostelstraße eröffnet worden. Nach der Premiere am 8. September 1906 konnte es bereits am 27. Oktober die 50. Aufführung feiern. Auf 380 Aufführungen brachte es die »Witwe« damals. Der Erfolg wurde in Berlin mit über 600 Vorstellungen allerdings noch übertroffen. Ja, die »Witwe« war eines der Erfolgsstücke des frühen 20. Jahrhunderts. Die Beliebtheit ist bis heute ungebrochen. Dass Lehárs Melodien immer noch bekannt sind, konnte man jetzt in der Kölner Oper erleben, als das Publikum eifrig mit summte.

Musikalisch ist die Kölner Neuproduktion durchgängig gelungen. Dirigent Enrico Dovico traf mit dem traditionsreichen Gürzenich-Orchester genau den richtigen Ton. Fröhliche Ausgelassenheit und gefühlvoller Liebesschmerz, zwischen diesen Gegensätzen changiert die Partitur, durch die sich Dovico mit packendem Dirigat arbeitete. Mit Kirsten Blanck hatte man eine Hanna Glawari engagiert, die mit sicherem Sopran die nicht wenig anspruchsvolle Rolle meisterte. Sie hatte mit Thomas Mohr als Graf Danilo einen Gegenpart mit reifem Schmelz.

Die plüschige neobarocke Gesandtschaft und die moderne Vorstadtvilla der Hanna Glawari - nicht stärker könnten die Gegensätze der Bühnenbilder sein, die Mark Gläser für »Die lustige Witwe« an der Oper Köln entwarf. Dass er sich von Jacques Tatis 1959 mit einem Oscar ausgezeichneten Film »Mon oncle« (deutsche Fassung »Mein Onkel« inspirieren ließ, ist ein schöner Einfall. Die Inspiration ging so weit, dass das berühmte weiße Einfamilienhaus des Films gewissermaßen 1:1 auf der Bühne nachgebaut wurde. Da staunte das Publikum.

Dass die Regie von Jasmin Solfaghari damit nicht allzuviel anzufangen wusste, ist andererseits bedauerlich. Lag vielleicht sogar ein grundsätzliches Missverständnis vor. Statt der beißenden Kritik Tatis an der Moderne diente das Haus hier als idealistisches Gegenbild zu einer verstaubten und altmodischen Gesellschaft. Blickt Tati spöttisch auf die Tyrannei des modernen Hauses über seine Bewohner, sieht man in Köln eben nur wieder die übliche Kritik an einer dekadenten Gesellschaft, die sich selbst überlebt hat. Warum hatte man denn nicht die Frechheit, Hanna Glawari nun wirklich mit Trippelschritten über die Gehwegplatten schweben zu lassen (wie es die Hausfrau im Tati-Film mit irgendwann angenervter Grazie tut)? Dieses Filmzitat allein hätte das Publikum schon mit Kichern angenommen. Statt dessen Ernsthaftigkeit: die Diener weisen die Gäste darauf hin, dass nicht auf den Rasen treten. Und wenn man schon mit Schirmen hantiert, warum zitiert man denn nicht einen der nettesten Gags Tatis: Im Film steckt der von Jacques Tati gespielte Onkel seinen Regenschirm in den Kies und trifft dabei die Zuleitung des Springbrunnens, der darauf versiegt. Dass sich die runden Fenster dann doch in Augen verwandeln (wie im Film) nützt dann allerdings auch nichts, fehlt doch in diesem Moment der voyeuristische Aspekt des Beobachtens, wie der Onkel gerade dabei ist, das Gartentor auseinanderzunehmen. So verhalf der scharfe und treffsichere Humor des Altmeisters Jacques Tati der Regisseurin Solfaghari leider nicht zu kongenialen Einfällen. Eher dümpelte das Stück in merkwürdiger Ernsthaftigkeit so vor sich. hin. Da half auch mancher Aktionismus auf der Bühne nicht viel. Die beste Pointe des Abends war noch der unter einer Chordame zusammenbrechende Stuhl. Allerdings handelte es sich dabei in der fünften Vorstellung am 11. November um einen echten Bühnenunfall.

Übrigens wurde eine neue Textfassung verwendet, in der sich so geistreiche Pointen finden wie: »Nun grinsen Sie nicht so blöd«. Es mag sein, dass man damit Hanna Glawaris einfache Herkunft unterstreichen wollte. Überhaupt hatte man sich auf der Bühne recht derb zu benehmen, was nicht so recht zur gewählten Epoche der Fünfzigerjahre passen mochte. Dass der Diener Njegus, was die Kleidung angeht, in so verkommenem Zustand in einer Gesandtschaft herumläuft, ist schlichtweg undenkbar (genauso heute wie in den auf Etikette sehr bedachten Fünfzigerjahren – wie man nun ausgerechnet im Programmheft nachlesen kann). Gerade von der Eleganz der Fünfzigerjahre ließ sich Kostümbildnerin Su Bühler inspirieren, die Chordamen und Solistinnen mit nun wirklich wundervollen Kleidern ausstattete. Hätte Kirsten Blanck eine etwas elegantere Erscheinung, der Auftritt der Hanna Glawari im ersten Akt hätte der gefeierte Einzug einer Maria Callas sein können (an diese mag Su Bühler vielleicht ein wenig gedacht haben).

Bühnenbild und Kostüme mit ihrem Zitat der Fünfzigerjahre passten also durchaus zusammen. Ein historischer Bezug zum originalen Hintergrund der Handlung war offensichtlich nicht gewollt. Wie die Handlung eigentlich in den Fünfzigerjahren funktionieren soll (wenn alle vormaligen Balkanmonarchien längst dem Kommunismus zum Opfer gefallen sind), darüber hat sich die Regie scheinbar keine Gedanken gemacht. Statt dessen wird ein optischer Eklektizismus geboten. Dazu gehörte dann etwas balkanische Volkstümlichkeit, zu der auch zählte, dass statt Champagner ausgiebig Hochprozentiges konsumiert wurde. Es gab schon manchen Versuch, Lehárs Operette mit einer ergänzten oder neuen Geschichte einen ernsteren Charakter einzugeben. In Köln geriet dieser Versuch leider nicht unbedingt zu einem schlüssigen Ergebnis.

Klaus J. Loderer


Besuchte Vorstellung: 11. November 2006
Oper Köln

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