Die lustige Witwe – Gent – 2006

Eine alte Dame erinnert sich an mondäne Zeiten in Paris

Lehárs »Die Lustige Witwe« an der flämischen Oper (Vlaamse Opera) in Gent

Eine bezaubernde Inszenierung von Lehárs Operette »Die lustige Witwe« ist derzeit an der flämischen Oper (Vlaamse Opera) zu sehen. Das schöne alte Opernhaus in Gent bietet auch gerade den richtigen Rahmen für ein solches Werk. Die Raumfolge der drei großen Festsäle aus dem 19. Jahrhundert stimmt wunderbar auf das Werk ein. Fast wähnt man die Walzermelodien zu hören, die sicher auch in diesem Ballsaal schon erklungen sind. Allerdings geht es in der Genter Inszenierung nicht nur um Walzerseligkeit. Ganz im Gegenteil versucht der englische Regisseur Lee Blakeley eine psychologische Deutung des Stücks. Die alte Hanna Glawari wird durch ein Porträt an eine Episode aus früheren Jahren erinnert. Immer wieder wird sie durch die Aufführung »geistern«, wird sich erinnern an die alte Geschichte. Es bleibt aber bei Andeutungen, welche Verbindung nun tatsächlich zwischen junger und alter Hanna bestehen soll, das lässt Regisseur Blakeley unklar. Auch das Milieu, in das Blakeley die Handlung verlegt, bleibt undeutlich. Sind es Exilanten aus dem Operettenpontevedro im Paris der 1920er-Jahre? Die Ansätze einer Geschichte verlieren sich immer wieder. Die Zusammenhänge und neuen Akzente bleiben so undeutlich. Dabei beginnt die Inszenierung vielversprechend. Ein Stapel alter aber edler Koffer; eine alte Dame, die schnell als gealterte Hanna Glawari zu erkennen ist, kommt hinzu und erinnert sich durch ein großes Porträt an eine frühere Episode ihres Lebens.

Auch der zweite Akt beginnt ein wenig melancholisch in einem Pariser im Herbst. Die alte Hanna Glawari sitzt auf einer Parkbank und sieht jungen Liebespaaren zu. Das ist stimmungsvoll und passt zur Musik. Warum die jungen Männer plötzlich von Militärs abgeführt werden, bleibt dann wieder völlig unbestimmt. An solchen Stellen fehlt der geschichtliche Zusammenhang, den man gerade bei dieser Operette ja leicht einbauen kann.

Die großen Zusammenhänge bleiben zwar reichlich unklar, dafür gelingen Lee Blakeley einige schöne Kabinettstücke. Dazu zählt etwa der Auftritt der Witwe, für die ihre Verehrer aus großen Geschenkpaketen ein Canapée bauen. Reizend ist auch die Szene, in der Njegus aus einem Schrankkoffer einen Sekretär baut, damit Graf Danilo einen Schreibtisch zum Schlafen hat. Eine psychologische Tiefe erhält der Schluss des ersten Akts, indem die alte Hanna ins Spiel gebracht wird und versucht rückwirkend in das Geschehen einzugreifen, um die junge Hanna dazu zu bringen, mit Danilo zu tanzen. Eine weitere schöne Idee ist im Vorspiel zum dritten Akt gelungen mit einem Kellner, der über dem Maxim-Schild mit dem Aufkleber »Fermé« (geschlossen) lehnt. Durch diese Szenen wird aus der Inszenierung kein düsteres Trauerspiel.

Übrigens wird »Die lustige Witwe« in Gent in deutscher Sprache gespielt mit Dialogen, die der Originalfassung ziemlich nahe kommen müssten. Man findet dort interessante Textstellen, die sonst üblicherweise gestrichen werden. Wobei einige Sänger mit diesem Text so ihre Probleme haben. Piet Vansichens (Baron Zeta) holländerischer Akzent wirkt allerdings charmant. Trotz eines nett balkanisch wirkenden Akzents vermasselt Tommi Hakala (Graf Danilo) allerdings die meisten Pointen durch Texthänger komplett und glänzt als Sänger auch nicht unbedingt. Dafür ist die bekannte australische Sopranistin Cheryl Barker ein wirklicher Genuss. Sehr damenhaft im Auftreten singt sie mit brillanter Höhe. Vielleicht ein wenig steif doch gesanglich hervorragend gestaltet Hendrickje van Kerckhove die Rolle der Valencienne. Matthias Klink singt den Camille de Rossillon mit schöner Höhe.

Die Bühnenbildnerin Emma Wee gestaltet die Bühne mit einfachen Mitteln. Den festliche Raum des ersten Akts deutet ein geraffter roter Vorhang an. Im zweiten Akt entsteht mit zwei Parkbänken und dunkleren Tönen eine herbstliche Parkstimmung mit einem Art-Deco-Pavillon, der vielleicht etwas zu kulissenhaft geraten ist.

Trotz einfallsreicher und schmissiger Choreografie (Tess Gibbs) und einem von Michel Tilkin ausgezeichnet dirigenten Orchester kam das Werk bei der besuchten Vorstellung am 12. Februar nicht so recht beim gelangweilten Publikum an. Unverständlich! Der Rezensent hat die Nachmittagsaufführung außerordentlich genossen.

Klaus J. Loderer


Besuchte Vorstellung: 12. Februar 2006
Opera Gent

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