Die Herzogin von Chicago – Oper Bonn – 2005
»Ein Charleston ist nix anderes als ein amerikanischer Csárdás«
Unbekannte Kálmán-Operette »Die Herzogin von Chicago« an der Oper Bonn aufgeführt
»Jazz gegen Csárdás«, wie 1928 eine Besprechung der
Uraufführung übertitelt war, darum geht es vordergründig in Kálmáns Operette
»Die Herzogin von Chicago«. Diesen Zusammenstoß der Kulturen haben die
Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald geschickt in eine
Operettenhandlung verwoben, die gleichzeitig den Hintergrund eines
traditionellen Operettenhandlungsort, also ein erfundenes Königreich auf dem
Balkan, mit der neuen Welt, also Amerika, konfrontieren. Beide Kulturen werden
dabei gleichermaßen durch den Kakao gezogen. Verbindendes Element ist der
Komponist Emmerich Kálmán, der durchaus »Csárdás« und »Jazz« beherrschte und in
beiden Bereichen hinreißende Melodien erfinden konnte. So ist die »Herzogin von
Chicago« eine Operette, in der traditionelles Operettengenre mit modernem
Broadwaymusical kombiniert wurde. Aber wenn in der Operette häufig von Jazz die
Rede ist, so sollte man diesen Bereich der Musik doch eher als amerikanisch
angehaucht bezeichnen, denn in New Orleans wären Kálmáns Melodien sicherlich
nicht als Jazz erkannt worden.
Moderne amerikanische Tänze erfreuten sich in den 20er Jahren
in Europa großer Beliebtheit, so ist es nicht erstaunlich, dass die Musik auch
ihren Niederschlag in der Operette fand. Selbst in die sog. ernsthafte Musik
fand sie Einzug. Hier kann als Beispiel Kreneks Oper »Jonny spielt auf« genannt
werden, die wenige Monate vor der »Herzogin« ihre Uraufführung hatte. Übrigens
wird bei Kálmán sogar in einem Satz auf diese Oper angespielt. Das Saxophon
wurde in die Besetzung symphonischer Werke aufgenommen. Berühmt ist hier Ravels
»Bolero«.
Dass in der Operette »Die Herzogin von Chicago« das Vorspiel
in Budapest angesiedelt ist, wird sicherlich kein Zufall sein, verband diese
Stadt doch in den 20er Jahren musikalisch zwei Welten. Ein Blick in einen
Reiseführer der Zeit zeigt, dass die großen Hotels in Budapest ihre Gäste mit
Zigeuner- und Jazzkapelle unterhielten. Eine solche zur Jazzkapelle mutierte
Zigeunerkapelle findet sich auch im ersten Akt der »Herzogin«. Was die
männliche Hauptfigur, den Erbprinzen Sándor Boris von Sylvarien, zur Bemerkung
veranlasst: »Was, der Kuppi Mihály als Jazzbandhäuptling.«
Die Opernbesucher, die am 13. März im Bonner Opernhaus die
Premiere der Operette, die nach Jahren der Vergessenheit nun Wiederbelebungen
in Wien, Augsburg, Dresden und Detmold erlebte, konnten diese Raffinnessen
nicht bemerken, denn das Regieteam vertraute dem Originaltext wenig und strich
die gesprochenen Dialoge größtenteils. So wurde aus einem amüsanten Vorspiel in
einer Budapester Bar, in der ein konservativer Erbprinz auf eine amerikanische
Milliardärstochter trifft, die partout mit ihm einen Charleston tanzen möchte
(aber eben keinen Walzer oder Csárdás), eine deprimierende Szene, in der ein
düster gekleidetes Volk gegen das Charleston-Tanz-Verbot seines Fürsten eine
Revolte schmiedet. Das leuchtet wenig ein, denn in einem Balkankönigreich der
20er-Jahre hätte vermutlich ausgerechnet der Erbprinz als einziger Charleston
tanzen wollen und sich die neuesten Schallplatten aus den USA einfliegen
lassen. Gegen diese Geldverschwendung hätte das Volk eher revoltiert. Immerhin
gelang die Ankunft der Amerikanerin dann wieder ganz witzig. Ein Modellflugzeug
knatterte durch den Zuschauerraum. Der Landeanflug ging dann in einen Absturz
über, das mag überzeugen, besaß die Hauptstadt des fiktiven Königreichs
Sylvarien, wo die Operette spielt, 1928 sicherlich keinen Flugplatz.
Mulitmillionärstochter Mary Lloyd (mit höhensicherem Sopran Julia Kamenik) aus Chicago und ihr Privatsekretär,
nebst einer Damenriege, beginnen dann sogleich mit dem Versuch des Musikimports.
Allerdings scheitert dies erst einmal kläglich. Mit der geballten Macht der
Vorurteile siegt der Csárdás über den Jazz.
Der erste Akt spielt im königlichen Schloss zu Sylvarien,
wohin der Erbprinz Sándor Boris (Timothy Simpson) inzwischen zurückgekehrt ist.
In Bonn bedurfte es keines Bühnenbildwechsels, nur neue Details deuteten etwa
ein Schlafzimmer an. Der Erbprinz, von revolutionären Gedanken geleitet,
versucht, das inzwischen doch irgendwie gelandete Flugzeug mit weißer Farbe zu
beschmieren. Da es ihm jedoch an Übung mangelt (er hätte wohl einfach früher
aufstehen müssen), gelingt das nur bedingt. Eigentlich sollte der Erbprinz
jetzt seine Neffen empfangen, was komplett gestrichen wurde. Immerhin besucht
ihn seine ihm versprochene Cousine Rosemarie (Anjara I. Bartz als »graumäusig«
lispelnde Prinzessin), mit der er vereinbart, sie nicht zu heiraten. Statt
dessen verliebt sich Mr. Bondy (Mark Morouse) in sie. Mary, also die
amerikanische Milliardärstochter, hat sich inzwischen in den Kopf gesetzt das
Schloss zu erwerben. Der Erbprinz willigt darin und zieht aus.
Eigentlich lässt Mary das Schloss renovieren, in Bonn sitzt
sie zu Beginn des zweiten Aktes auf einem Berg von Geschenken, die sie sich von
den Sylvarern im Austausch gegen amerikanische Pässe geben lässt, sollte damit
gar eine kleine Kritik am amerikanischen Imperialismus gemeint sein. Ein
kleiner Seitenhieb gegen die gerade laufende Visa-Affäre wäre hier vielleicht
nett gewesen, unterblieb aber. Schließlich kommt der Erbprinz zu Besuch.
Insgeheim nimmt er Tanzstunden in Charleston, den er als amerikanischen Csárdás
identifiziert. Umgekehrt lernt Mary insgeheim Walzer. In einer indianisch
angehauchten Prärie-Szene scheinen sich beide näher zu kommen. Als er jedoch
von den Freundinnen Marys erfährt, dass es sich bei der Europareise des »Young
Ladies'Club« um eine Wette handelt, bei der diejenige eine Million Dollar
erhalten soll, die das kauft, was am schwierigsten zu bekommen sei, z.B. einen
Erbprinzen, ist er äußerst pikiert. Ein abgefangenes Telegramm, in dem Mary
ihrem Vater schreibt, dass sie bald den Erbprinzen kaufen werde, gibt ihm die
Bestätigung. Träumt der Finanzminister Mary, die inzwischen zur Herzogin von
Chicago erhoben wurde, düpiert er mit der Verkündung der Verlobung mit seiner
Cousine Rosemarie.
Statt des in Bonn gestrichene n Nachspiels, in dem sich in
Budapest wieder alle Personen treffen, fordert nun der inzwischen angereiste
Mr. Lloyd ein Happy End. Ins Publikum richtet er die Frage, was das Paar denn
nun tanzen sollen. Das Publikum forderte nun in der Premiere (wohl wider
Erwarten) einen Walzer. Was nun, denn einen Walzer sie sieht die Partitur im
Finale nicht vor. Dieses Problem wäre nun einfach lösen zu lösen gewesen, hätte
die Regisseurin Andrea Schwalbach den Text gelesen. Denn dort wird das
Tanzproblem (Charleston oder Walzer) einfach dadurch gelöst, dass der Erbprinz
feststellt, Charleston sei inzwischen unmodern - und man sich bei einem Slowfox
ins Happy End tanzt. Dieser Slowfox wurde dann natürlich auch in Bonn gespielt,
wenn er auch als Charleston angekündigt wurde. So durfte dann auch in
Bonn-Sylvarien von einem unmutigen Paar Mary-Sándor doch noch Charleston
getanzt werden. Das Konstrukt, doch noch zum Happy End zu kommen, mag im
Original etwas arg sein. Dort tauchen am Ende auch noch der in Bonn komplett gestrichene
König und ein ebenso gestrichener bzw. mit Vater Lloyd verwobener Filmproduzent
auf. Letzterer fordert dann für die Verfilmung des Stoffs ein Happy End. In
Bonn konnte man auf diesen Produzenten verzichten, sollte doch wohl die ganze
Handlung auf einem Filmset spielen. Zumindest deuteten die Zwischenszenen auf
der Vorderbühne, in denen ein »Casting« und Probeaufnahmen angedeutet waren,
auf eine solche Interpretation hin.
Die düstere der Grundstimmung der Bühne (Anne Neuser) und die
dunklen Kostüme (Stephan von Wedel) konstrastierten seltsam mit der teilweise
ausgelassen fröhlichen und arglosen Musik Kálmáns. Zu deutlich wurde die
Skepsis der Regisseurin Andrea Schwalbach gegenüber dem Stück. So ging etwa die
langsam sich anbahnende Romanze zwischen Mary und Sándor völlig unter, musste
untergehen, da es ja kein Happy End geben sollte. Überzeugend war die
Inszenierung weniger an den Stellen, an denen bewusst eine Interpretation
vermittelt werden sollte, als in den Szenen, in denen man das Gefühl hatte, das
Stück entwickelt sich zum Selbstläufer. Da entwickelten sich wirkungsvolle
Bilder. Wenn auch das Zitat aus Doktor Schiwago dann doch zu viel war: ein
Erbprinz, der für fünf Millionen Dollar sein Schloss verkauft hat, ist eben
doch kein von der Oktoberrevolution vertriebener Bourgeois. Allerdings wirkte
auch die komisch wirken sollende Vereinigung der Minister Bojazowitsch, Perolin
und des Haushofmeisters in einer Person eher albern, obwohl sich Eric Laporte
eifrig bemühte, seine Dialoge wechselweise mit und ohne französischen Akzent zu
sprechen. Immerhin konnte Schwalbach auf ein spielfreudiges Ensemble
zurückgreifen, das auch die ideenreiche Choreographie von Thomas McManus
effektvoll umsetzte.
Unglücklich war die Anordnung des
Beethovenorchesters (Leitung Wolfang Lischke) hinter dem Bühnenbild. Dass in
einem kleinen Theater wie Bonn die Sänger allerdings elektronisch verstärkt
wurden, ist schon peinlich und schränkt den Hörgenuss erheblich ein. Denn ein
herausragender Tenor von der Qualität eines Timothy Simpson hätte das Haus
sicherlich mühelos auch ohne Mikrophon beschallt.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: Premiere 13. März 2005
Oper Bonn