Der Vogelhändler – Backnanger Bürgerhaus – 2005

Rokoko-Schäferspiel auf einer Spieluhr 

Operettenbühne Wien mit Operette „Der Vogelhändler“ im Backnanger Bürgerhaus


Wieder einmal begann eine Kultursaison im Backnanger Bürgerhaus. Seit mehr als hundert Jahren treten auswärtige Ensembles im Haus auf, damals noch im bescheidenen Festsaal des Bahnhofhotels. Die Chronik verzeichnet aber auch mehrere Theaterkrisen. Sie wechselten ab mit Zeiten regen kulturellen Lebens. In der neuen Saison wird die städtische Abonnementreihe bescheidener ausfallen als bisher- aber immerhin gibt es sie noch. Die populäre Operette „Der Vogelhändler“ bildete am Samstag den Auftakt – übrigens die einzige Musiktheaterveranstaltung der Saison.

„Schenkt man sich Rosen in Tirol“ stellt nicht die einzige bekannte Melodie des Stücks von Carl Zeller dar. Mehrere eingängige Melodien machten die Operette nach ihrer Uraufführung 1891 in Wien schnell zu einem Kassenschlager. Das inflationäre Dudeln dieser Melodien in moderner Zeit lassen sie vielleicht etwas abgedroschen wirken, was eigentlich schade ist, denn Musik und Handlung des Vogelhändlers haben durchaus hohe Qualität. Das zeigt gerade das Rosenlied, das sich aus einer Soloarie des Vogelhändlers Adam unter Einbeziehung des gesamten Ensembles zu einem mächtigen Finale entwickelt. An solchen Stellen lässt sich durchaus nachvollziehen, dass der Komponist Carl Zeller den gleichen Kompositionslehrer hatte wie Anton Bruckner. Man würde beim Komponisten des Vogelhändlers auch nicht unbedingt  erwarten, dass es sich bei ihm um einen promovierten Juristen handelte, der hauptsächlich als Ministerialrat und später Hofrat im k.u.k. Ministerium für Kultur und Unterricht in Wien wirkte.Ungewöhnlich wird bei der Uraufführung das Sujet gewirkt haben. In den 1890er-Jahren waren eher Gesellschaftsthemen üblich in der Operette. Zeller und seine Librettisten schufen einen eher volkstümlichen Stoff. Für österreichisches Volkskolorit sorgt der Vogelhändler Adam aus Tirol. Dieser ist geschickt eingebunden in eine Handlung, die an einem für Wien äußerst exotischen Schauplatz spielt. Bei Kálmán und Lehár spielen Operetten gerne auf dem Balkan, hier ist es die gleichermaßen fern von Wien gelegene Pfalz. In Handlung und Musik prallen zwei konträre Welten aufeinander: die Welt der Bauern in einem Dorf am Rhein und die höfische Gesellschaft des kurfürstlichen Hofes in Mannheim. Dass Adelige im 18. Jahrhundert in sehr kunstfertiger Weise Landleben spielten, ist als Hintergrund geschickt eingearbeitet. Auch im Vogelhändler besucht die Kurfürstin als Bäuerin verkleidet das Dorf.

Die Darstellung eines Rokoko-Schäferspiels auf einer Spieluhr, wie sie in manchem Schloss die Touristen ergötzt, bildete denn auch die Grundidee der Inszenierung Heinz Hellbergs, die die Operettenbühne Wien in einem fulminanten Gastspiel dem Backnanger Publikum präsentierte. Sich abgehackt zu Spieluhrklängen drehende Figuren sah man da, als der Vorhang sich öffnete. Schnell erkannte man die den jeweiligen Figuren zugeordneten Leitmotive (eigentlich die Melodien der Auftrittsarien). Bald wurden die Figuren lebendig und entwickelten sich zu eigenwilligen Persönlichkeiten. Im Finale sollten sie wieder erstarren und sich in eckigen Bewegungen zum Klang der Spieluhr drehen. Noch einmal durfte sich jede Figur zum Klang der für sie typischen Melodie bewegen.

Mit wenigen Kulissen deutete das Bühnenbild (Fritz Kotrba) im realistischen Stil der Tourneebühnen eine Dorfszenerie mit Gasthaus und Pavillon an. Hier entwickelte sich die Geschichte um eine kurfürstliche Jagd, deren Hauptgast dann gar nicht auftauchte. Als Ersatz spielte Graf Stanislaus (bemüht blassiert näselnd: David Busch) den Kurfürsten, versuchte vergeblich in einem Pavillon die Briefchristl (mit leichtem Sopran und sicherer Höhe: Susanne Fugger), die er für eine Ehrenjungfrau hielt, zu verführen, dabei von ihrem Bräutigam Adam (sehr tirolerisch: Alois Haselbacher) ertappt wurde, der daraufhin die Verlobung aufkündigte und sich an die vermeintliche Bäuerin Marie heranmachte, die in Wirklichkeit die Kurfürstin war (Heidi Brandstetter). Natürlich entmischte sich die Gesellschaftsmelange am Ende wieder und Christl erhielt ihren Adam, Baron Weps (als bestechlicher Hofkavalier Alois Walchshofer) die Baronin Adelaide und ihre zehn Millionen Gulden Mitgift (als alte Jungfer bestechend: Gerti Gordon). Eine ergötzliche Parodie auf universitäre Gelehrsamkeit stellten Helmut Ettl und Alexander Helmer als Professoren Würmchen und Süffle dar. Der Tenor Alois Haselbacher als Titelheld Adam entwickelte sich stimmlich nach anfänglicher Unsicherheit mit zunehmend strahlender Höhe. Horst Wichmann leitete das Orchester sicher und mit lebhaftem Tempo durch die Partitur.

Klaus J. Loderer

Besuchte Vorstellung: 22. Oktober 2005
Backnanger Bürgerhaus
(Gastspiel Operettenbühne Wien)

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