Csárdásfürstin – Gelsenkirchen – 2015
Csárdás im Orient-Express – Csárdásfürstin für Eisenbahnnostalgiker
Das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen zeigt Emmerich Kálmáns Operette »Die Csárdásfürstin« in einem Bühnenbild von Dieter Richter
In Emmerich Kálmáns Operette »Die
Csárdásfürstin« ist viel von Reisen die Rede. Warum also nicht die Handlung
gleich in einen Zug verlegen. Es ist doch eine witzige Idee, die Abschiedsparty
der gefeierten Sängerin Sylva Varescu von der Bühne des Budapester Orfeums in
den Zug von Budapest nach Wien zu verlegen, den sie ja nach dem Text am Ende
des ersten Akts sowieso besteigen wird. Bühnenbildner Dieter Richter hat deshalb
den berühmten Orient-Express auf die Bühne des Musiktheaters im Revier in
Gelsenkirchen gestellt. Es ist natürlich nicht der ganze Orient-Express,
sondern nur ein Wagen, den man schon vor Beginn der Vorstellung auf der Bühne
sehen kann. Zuerst sieht man den Wagen nur von außen.
Hochzeitsversprechen im Orient-Express – Petra Schmidt als Silva und Peter Schöne als Edwin
Foto: Thilo Beu
Mit der Ouverture – die
musikalische Leitung von Thomas Rimes (die Premiere am 19. Dezember 2014 hatte
Svetoslav Borisov einstudiert) sorgte mit der Neuen Philharmonie Westfalen für
einen gepflegt schwungvollen Operettenton – wird dann der Blick in einen
liebevoll detailliert eingerichteten Erster-Klasse-Salonwagen mit
Holzvertäfelung und Ledersesseln frei. Durchsagen auf ungarisch (diese hatte
man sich von Ilena Jakab in Budapest sprechen lassen) und wienerisch, der
Schaffner pfeift, die Fahrt beginnt. Und eine muntere Gesellschaft, die Herren
im Smoking und die Damen wie von Otto-Dix-Gemälden inspiriert (Kostüme Renate
Schmitzer), feiert dicht gedrängt im Speisewagen mit viel Champagner. Im
Hintergrund flitzen die Lichter der Nacht vorbei. Das ist konsequent
durchdacht. Wenn Sylva die berühmte Arie vom »Teufelsweib« singt, demonstriert
sie das gleich, indem sie an der Notbremse sieht. Funken sprühen an den Rädern
und der Zug kommt quietschend zum Stehen. Der zeternde Schaffner, äh, Pardon,
der Conducteur, wird mit Geldscheinen beruhigt. Eine Gelegenheit, auch einmal
auszusteigen bis der Zug weiterfährt. Geschickt bringt Regisseur Dietrich W.
Hilsdorf die Handlungsabläufe in der beengten Situation des Salonwagens unter.
Die lineare Bewegungsrichtigung im Zug treibt Hilsdorf noch dadurch auf die
Spitze, dass die Personen oft nach links abgehen, dann aber von rechts kommen.
So wandert der Zuschauer mit durch den Zug. Amüsant ist das besonders in der
Szene des von Varieté-Damen gejagten Boni, der auf dieser Hetzjagd durch den
Zug so nach und nach seine Kleider verliert. Die Verdichtungen bei Szenen mit
Chor und die Duett-Szenen bekommen im Zug ihren besonderen Reiz, immer wieder
unterstrichen durch das schwungvoll die Vorderbühne dominierende
Varieté-Ballett. Und es sind auch die beiden komischen »Nebenfiguren« Graf Boni
und Feri bácsi, die diesen Akt am Laufen halten. Joachim G. Maaß gab den
(künstlich) gealterten ungarischen Galan Ferenc Ritter von Kerekes mit nettem
ungarischem Akzent. Diesem stand in der Vorstellung vom 20. Februar der für den
erkrankten E. Mark Murphy eingesprungene Cornel Frey von der Deutschen Oper am
Rhein als Graf Bonifaz Kancsianu nicht nach.
Im Zug kommt auch die Liebe zwischen dem
Fürstenspross Edwin und der Sängerin Sylva in Fahrt. Peter Schöne und Petra
Schmidt sind dafür eine gute Besetzung, wenn auch beide etwas die hohen Lagen
der Partien unterschätzen. Während des zentralen Duetts im einsamen Salonwagen
weht als träumerische Sequenz das Ballett schemenhaft hinter den Fenstern
vorbei, wie Sylphiden gespensterhaft in dunkler Nacht. Um zu verhindern, dass
Sylva nach Amerika fährt, unterschreibt Edwin ein Hochzeitsversprechen, obwohl
er weiß, dass seine Eltern niemals in diese Ehe einwilligen werden. Dummerweise
ist auch sein Vetter Rohnsdorff im Zug (Philipp Werner gibt diesen Oberleutnant
herrlich trocken), der Edwin nicht nur einen Stellungsbefehl überreicht sondern
dem Grafen Boni auch noch eine bereits gedruckte Verlobungsanzeige zwischen
Edwin und der standesgemäßen Komtesse Anastasia zuspielt. Der Zug kommt in Wien
an. Die beleidigte Sylva besteigt den Anschlusszug nach Triest, um in Amerika
eine Tournee zu beginnen. Im einsamen Waggon bleibt Feri zurück und lässt sich
von einem Zigeuner eine wehmütige Weise spielen.
Auch der zweite Akt bleibt in der
Gelsenkirchener Inszenierung im Eisenbahnmilieu. Nicht im fürstlichen Palais
wird gefeiert sondern im Erster-Klasse-Restaurant eines Wiener Bahnhofs. Durch
eine Drehtür blickt man in die Bahnsteighalle. Dadurch entsteht die Wirkung
einer direkten Anschlusshandlung (obgleich acht Wochen zwischen den beiden
Akten liegen). Auch in diesem Akt hat Choreograph Bernd Schindowski das Ballett
effektvoll untergebracht. Immer wieder platzt es in den Saal hinein und umwirbelt
die Handlung. Fürst und Fürstin versuchen die Verlobung von Edwin und Komtesse
Stasi bekannt zu geben, da platzt Boni mit seiner angeblichen Ehefrau Sylva
herein. Und wir lernen auch Stasi kennen, die von Dorin Rahardja verkörpert
wird. Doch immer noch kommt es nicht zum Happy End. Zwar meint Edwin, dass
Sylva ja nun als geschiedene Gräfin Kancsianu standesgemäß wäre, doch möchte
Sylva nur als sie selbst geliebt werden und rauscht auch in diesem Akt wieder
beleidigt ab.
Der Orient-Express zieht in den Krieg – Joachim G. Maaß (Feri), Petra Schmidt (Silva) und E. Mark Murphy (Boni)
Fotos: Thilo Beu
Im dritten Akt macht das Regieteam
offensichtlich, in welcher Zeit es die Handlung platziert hat: bei Ausbruch des
Ersten Weltkriegs. Das ist, auch wenn die Operette eigentlich im ausgehenden
19. Jahrhundert spielen soll, in diesem Fall schon gerechtfertigt. Die Arbeit
an der Operette wurde ja durch den Ausbruch des Kriegs unterbrochen. Und mitten
im Krieg hatte die Premiere dann 1915 in Wien ihre Uraufführung. In dieser Zeit
ist die Handlung dann schon eine Reminiszenz an die (gute) alte Zeit. Und doch
verweist der Text auch auf eine ungewisse Zukunft: »Weißt Du wie lange noch der
Globus sich dreht ...«
Im Programmheft erfährt man, dass der erste Akt
am 22. August 1914 spielen soll. Es könnte also eine der letzten Fahrten des
Orient-Express gewesen sein. Im dritten Akt wurde der Orient-Express-Wagen von
der Armee konfisziert und soll nun, mit antiserbischen Kriegsparolen
bekritzelt, einen Transport Soldaten an die Front bringen. Am nun eher tristen
Bahnsteig treffen sich die Handelnden wieder. Fürst Leopold sucht seinen Sohn
und erfährt so beiläufig, dass seine Ehefrau Mathilde früher als Kupfer Hilda
am Orfeum in Miskolc bekannt war – und damals von Feri bácsi verehrt wurde.
Fürstin Mathilde (Christa Platzer) legt wie zum Beweis noch schnell einen
Csárdás auf das Parkett. Nun steht auch der Ehe zwischen Edwin und Sylva nichts
mehr im Wege. Graf Boni vereint die beiden am Bahnsteig. Happy end? in
Gelsenkirchen macht dem Paar die Weltgeschichte einen Strich durch die
Rechnung. Wieder taucht der Vetter Rohnsdorff als Bote schlechter Nachrichten
auf. Edwin muss in den Krieg und besteigt traurig den Zug. Sylva bleibt alleine
auf dem Bahnsteig zurück. Wird Edwin zurückkehren? Regisseur Hilsdorf lässt das
offen.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 20. Februar 2015
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
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