Clari – Oper Zürich – 2008
Hollywood in den Bergen: Bauernmädchen heiratet Herzog
Adam Fischer und Cecilia Bartoli sorgen für Wiederentdeckung von Halévys vergessener Oper »Clari« am Opernhaus Zürich
Die Opern des Komponisten Jacques Fromental Halévy sind
inzwischen weitgehend vergessen. Halévy brachte mit »Die Jüdin« aber auch eine
Oper heraus, die zu den großen Werken des 19. Jahrhunderts gehört und damals
auch viel gespielt wurde. »Die Jüdin« hat in den letzten Jahren eine gewisse
Renaissance erlebt. Alle anderen Opern Halévys sind völlig in Vergessenheit
geraten. Eine Wiederbelebung seiner Opern ist auch durchaus nicht so einfach,
denn die Partituren stellen an Orchester und Gesangssolisten teilweise höchste
Anforderungen. Insofern darf man sich bei »Clari« freuen, dass sich mit deren
Wiederbelebung nicht eine kleine Provinzbühne profilieren wollte, die sich
damit überfordert hätte. Beim Opernhaus Zürich ist die Wiederbelebung durchweg
gelungen.
Es ergab sich in Zürich der Glücksfall, dass die
Mezzosopranistin Cecilia Bartoli sich auf die Spuren von Maria Malibran begeben
hat, für die Halévy die Rolle der Clari damals geschrieben hat. Mit Adam
Fischer, künftiger Generalmusikdirektor der Budapester Staatsoper, wurde
außerdem ein Dirigent gewonnen, der als ausgewiesener Kenner der Musik des
späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts deren Feinheiten herauszuarbeiten in der
Lage ist und Halévys effektvolle aber durchaus gefühlvolle Musik nicht im
Dauerfortissimo erschlägt, wie dies kürzlich in Darmstadt bei deren
Wiederbelebung der »Jüdin« geschah. Fischer versteht es, nach einem
wirkungsvollen Crescendo auch wieder sanfte Töne anzuschlagen und das Orchester
notfalls zum Pianissimo zurückzunehmen, um die Sänger zu tragen. Das Orchester
»La Scintilla« der Oper Zürich, das zudem auf alten Instrumenten spielt, ist
hier besonders geeignet. Und bei Clari hat das Orchester viel Gefühl zu tragen,
handelt es sich doch um rechte Herz-Schmerz-Oper deren Handlung auch eine
Vorlage einer Hollywoodschnulze bieten könnte: Herzog verliebt sich in
Bauernmädchen, das bei einem Ball für einen Skandal sorgt, zu seinen Eltern
flieht und schließlich vom Herzog gefunden und geheiratet wird und sich mit dem
Vater versöhnt. Für die doch eigentlich banale Handlung fand das Regisseurduo
Moshe Leiser und Patrice Caurier zusammen mit Bühnenbildner Christian
Fennouillat und Kostümbildner Agostino Cavalca eine sinnfällige und wirklich
einmal passende Umsetzung in die Gegenwart. Aus dem Herzog wurde ein
Multimillionär und aus der skurilen Hofgesellschaft eine noch skurilere High
Society – oder was sich dafür halt. Dass sich Clari und der Herzog im Internet
kennengelernt haben, wie man aus einer im Hintergrund in der Art einer
Bravo-Bildergeschichte eingeblendeten Bilderfolge, erfährt, verlieh der
Handlung eher noch Stimmigkeit. Zur endgültigen Steigerung der Kitschgeschichte
geriet dann das Schlussbild, als sich Clari im aufgemalten Blumenherz mit
Pappherzog dem imaginierten Fotografen stellte. Wird das Happy End verweigert?
Nein, man gönnt es dem Publikum.
Durch die Einfügung der wunderbaren Desdemona-Arie aus
Rossinis »Otello« verschob sich das Gewicht der Aufführung weiter auf die
Titelfigur. Hier konnte Cecilia Bartoli in voller Pracht brillieren. Der Herzog
hat erst im dritten Akt sängerisch einen großen Auftritt und darf hier endlich
seine Seele ausbreiten, wenn er verzweifelt auf der Suche nach Clari ist. Das
tat John Osborn dann auch äußerst anrührend und mit lichtem Tenor. Tragende
Rollen sind auch Germano und Bettina, das burleske Hauspersonal. Sie
provozieren mit ihrem Theaterstück vom Grafen und dem Bauernmädchen bei Clari
eine Krise. Der Bariton Oliver Widmer und die Sopranistin Eva Liebau stellen
hier einen guten Gegenpart zum Liebespaar dar. Die Eltern Simonetta (Stefania
Kaluza) und Alberto (Carlos Chausson) stellten eine besondere Charakterstudie
des Landlebens dar. Und natürlich ist noch der exzellent einstudierte Chor zu
nennen, der als Hauspersonal, High Society und Landarbeiter Untertänigkeit, Gespreiztheit
wie Derbheit zeigt.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 31. August 2008
Opernhaus Zürich
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