Buchbesprechung: Carsten Jung: Historische Theater
Eine Bestandsaufnahme von Carsten Jung über historische Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz
29 historische Theatergebäude in Deutschland, Österreich
und der Schweiz stellt der neue Kunstführer vor. Sollte dies der gesamte
Bestand an historischen Theatern in drei Staaten sein, so wäre dies doch etwas
kläglich. Die vollmundige Ankündigung des Klappentextes einen »umfassenden
Überblick über alle Theater, die vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zum Beginn
des 20. Jahrhunderts« errichtet wurden, zu leisten, ist denn doch etwas
irreführend. Denn trotz zahlreicher Verluste im Zweiten Weltkrieg haben dann
doch einige historische Theater überlebt, immerhin doch so viele, dass man sie
nicht auf 160 Seiten zusammenquetschen kann. Der Autor Carsten Jung schreibt
denn immerhin nur von einem »Überblick« (S. 8). Er definiert dann auch sehr
genau, was er unter einem historischen Theater versteht. So solle im Idealfall
Gebäude, Zuschauerraum und Bühne erhalten sein. Er muss dann aber gleich
einschränken, dass es eigentlich nur noch zwei historische Bühnenmaschinerien aus
dem 18. Jahrhundert in Deutschland (in Ludwigsburg und Gotha) gibt. Die
Bühnenmaschinerie wurde natürlich immer wieder auf den neuesten Stand gebracht
und ist höchstens bei irgendwann aufgegebenen Theatern erhalten. Im Zweiten
Weltkrieg zerstörte und danach wieder aufgebaute Theater wurden nicht das Buch
aufgenommen. So sind eben das Nationaltheater München und die Staatsoper in
Dresden keine historischen Theater im strengen Sinn, auch wenn sie touristisch
gerne so vermarktet werden – zumal ihre Zuschauerräume ja eigentlich nicht
einmal Rekonstruktionen sondern eher Nachschöpfungen sind. Solche Theaterbauten
nicht aufzunehmen leuchtet ein, trotzdem erschließt sich die Auswahl dem Leser
nicht so ganz.
Wurden die Theaterbauten des 18. Jahrhunderts noch vollzählig in den Kunstführer aufgenommen, ist das 19. Jahrhundert schon recht lückenhaft und für das frühe 20. Jahrhundert vermisst man auch einige Bauten. So fehlen für das frühe 19. Jahrhundert das Wilhelmatheater in Stuttgart und das Hoftheater in Coburg, die trotz starker Umbauten in Erschließung und Bühne doch mit den originalen Zuschauerräumen, Eingangshallen, Foyers und Fassaden doch noch genügend Originalsubstanz aufweisen, die eine Aufnahme in den Kunstführer gerechtfertigt hätten. So ist diese wichtige Phase des Theaterbaus unterrepräsentiert. Noch mehr fällt dies im späten 19. Jahrhundert und gar im frühen 20. Jahrhundert auf. In dieser Zeit gab es ja geradezu eine Theaterbauschwemme. Davon ist im Kunstführer aber nichts zu finden. Nun tut man sich mit originalen Bauten des Historismus ja schwer, aber das Theater in Baden-Baden oder das Theater am Schiffbauerdamm in Berlin hätten schöne Beispiele gegeben. Ebenso vermisst man markante Theaterbauten des frühen 19. Jahrhunderts, das Prinzregententheater in München, die Kammerspiele in München (eigentlich das Jugendstiltheater in Deutschland) und das Hoftheater in Stuttgart, dessen Großes Haus ja immerhin noch steht. Blättert man im Band weiter nach hinten, findet man dann ab S. 140 eine Auflistung aller historischen Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Nun aber zu den Theatergebäuden, die in den Kunstführer aufgenommen wurden. Damit der Leser die Abfolge in der Entwicklung des Theaterbaus nachvollziehen kann, wurden die Theater nach Entstehungsepochen sortiert. Mit einem ungewöhnlichen Theater setzt der Band ein, nämlich mit dem Theatersaal der Abtei Ottobeuren. Für das 18. Jahrhundert werden natürlich auch die bekannten Theater wie das Schlosstheater in Ludwigsburg und das Cuvilléstheater in München besprochen. Immerhin stellt Carsten Jung auch das erst kürzlich wiederentdeckte Theater in Neubrandenburg vor. Für den Klassizismus sei das Theater in Putbus herausgegriffen. Zwei Theater repräsentieren Wien: das Schlosstheater Schönbrunn und das Theater an der Wien. Als letztes Theater vor dem Ersten Weltkrieg wird das König-Albert-Theater in Bad Elster vorgestellt. Als einziger Theaterbau der Zwischenkriegszeit ist im Band das Renaissancetheater in Berlin erwähnt.
Ein eigenes Kapitel ist den Architekten
Ferdinand Fellner und Hermann Helmer gewidmet. Diese beiden Architekten, die
ein florierendes Architekturbüro in Wien betrieben, bauten nicht nur zahlreiche
Theater in der Donaumonarchie, darunter auch mehrere Theater in Ungarn, etwa
das schöne Theater in Kecskemét, sondern auch in Deutschland. Die
Theatergebäude dieser Architekten in dieser Form zusammenzufassen war
sicherlich sinnvoll. Da es aber noch andere auf den Theaterbau spezialisierte
Architekten gab, wären weitere entsprechende Kapitel angemessen gewesen.
Zumindest Max Littmann, Heinrich Seeling und Oskar Kaufmann hätte man noch
anführen sollen.
Carsten Jung stellt auch die Europastraße
historische Theater vor. Diese Straße, die von Italien nach Schweden bzw. in
das Vereinigte Königreich reicht, führt auch durch Deutschland. Immerhin 12
historische Theater wurden in Deutschland mit dieser Straße zusammengefasst.
Obwohl man sich den Band ausführlicher gewünscht
hätte, ist es doch löblich, dass endlich ein Führer zu den historischen
Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz erschienen ist. Bisher gab
es als Übersicht für Deutschland nur eine Bestandsaufnahme der Denkmalpflege.
Klaus J. Loderer
Historische Theater
In Deutschland, Österreich und der Schweiz
Deutscher Kunstverlag Berlin, München 2010
(Großer DKV-Kunstführer)
ISBN 3-422-02185-3
160 S., zahlr. Ill.
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