Biedermeierlicher Alptraum in der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ – Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – 2017
Biedermeierlicher Alptraum
Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen
Ein über Eck gestelltes Quadrat, hinten auf zwei Seiten von
Wänden umschlossen, diese schlichte Spielfläche dient Regisseur und
Bühnenbildner Michiel Dijkema als Bühne, um ein geisterhaftes Spukstück zu
entfachen. Mit Tischen und Stühlen möbliert sehen wir die Weinstube, die
letztlich über fünf Szenen den Rahmen von „Hoffmanns Erzählungen“ bildet. Denn
eigentlich verlässt Hoffmann die Weinstube ja nicht, er erzählt seinen Zechkumpanien
drei Geschichten, die wir uns normalerweise in der Oper als illustrierte Bilder
mit unterschiedlichem Hintergrund vorsetzen lassen. Michiel Dijkema wählt den
Ansatz, dass wir in der Weinstube bleiben und lässt die Geschichten hier
erscheinen.
Hoffmanns Erzählungen in Gelsenkirchen: Joachim Bäckström (Hoffmann), Jacoub Eisa
(Hermann) |
Auch die einheitlich mit schwarzem Gehrock und Zylinder bekleideten
Zechkumpanen, also der Herrenchor, sind über alle fünf Szenen da (Kostüme Jula
Reindell). Um aber doch eine freie Spielmöglichkeit zu bekommen, greift er zu
einem interessanten und überraschenden Kunstgriff. Denn zeitweilig ist das gar
nicht der Herrenchor, der da steif herumsteht, es handelt sich in einigen
Szenen um Puppen, die da immer noch Hoffmann lauschen, während der echte
Herrenchor längst anders gekleidet herumläuft. Im Olympia–Akt als Society nun
in blau – auch der Damenchor in blauen Roben. Im Giulietta-Akt spielen die
Herren in Damenkleidern die gewissen Damen und versuchen die Puppen zu
verführen. Mit den schwarzen Herrenchorkostümen kontrastieren die grell-bunten
Solisten: Hoffmann in leuchtend gelb, Olympia in rosa Krinoline, Antonia im
weißen Kleidchen und die Kurtisane Giulietta barbusig mit von Schlangen
umkräuselter feuerroter Robe. Das sorgt im Olympia-Akt für die kuriose Wirkung,
im Antonia-Akt für geisterhaftes Grauen und im Giulietta-Akt für dämonische
Stimmung.
Dongmin Lee (Olympia), Edward Lee (Cochenille), William Saetre (Spalanzani) © Pedro Malinowski |
Überhaupt greifen die von Hoffmann erzählten Geschichten als
geisterhafter Alptraum im Biedermeierambiente um sich. Harte Schatten (Licht:
Stephanie Meier) und Projektionen unterstützen die geisterhafte Szenerie. Michiel
Dijkema erzählt die Akte als Kapitel eines Buchs und täuscht uns vor, dass
gewissermaßen auf der Bühne umgeblättert wird. Das Bühnenbild bliebt die ganze
Aufführung über stehen aber wir wähnen, daß es sich dreht. Diesen Effekt
erreicht Dijkema dadurch, dass zwischen jeder Szene der Vorhang herabgelassen
wird, auf dem wir die Projektion eines Buchs, das umgeblättert wird, sehen. Für
die verschiedenen Szenen reichen dann letztlich spärliche Requisiten, wie die Kontrabaß
und Cello oder ein rot-weißer Pfosten, um eine Gondel zu vertäuen. Ein besonderer Gag ist am Ende dann, dass nicht etwa
die von Hoffmann verehrte Opernsängerin eintritt, sondern sich diese als sein
besonderer Feind herausstellt, in der blauen Robe verbirgt sich der Rat Lindorf.
Valtteri Rauhalammi dirigierte die Neue Philharmonie
Westfalen mit Spannung. Almuth Herbst ist besonders herauszuheben für ihren Epilog als Muse.
Joachim Bäckström sang den Hoffmann. Urban Malmberg gab den Rollen als Lindorf,
Coppélius, Miracle und Dappertutto diabolische Tiefe.
Klaus J. Loderer
Besuchte Vorstellung: 30. Juni 2017
(Premiere 10. Juni 2017)
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
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