Ausstellung Lajos Barta – Ulm – 2014

Ein Spitzentanz mit waghalsiger Balance 

Ausstellung »Lajos Barta – Skulpturen und Zeichnungen« in Ulm 

Man möchte sie gerne anfassen, über diese Figuren, deren Rundungen, Kehlen und Wülste streicheln. Aber das geht leider nicht. Dieses Privileg hatte der Künstler Lajos Barta. Nun sind die Werke Kunst und man darf sie nur noch schauend erfühlen.


Skulpturen von Lajos Barta im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm
Foto: Klaus J. Loderer

In geradezu aberwitzigen Schleifen winden sich die Skulpturen von Lajos Barta. Nur durch ihren Tanz scheinen sie aufrecht stehen zu können. Allerdings stehen sie doch statisch still. Und sie stehen, obwohl die Auflagerpunkte geradezu winzig sind. In seinen meisterlichen Zeichnung hat Barta vollführen die Figuren einen extremen Spitzentanz. Nicht von ungefähr trägt eine der kompliziertesten Skulpturen Bartas aus dem Jahr 1967 den Titel »Tanz«.

Auch die Biographie des ungarischen Künstlers Lajos Barta ist bewegt. Er wird 1899 in Budapest geboren. Die jüdische Familie führt damals noch den Namen Beck. Er wächst im Budapest des frühen 20. Jahrhunderts auf. Privaten Zeichenunterricht erhält er bei dem Akademieprofessor Ede Telcs. Er verbringt Lehr- und Wanderjahre im heutigen Rumänien, in der Slowakei, Österreich und Italien. Überhaupt wird die Zeichnung das Medium, das er perfektionierte. 1938 geht er nach Paris. Dort lernt er den ungarischen Maler Endre Rozsda kennen, der enge Kontakte zu anderen Künstlern pflegt und durch den er die Kunstszene von Paris kennenlernt. Außerdem geht er eine Liebesbeziehung mit ihm ein. Besonders scheinen Barta die Surrealisten beeindruckt zu haben, zumindest lassen die Motive vieler Zeichnungen diesen Schluss zu. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris bekommt er als Jude Probleme und macht sich mit gefälschten Papieren nach Budapest auf. Allerdings holt ihn auch dort der Zweite Weltkrieg ein. Er kann sich bei Freunden verstecken und überlebt so.



»Welle«, Skulptur von Lajos Barta
Foto: Klaus J. Loderer

Die letzten Kriegsjahre und die unmittelbare Nachkriegszeit sind für ihn eine Zeit der künstlerischen Entfaltung und Neuorientierung. Die Ausstellung vollzieht das Experimentieren mit neuen Formen detailliert nach. Noch in Paris zeichnet er gegenständlich – abgesehen von einigen abstrakten Experimenten. In einer Zeichnung aus dem Jahr 1943 sieht der Kunsthistoriker Ulrich Winkler die Wendemarke. Dort balancieren Blätter auf einer kleinen Kugel. Barta setzt das Motiv auch in eine Skulptur um – die Ausstellung zeigt Skizze und Gipsskulptur nebeneinander. »1943 habe ich meinen eigenen Stil gefunden«, schreibt Barta auch selbst. Es ist dies genau die Mitte seines Lebens.

In den nächsten Figuren wurde Barta schon waghalsiger und findet so ein Motiv, das ihn die nächsten Jahre immer wieder beschäftigen wird: das Spiel bewegter Formen, die scheinbar die Schwerkraft überwindend im Raum tanzen. Balance und Leichtigkeit sollen die Figuren zeigen. Es sind Skulpturen bei denen schon eine kleinste Änderung des Blickwinkels ein völlig neues Bild ergeben. Es sind komplexe, den Raum durchdringende Objekte, die er in exakten Zeichnungen vorbereitet. Als avantgardistischer Künstler schließt er sich der modernen Richtung Ungarns, der »europäischen Schule« an. Doch es ist schnell vorbei mit der künstlerischen Freiheit in Ungarn. Mit der Gründung der Volksrepublik und dem aufkommenden Stalinismus unter Mátyás Rákosi wird der sozialistische Realismus zur geforderten Kunstrichtung, um als Künstler arbeiten zu dürfen. Barta arrangiert sich und entwirft sogar ein Stalin-Denkmal und eine Rákosi-Büste. Die Ausstellung zeigt zwei Reliefs in diesem Stil.

Die ungarische Revolution 1956 bietet die vermeintliche Möglichkeit eines künstlerischen Neubeginns. Bei der Frühlingsausstellung (Tavasi tárlet) 1957 tritt er mit zwei abstrakten Skulpturen auf. Es ist der erste Jahrestag des ungarischen Aufstands, der ihn zu einer Reihe kleinerer Arbeiten inspiriert. Doch sind die Arbeiten nun weniger fröhlich. Ulrich Winkler sieht darin eine Verarbeitung des psychischen Drucks der politischen Verfolgung und politischen Säuberungen in der Zeit nach der Revolution. Gebückt und gedrungen sind die Formen dieser Zeit, die tänzerische Fröhlichkeit ist verschwunden.

Es bleibt weiterhin schwierig für Barta, mit seinen abstrakten Kunstwerken im offiziellen Kunstbetrieb anerkannt zu werden. Er findet eine Nische mit Skulpturen, die für einen praktischen Zweck zu benutzen waren. So entwirft er eine Sonnenuhr für Siófok. Die »Welle« und die »drei Pferdchen« werden auf Spielplätzen aufgestellt. Erstaunlicherweise durfte er 1962 in den Westen reisen. Er nutz dies, um die aktuellen Kunstströmungen kennenzulernen. In England besucht er Henry Moore. Auf der Reise kann er auch verschiedene Werke erstellen und verkaufen. Doch kehrt er brav wieder nach Ungarn zurück. 1965 verlässt er Ungarn endgültig und siedelt nach Deutschland über. Im Künstlerbahnhof Rolandseck bei Remagen am Rhein findet er ein künstlerisches Ambiente, in dem er sich entfalten kann. Später zieht er nach Köln um. Da er seine in Ungarn entstandenen Arbeiten nicht mitnehmen konnte, schöpft er viele Werke in Deutschland neu. Dazu zählt etwa eine Skulptur aus Aluminium, die vom Opernhaus in Sydney inspiriert wurde.


Lajos Barta im Festsaal Bahnhof Rolandseck mit Skulptur, 1967
Foto: Eric Krupp

Bei der Umsiedlung nach Deutschland ist er immerhin schon 66 Jahre alt. Doch ihm gelingt eine neue Karriere. Endlich kann er sich frei entfalten. Zahlreiche Zeichnungen und Skulpturen entstehen. Mit einigen Arbeiten gewinnt er bei Wettbewerben. Markant ist die Skulptur »Frühling«, die in der Universität Siegen aufgestellt wurde. Doch Barta entwirft nicht für Wettbewerbe sondern sucht passende Arbeiten aus seinem Fundus aus, wie der Barta-Kenner Ulrich Winkler betont. Einer Arbeit, die durch das Musikstück »Johanna auf dem Scheiterhaufen« von Arthur Honegger über die Jungfrau von Orléans inspiriert wird, nennt er kurzerhand in »Frühling« um. Eine Figur, in der er das Leiden der Zeit nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands verarbeitete, bekommt den neutralen Titel »Schwingende« und steht als solche heute im Hofgarten in Bonn. Weitere Arbeiten findet man in Köln, Mülheim an der Ruhr, Wuppertal und Remagen. 1970 zeigt das Kunstmuseum Bonn eine Ausstellung. Ein lukrativer Privatauftrag führt ihn nach Paris. 1986 stirbt Lajos Barta über den Vorbereitungen einer Ausstellung in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár). Dem dortigen König-Stefan-Museum (István Király Múzeum) vermacht er seinen künstlerischen Nachlass.

Das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm zeigt nun in der für das Arp-Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen zusammengestellten und von Ulrich Winkler kuratierten Ausstellung »Lajos Barta – Skulpturen und Zeichnungen« rund 40 abstrakte Plastiken und über 90 Zeichnungen aus dem künstlerischen Schaffen Lajos Bartas. Von den Großskulpturen im öffentlichen Raum ergänzen großformatige Fotos die Ausstellung. Man kann die Ausführung in Groß dann mit der kleinen Originalfassung vergleichen. Die vier Räume sind nachvollziehbar gegliedert. Kurator Winkler weist darauf hin, dass Bartas Lebenslauf eng mit seiner Kunst verbunden ist: »Die Stationen seines Lebens zeigen sich deutlich in den Phasen seines Schaffens.« Der erste Raum gibt einen biographischen Überblick mit beispielhaften Arbeiten aus allen Schaffensphasen. Der zweite Raum konzentriert sich auf die Zeichnung und die in Ungarn Skulpturen der ungarischen Zeit. Der dritte und vierte Raum zeigen das Schaffen in Deutschland. 25 private und öffentliche Leihgeber zwischen Budapest und Paris haben die Ausstellung erst ermöglicht. Selten ausgestellte Zeichnungen geben einen Einblick in die frühe surrealistische Phase des Künstlers. Die Skulpturen, von denen etliche als Freiluftskulpturen in Ungarn und im Rheinland realisiert wurden, entstanden in den 1950er und 1960er Jahren. Nur exemplarisch geht die Ausstellung auf die Frühzeit ein. Da findet man einige Zeichnungen, Porträts und ungarische Trachten, in denen sich allerdings das große zeichnerische Talent auch schon zeigt. Von virtuoser Meisterschaft sind die Zeichnungen, die ab 1965 in Deutschland entstanden. In freier Ahnung kann man noch den Einfluss der Surrealisten erkennen, doch sind es letztlich freie Formen. Auch sein Studium der Arbeiten von Brancusi wird deutlich. Überhaupt saugt er in seiner ersten Zeit in Deutschland wie schon in Paris das zeitgenössische Kunstschaffen ein. Sind die frühen Skulpturen noch bescheiden in Terracotta oder Gips geformt, können wir die späteren Arbeiten in edler Bronze erleben.

Was das haptische Erfahren der Kunstwerke von Lajos Barta angeht, ist das natürlich bei den großen Exemplaren gestattet, die in Parks und auf Plätzen stehen. Und die Kinder dürfen das bei den »drei Pferdchen« im Jubiläumspark in Budapest, auf denen sie sogar reiten können. Die »Welle« ist allerdings inzwischen ins Museum umgezogen. Für Kunst war das damals zu abstrakt – aber als Kinderspielgerät war es der Partei im sozialistischen Realismus genehm. Und wenn eine Figur als Sonnenuhr dienen konnte, dann war auch abstrakte Kunst erlaubt. Aber nur dann. Und so können sich heute die Gäste der Promenade von Siófok an einem Barta-Werk erfreuen.

Die Ausstellung ist bis zum 13. Juli im DZM in Ulm zu sehen. Der Katalog »Lajos Barta – Wahlheimat am Rhein« wurde vom Arp-Museum Bahnhof Rolandseck herausgegeben.

Klaus J. Loderer
Bis 13. Juli 2014
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

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