Ausstellung Julius Meier-Graefe – Berlin – 2017
Julius Meier-Graefe – Grenzgänger der Künste
Biographische Ausstellung im Literaturhaus Berlin
Beschäftigt man sich mit der Kunst des späten 19. und frühen
20. Jahrhunderts stößt man irgendwann auf den Namen Julius Meier-Graefe. Es
handelt sich zwar nicht um einen Künstler aber um einen Kunstkritiker und
Kunsttheoretiker, daneben auch Kunsthändler, Herausgeber und Schriftsteller.
Lang ist die Liste der von ihm veröffentlichten Bücher.
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Julius Meier-Graefe Foto: Klaus J. Loderer |
Die gepflegte und lebendige Sprache, mit der er seiner
Leserschaft Kunstwerke nahebringen oder über ihre Mängel informieren wollte,
ist weit entfernt von den für Laien unverständlich bleibenden Fremdwortorgien,
die man heute viel zu oft im Kunstbereich findet. Er versuchte die Seele und
das Wesens eines Kunstwerks zu ergründen und begründet das in eingängigen
Worten. Man konnte sich von diesen Bildbeschreibungen kürzlich ein gutes Bild
machen im Rahmen einer Ausstellung des Literaturhauses in
Berlin-Charlottenburg, die sich Julius Meier-Graefe widmete. Der Vortragssaal
war als Seh- und Hörstation gestaltet – als Hörsaal des Julius Meier-Graefe,
der uns Bilder von Vincent van Gogh, Eduard Manet, Henri de Toulouse-Lautrec,
Arnold Böcklin und anderen erläutert.
Gnadenlos und scharf seziert er die berühmten Meniñas Velazquez’ – jenes
Bild, das Picasso zu immer wieder zu neuen Bearbeitungen anregte. Als
Ausstellungsbesucher durften wir uns setzen. An der Wand erschien das passende
Bild und wir dürfen den Worten lauschen.
Kurt Tucholsky beschied ihm, »eine Intelligenz aus Stahl,
eine Beobachtungsgabe, rasend schnell wie die Linse eines photographischen
Apparats, und vor allem also – kaum im Zwinkern der Augen zu bemerken – eine
himmlische Ironie«. Dieses und andere Zitate schmücken gerahmt die Berliner Ausstellung. Besonders
Schriftsteller scheinen ihn gewürdigt zu haben, wie die Zitate von Hugo von Hoffmannsthal
und Hermann Hesse zeigten. Es stach die abfällige Bemerkung des Grafen Kessler
hervor, die dieser seinem Tagebuch anvertraute, in der er Meier-Graefe als
Halbgebildeten abtat.
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Rekonstruierte von Henry van den Velde entworfene Tapete in der Ausstellung im Literaturhaus Berlin Foto: Klaus J. Loderer |
Zeitgenossen rühmten die überaus erfolgreichen Bücher des
Kunstschriftstellers und Kritikers Julius Meier-Graefe als »neue Schule des
Sehens«. Er konzentrierte sich dabei auf die moderne Malerei. Die französische
Malerei hatte damals in Deutschland keinen hohen Stellenwert, eher war es
üblich sie öffentlich zu diffamieren. Die französischen Impressionisten, die
sich heute so großer Beliebtheit erfreuen, galten als anrüchig und künstlerisch
wenig bedeutsam. Genau für diese Künstler sensibilisierte Meier-Graefe das
deutsche Publikum, was ihm schnell den Vorwurf einbrachte, die französische
Kunst über die deutsche zu stellen. Dabei ging es ihm um eine Öffnung der Kunst
in Deutschland für die neuen Tendenzen aus Frankreich. Für Aufsehen sorgte die
»Jahrhundertausstellung« in der Berliner Nationalgalerie 1906, in der er die
Werke zahlreicher bisher wenig beachteter deutscher Künstler bekannt machte. So
machte er auch den in Vergessenheit geratenen Caspar David Friedrich wieder
bekannt.
Die Ausstellung zeigt mit zahlreichen ausgestellten Büchern
die unglaubliche literarische Produktivität Julius Meier-Graefes. Es wird aber
auch der abwechslungsreiche Lebenslauf deutlich. Er wurde am 10. Juni 1867
geboren, sein Geburtstag jährte sich also zum 150. Mal. Dass sein Geburtsort
Reschitz (Reșița, damals offiziell Resicabánya) im Banat ist (was übrigens in
der Ausstellung nicht erwähnt wurde), das damals zum Königreich Ungarn gehörte,
ist der beruflichen Tätigkeit des Vaters, des Montan-Ingenieurs Eduard Meier,
geschuldet, der nach Tätigkeiten in Oberschlesien bis 1880 Leiter einer
Eisenhütte in Reschitz war. Auch der ältere Bruder Max Meier wurde 1863 dort
geboren. Ansonsten hatte die Familie keinen Bezug zu dieser Region. Immerhin
veranlasste dies Meier-Graefe später zu der Bemerkung, dass er eine
»Zigeunerin« als Amme gehabt habe. Ob das
wirklich der Fall war, oder ob man die ethnische Herkunft der Amme nicht
so ganz zuordnen konnte, sei einmal dahin gestellt. In den Fußstapfen des
Vaters begann er 1888 in München ein Ingenieursstudium. Doch schon bald fand er
andere Themen interessanter und beschäftigte sich an der Universität Berlin mit
Kunstgeschichte. In Berlin trat er 1893 mit dem Reiseroman »Nach Norden«
hervor. Es folgten »Der Fürst « und »Prinz Lichtenarm«. Und er schrieb erste Kunstkritiken.
1894 gründete er mit Otto Julius Bierbaum die Kunst- und Literaturzeitschrift
Pan. Nach einem Zerwürfnis mit den anderen Redaktionsmitgliedern ging er nach
Paris und wurde im Kunsthandel tätig. Zuerst war er in Siegfried Bings Galerie
»L’art nouveau« tätig. Sein eigenes Kunsthaus »La maison moderne« wurde von
Henry van de Velde eingerichtet, den er mit seiner 1897 gegründeten Zeitschrift
»Dekorative Kunst« bekannt machte. Überhaupt setzte sich Meier-Graefe stark für
den Jugendstil ein. Eine Vitrine zeigt Produkte seines Geschäfts, eine Wand die
Rekonstruktion einer von Henry van de Velde entworfenen Tapete. Und historische
Fotos vermitteln die üppige Innenausstattung. Nach der Insolvenz seiner Galerie
1904 kehrte Meier-Graefe nach Berlin zurück und veröffentlichte seine
»Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst«. Hatte er sich bisher für
Strömungen wie Impressionismus, Neoimpressionismus und Jugendstil eingesetzt,
ließen ihn die sog. avantgardistischen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts
kalt. 1914 ging er als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg. Die Zeit in
russischer Kriegsgefangenschaft verarbeitete er in der 1918 erschienenen
Erzählung »Der Tscheinik«. 1929 übersiedelte er mit seiner zweiten Frau
Annemarie geb. Epstein nach Südfrankreich. Saint-Cyr-sur-Mer wurde 1930 zur
neuen Heimat. Nach der Machtergreifung Hitlers kamen schon bald mehrere
Schriftsteller und Künstler in die Gegend, die aus Deutschland geflohen waren.
Die Nationalsozialisten diffamierten Meier-Graefe nicht zuletzt wegen seiner
teilweise jüdischen Abstammung. 1934 beantragte er die französische
Staatsbürgerschaft. Am 5. Juni 1935 starb er in einem Sanatorium in Vevey in
der Schweiz. Seine Witwe emigrierte in die USA und heiratete den Schriftsteller
Hermann Broch.
Da Meier-Graefe zumeist über Kunst schrieb, waren auch immer
wieder Reproduktionen von Kunstwerken in die Ausstellung eingewoben. Auch das
Thema der Reproduktion war übrigens ein wichtiges Thema für Meier-Graefe,
ermöglichte es doch die Kunstvermittlung. So sind seine Texte in den Mappen der
von ihm 1916 gegründeten Marées-Gesellschaft zu nennen, von denen einige
Beispiele zu sehen sind. In diesen sind Werke alter Meister ebenso versammelt
wie Lithographien zeitgenössischer Künstler.
Damit uns auch der Mensch Julius Meier-Graefe verdeutlicht
wurde, war der Eingangsraum dem Porträt des Kunstkritikers gewidmet.
Großformatige farbige Reproduktionen stellen Meier-Graefe vor. Er war nicht nur
mit zahlreichen Künstlern befreundet, diese haben ihn auch porträtiert, etwa
Edvard Munch und Lovis Corinth. Dazwischen waren kleinformatig historische
Fotos zu sehen, etwa auch des schönen Jugendstilhauses, in dem er in Berlin
lebte.
Ergänzt wurde die Ausstellung durch ein von Moritz Wehrmann
(Jg. 1980) gestaltetes Kabinett, der in Zusammenarbeit mit Pascale Dassibat eine
Rauminstallation entwickelte, die sich aus zeitgenössischer Perspektive mit dem
für Meier-Graefe zentralen Anliegen auseinandersetzt, Farben sprachlich in seinen
Texten zu vermitteln. Ob das gelungen ist, sei einmal dahingestellt.
Klaus J. Loderer
2017
Literturhaus Berlin-Charlottenburg
Eine Ausstellung des Literaturhauses Berlin, kuratiert von Dr. Ingeborg Becker (ehem. Bröhan-Museum) und Prof. Dr. Stephanie Marchal (Ruhr-Universität Bochum/Leuphana Universität Lüneburg); Ausstellungsassistenz: Freija Eva Bierhenke (Ruhr-Universität Bochum). Zur Ausstellung erscheint im Deutschen Kunstverlag ein Begleitbuch (344 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen).
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