Händels Oper Ariodante – Oper Stuttgart – 2017

Wrestling im Opernhaus 

Premiere von Händels „Ariodante“ in Stuttgart 

von Klaus J. Loderer 

Ariodante“ gehört zu den wunderbaren Opern Georg Friedrich Händels. In der Oper Stuttgart hat man daraus ein sportliches Spektakel gemacht. Die Idee wurde dem Schluß der Oper entnommen. Dort gibt es einen Zweikampf zwischen Lurcanio und Polinesso um die Keuschheit der Prinzessin Ginevra. Diese ist die Verlobte des Ritters Ariodante, wird aber auch erfolglos von Herzog Polinesso geliebt. Deshalb kommt dieser auf die Idee Ariodante die Untreue seiner Verlobung einzureden, was mittels einer Verkleidungsszene – die den Herzog liebende Hofdame Dalinda erscheint nächstens in den Kleidern Ginevras zum Techtelmechtel, worauf sich Ariodante ins Meer stürzt und sein Bruder Lurcanio beim König Ginevra der Untreue anklagt. Der König verstößt seine Tochter – es drohen Verurteilung und Tod wegen Unkeuschheit. Polinesso kommt dann auf die besonders perfide Idee, in einem Zweikampf die Ehre Ginevras zu verteidigen, um als Retter der Prinzessin ihre Liebe zu erringen. Allerdings tötet ihn Lurcanio im Zweikampf. Bevor dann auch noch der König in den Ring tritt, taucht Ariodante auf, dem Dalinda inzwischen die Verkleidung gebeichtet hat, und man kann dann doch noch Hochzeit feiern. Sogar Doppelhochzeit: Lurcanio bekommt Dalinda und Ariodante Ginevra. Die in Schottland angesiedelte Geschichte entstammt übrigens wie viele Opernstoffe Ariosts „Der rasende Roland“ (Orlando furioso). Für dreieinhalb Stunden Musik ist das etwas wenig Handlung, zumal der Handlungsfortschritt wie immer bei Händels Opern nur in den Rezitativen erfolgt. In den Arien geht es dann um Gefühlslagen und Stimmungen.

Jossi Wieler und Sergio Morabito interessierten sich besonders für den sportlichen Aspekt und machten diesen zur Grundidee der Inszenierung. Entsprechend stapfen die sieben Darstellung zu Beginn wie Boxkämpfer oder Wrestler herein und präsentieren sich in martialischen Gesten. Dafür hat Bühnenbildnerin Nina von Mechow in den ansonsten leeren Bühnenraum eine Art Anprallschutzgeviert gebaut mit schwarz-weißem Fußboden, auf den während des Abends verschiedene Folien gelegt werden. Ihr Jogginghosenwühlkistenoutfit legen die Darsteller dann schnell ab. Ariodante bekommt einen roten Anzug, Ginevra ein blau-weißes Streifenkleid (in zum Fußboden passendem Muster), der König eine Uniform. In der Verlobungsfeier wird eifrig getänzelt. Überhaupt sind die Darsteller mit vielerlei Albernheiten, zu denen das Publikum eifrig kichert, gut beschäftigt. Man versteht zwar nicht warum, aber es tut sich schon immer wieder etwas auf der Bühne. Da werden Fußbodenbeläge ausgerollt und wieder hinausgezerrt, man wirft mit Kleidern und allerhand Gegenständen. Man spielt mit einer Krone und macht viel Krach. Zur Ariodante-Täuschungsszene werden weiße Stoffbahnen von oben heruntergelassen, die aber eigentlich nur dazu dienen, die Videokunst vorführen zu können. Natürlich darf das Stilmittel Video nicht fehlen, (was immer davon ablenkt, dass auch noch Menschen auf der Bühne sind). Das ist eben gerade so eine Regiemode wie die Ergänzung von gesprochenen Texten. Hier liest der Polinesso-Darstellung auf französisch Texte von Jean-Jacques Rousseau über das Theater – zwar sehr interessant, aber hier doch ziemlich unnütz. Natürlich sind alle möglichen Figuren temporär traumatisiert. Wobei man nicht so ganz versteht, warum Ariodante sich vor Schmerzen gequält herumwälzt, wenn das Happy End schon absehbar ist. Und dann wird im zweiten Teil noch ein Boxring aufgebaut. Dann wechselt man kurz vor Schluß noch von Sportkleidung in barocke Kostüme, wobei Ginevra nur rudimentär bekleidet wird.

Ich gebe zu, daß sich mir Sportspektakel nicht unbedingt erschließen. Insofern fehlt mir wohl einfach der Hintergrund, um diese Inszenierung verstehen zu können. Vielleicht hätte man die Inszenierung aufheben sollen für die Interimsspielzeiten während des kommenden Umbaus. Dann hätte man sich ganz passend eine Sportstätte suchen können und die Idee mit dem Vorspann und dem Nachspann in den Monitoren hätte viel besser gepasst als in der Guckkastenbühne.

Es ist immerhin nicht langweilig. Das mag eventuell an der wunderbaren Musik Händels liegen. Giuliano Carella sorgt für ein spannendes und feines Dirigat. Und auch die gesanglichen Leistungen sind hörbar. Diana Haller singt den verzweifelten Ariodante überaus anrührend. Unangenehm schrill und gurgelnd dagegen Ana Durlovski als Ginevra. Sehr erfreulich mit klarer Intonierung der Countertenor Christophe Dumaux als Polinesso. Ebenso der Tenor Sebastian Kohlhepp als Lurcanio. Sehr solide Matthew Brook als König.


Besuchte Vorstellung: 5. März 2017 (Premiere)
Oper Stuttgart

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