Agrippina – Stadttheater Gießen 2013

Intrigenspiel in der Kita

Balázs Kovalik inszeniert Händels Oper »Agrippina« am Stadttheater Gießen

Dass kleine Kinder an intriganten Fantasien den Erwachsenen nicht nachstehen, zeigte uns der ungarische Regisseur Balázs Kovalik in seiner Sicht auf Händels Oper »Agrippina«. Bühnenbildner Lukas Noll hat detailverliebt einen blauen Kindergarten auf Bühnentauglichkeit vergrößert. Darin können sich dann Claudius, Nerone, Agrippina, Poppea, Ottone, Pallante und Narciso austoben. Bei ihrem Eintreffen aus äußerlichem Schneetreiben leben sie brav Stiefelchen und Jäckchen ab (oder werfen sie unbrav herum) und schlüpfen in Hausschühchen und widmen sich den kindlichen Spielen. Einzig Agrippina nutzt die Abwesenheit des Alphatierchens Claudius, um die Herrschaft im Kindergarten zu übernehmen. Dazu zieht sie Pallante und Narciso auf ihre Seite, um Poppea auszuboten.

Natürlich spielt die Geschichte eigentlich im antiken Rom. Und Kaiserin Agrippina möchte nach dem vermeintlichen Tod des Kaisers Claudius die Herrschaft für sich und ihren Sohn Nero übernehmen. Aber früh übt sich, wer eine Intrigantin von Welt werden möchte. Da fängt man eben schon im Kindergarten an. Insofern passt das Herunterstülpen der großen Intrigen auf die kleine Welt eines Kindergartens schon irgendwie. Aus der kaiserlichen Macht des Claudius wird das Recht des Stärkeren. Die perfiden Intrigen der Agrippina bekommen aber dadurch auch eine gewisse Niedlichkeit, über die das Publikum kichert, ohne die Bösartigkeit zu verstehen. Die Bedrohlichkeit merkt man dann erst wieder, wenn Ottone das Messer zückt und auf die anderen Kinder losgeht. Eigentlich kicherte das Publikum ja schier ununterbrochen. Wenn Agrippina beim verordneten Mittagsschlaf einen Alptraum hat und vor einem großen Plüschkrokodil und anderen lebendig gewordenen Spieltieren erschrickt, dann bedauert man dieses eben doch kleine Mädchen – eine wirklich ergreifende Szene, während im Publikum dann der erkenntnisreiche Kommentar zu hören war: »Wie süß, das Hasi«. Inszenierungen mit Tieren, auch wenn sie nur aus Plüsch sind, kommen eben beim Publikum immer gut an. Das hatte schon Loriot bemerkt.

Dass auch Poppea sind im Intrigieren versteht, bemerkt man in der zweiten Hälfte, wenn sie sich im Waschraum von Nerone anbaggern lässt und dabei von Claudius ertappen lässt, den sie vorsorglich auf der Toilette versteckt hatte. Das war nur eine von vielen netten Ideen, mit denen die Inszenierung gefüllt war.

Bevor sich die lieben Kindchen dann doch noch an die Hälse gehen, greift dann die Kindergartentante ein. Dass es sich dabei um einen travestierten Mann handelte, bemerkte das Publikum dann doch erst, als er/sie mit bellender Stimme die Kindchen zurecht wies. Das war dann doch ein netter Gag am Rande. Das folgende Ringelreihen, wenn dann alle Kinder wieder nett zueinander sein müssen, diente als Finale, dafür wurden dann ein paar Arien geopfert, wodurch die Aufführung prägnanter wurde.

Musikalisch konnte das Stadttheater Gießen mit der Produktion eine gute Leistung bieten. Immerhin hat man ja als Generalmusikdirektor den ausgewiesenen Barockspezialisten Michael Hofstetter, der mit dem Philharmonischen Orchester Gießen die Feinheiten der Partitur herausarbeitete und mit seinem zügigen Dirigat für einen auch musikalischen kurzweiligen Abend sorgte. Unter den Sängern bot das Stadttheater Gießen interessante Gäste auf. Immerin hat man zwei Countertenöre engagiert, den schon bekannten Terry Wey als Ottone und den aus Arad in Rumänien stammenden Valer Sabadus (Nerone), der noch am Anfang seiner Karriere steht. Für eine solide tiefe Färbung sorgte der Bariton Hans Christoph Begemann.

Klaus J. Loderer


Besuchte Vorstellung: 4. Mai 2013
Stadttheater Gießen

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